Bochum. Kann Stahl behaglich wirken? Werner Drefke wohnt seit mehr als 30 Jahren in einem Haus, das komplett aus Stahl gebaut ist. Für den gelernten Schlosser ein Paradies, das in Bochum einzigartig ist.
Werner Drefke nestelt an seinem Hörgerät. Wenn er im Haus etwas sucht, legt er das kleine elektronische Hilfsmittel gern beiseite. Es stört ihn wohl. Dass der 79-jährige gelernte Schlosser dann gar nichts mehr wahrnimmt von diesen Reporterfragen, kümmert ihn nicht ganz soviel. Er ist aber froh, dass es ein Reporter ist, der an diesem Nachmittag bei ihm im Wintergarten sitzt und nicht etwa jemand vom städtischen Bauamt. Denn sein Haus ist etwas ganz Besonderes in Bochum. Es ist komplett aus Stahl gebaut, die Wände, Decken, das Dach. Nur, wer es nicht weiß, der sieht es dem Gebäude nicht an, das ein wenig versteckt liegt an der Essener Straße, direkt gegenüber der freien Fläche, auf der früher ein Wahrzeichen der Stahlindustrie stand, der Wasserturm des Höntroper Werks von Thyssen-Krupp.
„Ein Ingenieur vom Bochumer Verein, der soll sich das hier als Musterhaus hingestellt haben“, weiß Drefke, der seit mehr als 30 Jahren dort lebt, gemeinsam mit seiner Frau Brigitte, die an einen Rollstuhl gefesselt ist, seit sie vor einigen Jahren einen schlimmen Schlaganfall erlitt.
Das Haus ist ein Unikat
Werner Drefke hat nicht nur 1961 Schlosser gelernt, nein, er lebt den Schlosserberuf. Bis heute vergeht kein Tag, an dem er nicht im Keller werkelt. Kunstvolle Geländer, Gitter, Verzierungen und der rötliche Klinker vor seinem Haus, der den Stahl mittlerweile verdeckt, sind entstanden und entstehen bis heute. Dabei haben seine Kumpel damals in den 80er Jahren gewarnt: „Mensch Werner, geh da besser nicht rein!“, redeten sie ihm zu. Doch Werner Drefke ließ sich nicht beirren. Er zog ein, zunächst als Mieter, später als Eigentümer und steckte unglaublich viel Arbeitskraft und Geschick in das Haus, das ein Unikat ist.
Ende der 20er Jahre schwappte ein Boom von England nach Deutschland und ins Ruhrgebiet, der die noch aus dem 1. Weltkrieg herrührenden Überkapazitäten der Stahlindustrie für zivile Zwecke nutzen wollte. Hunderte Stahlhäuser wurden in Fertigbauweise errichten: in Düsseldorf, Dortmund, Essen und eines in Bochum, das Haus von Werner und Brigitte Drefke eben. WAZ-Fotograf Ingo Otto zieht ein wenig die Stirne kraus: „Stahl?, ich seh’ keinen Stahl?“ Werner Drefke, der mittlerweile sein Hörgerät wieder am richtigen Platz hinter dem Ohr trägt, denkt kurz nach. „Na, dann kommen se mal mit“. Oben im 1. Stock öffnet er eine winzige Luke und deutet ins Dunkle. Rote Grundierungsfarbe ist zu erkennen.
Denn dort, wo normale Häuser die Dachbalken und Dachziegel aufweisen, sind noch die gegen Rost geschützten Stahlplatten zu erkennen. Überall das ganze Haus, besteht aus Stahl, nur der Keller wurde gemauert. Am Gartenhaus zeigt Drefke die Originaltür, selbstverständlich ebenso aus Stahl.
Starke Widersprüche vereinen sich in einem Haus
800 Quadratmeter groß ist das Grundstück. Ehefrau Brigitte als gelernte Gärtnerin und verwandelte den Garten in ein kleines Paradies. Auch heute noch ist zu erkennen, wie viel Arbeit und Liebe darin steckt. Im nachhinein ist Werner Drefke froh, den skeptischen Rat seiner alten Freunde damals nicht befolgt zu haben. Das Haus, die Nachbarn und die ganze Siedlung rund herum halten ihn jung. Der nächste Auftrag wartet schon, ein Nachbar hat einige Schlosserarbeiten an seinem Auto zu erledigen. . .
In der „Bibel“ der Eisenhütten-Leute, der Fachzeitschrift „Stahl und Eisen“ verwandelte sich der eigentlich Kraft seines Berufes eher nüchterne Baudirektor Heinrich Blecken aus Duisburg-Meiderich zum Propheten. In der Ausgabe vom 12. August 1926 schrieb er: „Trotz allem ist es natürlich, dass der Einbürgerung des Stahlhauses bei uns starke Widerstände erwachsen werden. Das ‘Behagliche’ scheint uns von vorneherein mit einem Wohnhaus aus Eisen schwer vereinbar zu sein.“
Blick in die Geschichte der Stahlhäuser
Blecken hatte für die Vereinigten Stahlwerke, zu denen damals auch der Bochumer Verein für Gußstahlfabrikation gehörte, ein quadratisches Gebäude mit einer rund acht mal acht Meter großen Grundfläche konstruiert. Dieses Gebäude sollte rund 6500 Reichsmark kosten. Fachleute rechneten damals aus, dass es mit nur 60 Prozent der Materialkosten und etwa 40 Prozent des Arbeitslohnes eines vergleichbaren Steinhauses ausgekommen wäre
Offenbar besonders wichtig zur damaligen Zeit, so ein Beitrag in der Zeitschrift der Vereinigten Stahlwerke „Das Werk“ von 1928 war das Gewicht: Ein Stahlhaus wiegt nur 40 Tonnen, was etwa 25 Prozent des Gesamtgewichtes von 140 Tonnen eines normalen Steinhauses ausmachen. Trotzdem, durchsetzen konnte sich der Typ, gedacht zur Behebung der Wohnungsnot nie. Für das Westfälische Amt für Denkmalspflege hat sich Dr. Hans Hanke mit der Geschichte dieser Häuser beschäftigt. Sein Fazit: „Es handelt sich also nicht um bauliche Irrtümer, die hier festgeschrieben werden sollen, sondern um wichtige und seltene Elemente in einer bautechnische bis heute beachteten und angewendeten Konstruktionstradition.“
Dabei gaben sich die Innenarchitekten schon große Mühe, um dem Stahlhaus das Metallische zu nehmen, sogar eine Variante „Bauernstube“ entstand. Die Schwarz-Weiß-Fotografie lässt die Behaglichkeit erahnen. Im Vordergrund strahlt ein großer Kachelofen Wärme ab, und an den Fenstern hängen kleinkarierte Vorhänge, richtig bayerisch der Eindruck: Kein Wunder. Entworfen hatte dieses Idyll ein gewisser Regierungsbaurat Gustav Gsaenger aus München. Später sollte sich der Architekt durch Kirchenneubauten hervortun – diese allerdings nicht aus Stahl.