Bochum. .
Betriebe müssen sich in Zukunft dem schulisch schlechteren Nachwuchs zuwenden. Fachkräfte fehlen schon heute in vielen Branchen. Mit der fortschreitenden Überalterung der Gesellschaft wird der Mangel immer eklatanter spürbar.
„Wenn die Leistungsfähigkeit der Wirtschaft erhalten bleiben soll, wird Ausbildung unverzichtbar“, sagt Jörg Linden, Sprecher der IHK Mittleres Ruhrgebiet. Für den Nachwuchs sei lebenslanges Lernen nötig. Betriebe brauchten ein Wissensmanagement: „Mit jedem ausscheidenden Kollegen geht wertvolles Wissen verloren. Dies gilt es, an Jüngere weiterzugeben.“
Für Udo Glantschnig, Leiter der Bochumer Arbeitsagentur, ist der demografische Wandel kein Desaster, sondern eine Chance. „Es lässt sich schon jetzt erkennen, was auf uns zukommt; umso eher können wir uns mit den Herausforderungen beschäftigen.“
Glantschnig bohrt dicke Bretter. Sein Ziel: Die Unternehmer zu bewegen, sich neuen Schülerstrukturen zuzuwenden. „Bislang dominiert, was ich ,Creaming’ getauft habe: Jeder Betrieb schöpft für sich die schulisch Besten, die Sahne ab. In den zurückliegenden Jahren sind sie ja auch gut damit gefahren. Doch bei genauer Betrachtung müssen sich die Unternehmer fragen: Ist das wirklich gut? Die ,Cream’ mit guten Abschlüssen bleibt selten, sondern wendet sich anderen Anforderungen wie Studium zu.“
Abitur wichtiger als Treue
Hauptschüler halten dem Betrieb eher die Treue. Nach wie vor aber werden in allen Branchen Abiturienten bevorzugt. „In Bochum versuchen IHK, Kreishandwerkerschaft und wir als Arbeitsagentur zu verdeutlichen: Die Zeiten ändern sich. Die Bewerberzahl geht zurück, von Jahr zu Jahr um drei bis fünf Prozent. Ab 2015 wird der Rückgang zweistellig.“
Also müssten sich Arbeitgeber der Gruppe zuwenden, von der oft behauptet wird, sie könne nicht lesen, nicht schreiben, nicht rechnen. Das Potenzial der Erwerbstätigen werde sich bis 2020 um 4,5 Millionen Menschen (minus zehn Prozent) bundesweit reduzieren, das Ruhrgebiet sogar noch stärker betroffen sein mit 12 bis 13 Prozent. Also sei die Hinwendung zu Hauptschülern unumgänglich. „Oberbürgermeisterin Scholz zeigt Bereitschaft, dass die Stadt bei ihren Auszubildenden auch solche Hauptschüler berücksichtigen werde, die schulisch schlecht abgeschlossen haben. Auch die Stadt-Töchter wollen das erwägen.“
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Das sei laut Glantschnig der Ansatz, sich jetzt mit dem zu befassen, was in einigen Jahren die Berufswelt ereilen werde. „Nötig werden dabei mehr Förderung, mehr Engagement, mehr Zeit für den Nachwuchs, sonst kann es für Unternehmen zum echten Existenzproblem werden.“
Mit dem Kopf der Jugend denken
Auf Handwerksebene sei dieses Thema bereits angekommen, die wende sich zunehmend dieser Gruppe am Markt zu, die ihr die Zukunft retten könne.
Damit Schüler und Unternehmer zusammenkommen, müssten sich Arbeitgeber Zugangskanäle verschaffen: „Sie müssen mit dem Kopf der Jugendlichen denken, wenn sie sie erreichen wollen. Heute gilt: Was nicht in TV-Soaps oder bei Facebook vorkommt, existiert auch nicht.“ Deshalb gilt, bei aller Hinwendung zu neuen Medien, bei jungen Leuten heute noch eine Job-Top-Ten wie zu Zeiten ihrer Eltern: Bei Jungs rangieren der Bank- und Industriekaufmann oben, gefolgt vom Kfz-Mechatroniker, dem Einzelhandelskaufmann und dem Elektriker. Mädels bevorzugten die Fachhelferin in medizinischen Berufen, die Apothekenhelferin und die Bürokauffrau.
„Clevere Branchen sollten sich in Doku-Soaps platzieren. Die Rolle eines Gas- und Wasserinstallateurs machte den Beruf schlagartig interessant für Jugendliche. Seit der Zunahme der Kochshows wollen alle Tim Mälzer werden; früher war der Job verpönt, wegen der Arbeitszeiten und der schlechten Bezahlung.“