Bochum. . Die Stadt Bochummuss ein neues Sparpaket schnüren. Bis 2022 sollen dauerhaft 51,5 Millionen Euro weniger ausgegeben werden. Politik und Verwaltung beziehen erstmals die Bürger direkt in die Diskussion über geplante Einschnitte ein.
1,5 Milliarden Euro Schulden hat unsere Stadt. Statistisch betrachtet steht also jeder Bochumer mit 4054 Euro in der Kreide. Im Wettlauf gegen die drohende Pleite beschreitet die Stadt Neuland: Sie bindet Bürger in die Spardebatte ein. Dem Bürgerforum im Internet folgte nun die Bürgerkonferenz.
Samstag, 8.45 Uhr, minus zwölf Grad: Demonstranten säumen den Weg zur Veranstaltung im Ruhrcongress. Die drohende soziale Kälte hat drei bis vier Dutzend Protestler mobilisiert. Angesichts dessen, was da droht, eigentlich nicht viel. Angekündigt sind immerhin die Aufgabe von Schulen, Sportplätzen, Büchereien und Bürgerbüros sowie höhere Steuern und Entgelte/Preise für städtische Leistungen und Veranstaltungen.
Es ist der übliche Protest: Flugblätter, Transparente, Fahnen, schwarze Luftballons. Kinder verteilen Weingummi, halten Plakate. Darauf steht: „Borgholzschule muss bleiben. Sparirrsinn der SPD vermeiden.“ Auf dem Boden liegt die Botschaft der Demo, die vom „Bündnis für Arbeit und soziale Gerechtigkeit“ organisiert wurde: „Sag Nein zur Liste der Grausamkeiten!“
OB spricht vom "Tag der Bürger"
400 sollten es anfänglich werden, mehr als 300 hatten sich angemeldet – rund 200 Bürger hören um kurz nach 10 Uhr das Grußwort von Oberbürgermeisterin Ottilie Scholz (63, SPD). Sie spricht vom „Tag der Bürger“ und von „gelebter Demokratie“. Die Politik höre heute nur zu, sagt Scholz und bittet um respektvollen Umgang miteinander.
Dieser Wunsch erfüllt sich, wenngleich einige krawallige Stimmen gegen den Zeit fressenden „Frontalunterricht“ von Kämmerer Manfred Busch (Grüne) und des Moderators laut werden. Marcus Bloser stellt nicht nur die Ergebnisse des Internet-Votings vor, sondern führt ein Live-Voting durch. Rund 150 Bürgern gefällt’s , sie machen mit. Wie berichtet, hatten sich im Internet 5000 Bochumer beteiligt. Das Ergebnis: 36.000 Stimmen, 10.000 Kommentare und mehr als 1000 Sparvorschläge.
Nach knapp anderthalb Stunden beginnt die Gruppenarbeit - wieder jeweils mit einem kurzen Vortrag. Jetzt haben die Bürger das Wort — oder auch nicht. „Das war eine reine Verkaufsveranstaltung für das Musikzentrum“, bilanziert Kirsten Fuchs (36) die Vormittagsrunde zu „Bildung und Kultur“. Kulturdezernent Michael Townsend habe dominiert, Schulverwaltungsamtsleiter Ulrich Wicking sei nur einmal zu Wort gekommen. „Das war keine Diskussion, Kultur und Bildung hätten man besser getrennt.“
Viele Teilnehmer zeigen sich zufrieden
Besser läuft es im Forum „Arbeit, Wirtschaft, Steuern, Beteiligungen“. „Habe ich das richtig verstanden“, fragt ein Bürger, „die Stadt hat kein Geld für eine neue Heizung und die Stadtwerke beteiligen sich an der Steag?“ Kämmerer Buschs Hinweis auf die „Nachkriegsware“ im Keller des Rathauses sorgt bei vielen für Kopfschütteln.
Vor diesem Hintergrund werden auch die Sponsoring-Aktivitäten der städtischen Beteiligungen für Profisport (VfL Bochum , Sparkassen-Giro) und Events wie Steiger-Award oder Zeltfestival kritisiert. Dann lieber in städtische Gebäude wie Schulen investieren, heißt es. Im „Sport-Forum“ spielen die höheren Entgelte für die Hallennutzung eine große Rolle. „Das müssen wir auf die Beiträge umlegen und dann verlieren wir noch mehr Mitglieder“, klagt ein Vereinsvertreter.
Trotz kritischer Anmerkungen zum Procedere, zeigen sich viele Teilnehmer zufrieden. „Man bekommt hier deutlich mehr Infos als im Internet und kann die Vorschläge besser bewerten“, sagt Rüdiger Schmelz (47). Die Illusion, dass er konkret mit- und abstimmen dürfe, habe er ohnehin nicht gehabt.