Bochum. . Auch zwei Tage nach dem schrecklichen Absturz eines jugendlichen Kletterers auf einer alten Industriebrache ist das Gelände nur unzureichend gesichert. Die Stadt will dort einen „Industriewald“ wachsen lassen.
Die Stadt spricht von einem „Industriewald“. Man könnte aber auch Dschungel sagen: Wild, aufregend, aber vor allem lebensgefährlich.
Der Dschungel ist eine Brache, die früher zu den Vereinigten Schmiedewerken gehörte. Sie liegt mitten in der Innenstadt, nur 200 Meter von einer Hauptschlagader Bochums, dem Westring, entfernt und direkt an der Glückauf-Bahn. Dort war am Samstag ein 16-Jähriger bei einer waghalsigen Kletteraktion vom Dach einer zwölf Meter hohen Industrieruine gestürzt. Für ihn war sie wohl ein Abenteuerspielplatz.
Zurzeit ist so ein Unfall jederzeit wieder möglich. Das mehrere tausend Quadratmeter große Gelände ist für jedermann problemlos zugänglich. Zwar schützen Zäune mit Nato-Draht das Areal, aber es gibt mehrere, vorsätzlich gebaute Schlupflöcher. Selbst Fußlahme würden dort durchkommen. Trotz des Kletterunglücks - der abgestürzte Junge kämpft weiterhin mit äußerst schweren Verletzungen - waren die Löcher auch am Dienstag noch völlig offen. Auf Schildern am Zaun steht: „Lebensgefahr! Betreten des Geländes verboten! Die Bürgermeisterin.“ Doch Graffiti-Fans haben die Schilder großteils bis zur Unkenntlichkeit übersprüht.
„Lebensgefahr“ herrscht auf der Brache auf Schritt und Tritt. Mit den Armen kämpft man sich durch meterhohen Wildwuchs, unwissend, ob man nicht plötzlich in eine Grube oder einen Schacht fällt, der von Grünzeug überwuchert ist. Nur wenige Meter hinter dem Zaun taucht die Ruine eines mächtigen Hallenkomplexes auf. Sie sieht aus, als würde sie beim nächsten Gewitter zusammenkrachen. Wuchtige Teile aus Stahl, Glas und Holz hängen wie Fallobst unter dem Dach, das von der Witterung so zerfetzt ist wie eine Spieldecke für Hunde. In zehn Metern Höhe hängt ein Kran, darauf steht: „Benrather Masch.-Fabrik 1907. Tragfähigk. 10 t.“ Wären nicht überall Graffiti, man könnte denken: Hier war seit Jahrzehnten kein Mensch. Nur das Rascheln einiger Vögel im Dreck unterbricht die Totenstille.
Kletterdrama
Das Areal ist auch total vermüllt. Beispiele: ein Fernseher, Autoreifen, Sprühdosen, zermatschte Kleidung, ein Haufen mit rund 1000 leeren Katzenfutterdosen, Lebensmittelreste. Hat dort einmal eine arme Seele gehaust? Kupferdiebe waren auch da: Massenhaft liegen geschälte Kabel herum.
„Rückbau der sehr maroden Produktionshallen ist nicht mehr vorgesehen“
Eigentümer ist die Stadt. In den 90er-Jahren hatte sie das Areal mit Fördermitteln des Landes für einen Millionenbetrag von den Schmiedewerken (VSG) gekauft. Geplant war, das Areal für neue Gewerbebetriebe aufzubereiten. Doch das zerschlug sich, weil die Erschließung viel zu teuer ist. Die Zugänglichkeit von öffentlichen Straßen ist miserabel. Um das Fördergeld nicht zurückzahlen zu müssen, vereinbarte die Stadt mit dem Land, stattdessen einen „unzugänglichen Industriewald“ wachsen zu lassen. In einer aktuellen Verwaltungsvorlage heißt es weiter: „Auch der Rückbau der teilweise sehr maroden Produktionshallen ist nicht mehr vorgesehen.“
Die Stadtverwaltung will jetzt mit dem „Landesbetrieb Wald und Holz“ einen Vertrag abschließen mit dem Ziel, den „Industriewald“ zu pflegen - und auch besser zu sichern.