Bochum. Seit einigen Monaten ist das neue Wasserkraftwerk am Kemnader See in Betrieb. Die WAZ hat sich mit einem Ingenieur des Ruhrverbandes in die Herzkammer des Kraftwerks begeben, wo Strom für 1200 Haushalte produziert wird.
Die Herzkammer des neuen Wasserkraftwerks am Kemnader See ist nur mit ganz wenigen Maschinen und ein paar Schaltschränken bestückt - trotzdem werden in diesem Raum Wahnsinnskräfte erzeugt.
Die Maschinen saugen sie aus der Tiefe, aus dem Wasser des Stausees. Denn direkt unter diesem rund 100 Quadratmeter großen Raum, abgetrennt nur durch eine Betondecke und einen stählernen Deckel, arbeitet eine mächtige Turbine.
Mit Hilfe des anströmenden Ruhrwassers wird dort so viel Strom erzeugt, dass rund 1200 Haushalte ein ganzes Jahr lang versorgt sind. Es ist 100-prozentiger Ökostrom. Vorher lief das Seewasser energetisch völlig ungenutzt einfach die Wehranlage hinab.
Turbinen-Flügel sehen wie eine Schiffsschraube aus
Täglich kommen hunderte, oft tausende Spaziergänger, Jogger, Skater und Radfahrer unmittelbar an dieser Turbine vorbei, die erst im vorigen Oktober eingeweiht wurde. Sie liegt direkt an der Nordseite des dortigen Wehres. Die Passanten können die Turbine aber nicht sehen, weil sie - und mit ihr die komplette Anlage - einige Meter weit unter der Erde liegt. Sie sehen aber, wie ihnen die Wassermassen entgegenströmen - und das ist der Kraftstoff der Turbine.
Es ist eine Kaplan-Turbine, benannt nach ihrem Erfinder, und wird von den Stauwärtern aus der Warte der Wehranlage gesteuert. Per Computer und per Hydraulik. Die Turbine hat vier gewaltige Flügel mit über drei Metern Durchmesser, die aussehen wie ein Propeller oder eine riesige Schiffsschraube.
In einem Zuflusstunnel aus Beton - acht Meter breit und 2,5 Meter groß - rauscht das Wasser vom See mit gewaltigem Druck gegen diese Flügel und treibt sie an. Maximal 35 Kubikmeter Wasser pro Sekunde strömen dort hinein. Die Flügel bringen wiederum eine senkrechte Welle, sozusagen die Achse der „Schiffsschraube“, zum Rotieren. 91 Mal dreht sie sich pro Minute. Diese Bewegungsenergie wandelt ein spezielles Getriebe in 1000 Umdrehungen pro Minute um. Ein Generator erzeugt daraus Strom - bis zu 677 Kilowatt. Über eine Schaltanlage (10 Kilovolt) speisen die Stadtwerke den Strom schließlich ins Netz. 3,7 Millionen Kilowattstunden produziert das Kraftwerk pro Jahr.
Strom wird an der Energiebörse verkauft
Ulrich Moschner (44) ist Bauingenieur beim Ruhrverband und hat dieses 5,5 Millionen Euro teure Kraftwerksprojekt geleitet. Er spricht mit sehr nüchterner Sachlichkeit über diese ausgefeilte Ingenieurtechnik dort, aber man merkt es ihm an, dass er stolz auf dieses Bauwerk ist. Er erzählt, dass die Turbine doppelt regulierbar ist. Ihre mächtigen Flügel und zusätzlich auch die so genannten Leitschaufeln seien über Computer verstellbar. „Dadurch gelingt es, die Turbine besonders effizient zu betreiben.“ Relevant dafür sind immer die Wassermenge und die Fallhöhe des Wassers am Wehr. Sie liegt bei maximal 2,40 Meter.
Verkauft wird der Strom vom Besitzer und Betreiber des Wasserkraftwerkes, der Lister- und Lennekraftwerke GmbH. Das ist eine Tochter des Ruhrverbandes. Der Vertrieb ist nicht unkompliziert. Die GmbH verkauft den Strom an der Energiebörse. Trotzdem hat sie einen Vertrag mit den Bochumer Stadtwerken.
„Pro Jahr werden mehr als 2000 Tonnen CO22 eingespart“
Sollte sie ihren Strom nicht mehr an der Börse versilbern, müssten die Stadtwerke 12,67 Cent je Kilowattstunde bezahlen. Rein technisch gesehen fließt der Strom vom See aber natürlich schon jetzt durch die Bochumer Haushalte - als CO2-freier Teil eines universellen Strommixes. „Pro Jahr werden so im Vergleich zur Kohleverstromung mehr als 2000 Tonnen CO2 eingespart“, betont der Ruhverband.
Aufgrund der starken Wasserführung der Ruhr steht am Wehr zurzeit kaum Fallhöhe zur Verfügung. Deshalb ist die Turbine abgeschaltet, da sie nicht wirtschaftlich arbeiten kann. Anfang nächster Woche soll sie aber wieder laufen. In das neue Wasserkraftwerk wurde auch eine Fischaufstiegs- und Fischschutzanlage eingebaut. Sie ermöglicht es Wanderfischen, unbeschadet zu ihren Laich- und Aufwuchsgebieten zu gelangen.
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