Bochum/Essen. . Die Ruhrtriennale von Heiner Goebbels überschreitet Grenzen zwischen den Künsten: Im Park an der Jahrhunderthalle Bochum wird der eigene Pulsschlag zur Lichtkunst, im Essener Museum Folkwang gibt es in der Ausstellung „12 Rooms“ Performances mit Nackten und einem Solarium zu bewundern.
Bevor am Freitagabend John Cages selten gespieltes Musiktheater „Europeras 1 & 2“ die Ruhrtriennale mit einem umjubelten Paukenschlag eröffnete, war sie schon zu sehen: Mit Einbruch der Dämmerung taucht eine Installation den Park an der Bochumer Jahrhunderthalle im Herzschlag-Rhythmus von Passanten in Scheinwerferlicht, Lautsprecher liefern das „do-dong, do-dong, do-dong“ dazu. Die spektakuläre Lichtkunst-Inszenierung des kanadisch-mexikanischen Künstlers Rafael Lozano-Hemmer ist bis zum 17. September jeden Abend von 21 bis 1 Uhr nachts zusehen.
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Im Essener Museum Folkwang lief zugleich die Ausstellung „12 Rooms“ an – mit Performance. Das war mal die Kunst, mit der man sein Publikum verschreckte. Sperrig, verkopft und mit der Gefahr verbunden, als Zuschauer Teil einer unberechenbaren Aktion zu werden. Im Folkwang aber sind solche Vorbehalte nach Minuten verflogen, wenn sich sichtlich animierte Museumsbesucher fragen, welche Überraschung wohl hinter der nächsten Tür warten könnte.
Performance ist, den Raum mit einer Nackten zu teilen
Es sind ein Dutzend abgeschlossener Kunstkojen, doch sie sind einladend, dem Publikum zugewandt. Performance ist hier, wenn man den Raum für ein paar Minuten mit einer unbekannten Nackten teilt, die Marina Abramovic in Kruzifix-Pose an der Wand postiert hat. Wenn man irgendwas aus der Handtasche friemelt, um es gegen eine gebrauchte Nagelfeile zu tauschen wie bei Roman Ondák, der unseren Blick auf die kleinen Kostbarkeiten des Alltags lenkt. Oder wenn man zur Abwechslung tief in die Knie geht, um zu sehen, was sich hinter der Kunst-Koje von Laura Lima verbirgt, die ihre Arbeit extra tiefer gelegt hat.
Ruhrtriennale 2012
Diese Ruhrtriennale versteht sich als künstlerischer Erlebnisparcours, mit neuen Darstellungsformen und neuen Spielorten wie dem Museum Folkwang. Zehn Tage lang zeigt es die von Klaus Biesenbach und Hans Ulrich Obrist gemeinsam mit dem Manchester Festival zusammengetragene Live-Art-Ausstellung. Ihre anregende, irritierende und doch stets unterhaltsame Choreografie aus Aktion und Situation zeigt aufs Sinnlichste, was der neue Triennale-Intendant Heiner Goebbels meint, wenn er von den Grenzlinien zwischen bildender und Bühnenkunst spricht, die „künstlich aufrechterhalten werden“, aber überflüssig sind.
Verkörperung einer Idee
„12 Rooms“ ist Menschentheater im Museum, Skulptur aus Fleisch und Blut. Kunst, die atmet, schwitzt und um 18 Uhr nach Hause geht. Die Performer, die man hier antrifft, sind nicht die Künstler. Sie sind Verkörperung einer Idee. Nichts für die Ewigkeit, sondern einzig im Hier und Jetzt.
„12 Rooms“ versammelt auch Performance-Klassiker wie John Baldessari oder Joan Jonas’ „Mirror Check“ mit den sich spiegelnden Nackten (1970). Damien Hirsts Idee von den lesenden Zwillingen unter bunten Lackpunkten wurde vor 20 Jahren geboren. Das Schwebende, reizvoll Unerklärliche dieser Kunstform kommt bei Xu Zhens akrobatischer Skulptur chinesischer Wanderarbeiter eindrucksvoll zur Geltung.
Die Idealsituation, mit der Live-Art ganz allein hinter verschlossenen Türen zu sein, mit den Kriegs-Veteranen aus Jugoslawien beispielsweise, die Santiago Sierra schweigend in eine Ecke des Raums stellt, oder mit den knackigen Solarien-Jünglingen, die dank Simon Fujiwara nun zehn Tage lang eine Fremdsprache im Liegen lernen, wird sich freilich selten einstellen. Schon weil man den „12 Rooms“ viel Publikum wünscht, bevor die Schau weiterwandert, nach Sydney und Moskau.