Bochum. . Jochen Kodal ist Bochums oberster Todesermittler. 1700 bis 1800 „Todesermittlungsverfahren“ leitete der Oberstaatsanwalt im vergangenen Jahr ein. Außerdem veranlasste er 360 Leichenöffnungen. Aber: „Vollendete Tötungsdelikte haben wir wenige.“

„Ich glaube schon“, sagt der Bochumer Oberstaatsanwalt Jochen Kodal auf die Frage der WAZ, ob es den perfekten Mord gibt. „Den wird es sicher geben.“ Es wäre arrogant zu sagen, dass es sowas bei uns nicht gebe. Dann fällt Kodal der bekannte Spruch von Rechtsmedizinern ein: „Wenn auf jedem Grab eines unentdeckt Ermordeten eine Kerze stünde, wären Deutschlands Friedhöfe hell erleuchtet.“

Kodal leitet die Abteilung 30 der Bochumer Staatsanwaltschaft. Sie ist zuständig für Kapital- und Brandsachen sowie für ungeklärte Todesfälle in Bochum, Herne, Witten und Teile des Kreises Recklinghausen. Im vorigen Jahr hat der 61-Jährige 1700 bis 1800 „Todesermittlungsverfahren“ eingeleitet, allein in Bochum rund 1100. „Das hat in den letzten Jahren zugenommen“, sagt er. Eine sichere Erklärung hat er dafür nicht. Vielleicht läge es daran, dass die Verstorbenen heute nicht mehr so enge Kontakte zu einem Hausarzt hätten und im Todesfall dann ein Notarzt ins Haus komme. Und Notärzte kreuzten auf dem Totenschein der Leichenschau grundsätzlich „ungeklärte Todesursache“ an, wenn sie die Krankengeschichte des Toten nicht kennen. Vielleicht seien sie auch sensibler geworden.

30 neue Todesfälle an einem Tag

„Grundsätzlich werden wir immer eingeschaltet, wenn ein Arzt anlässlich eines Sterbefalles eine ungeklärte beziehungsweise nicht natürliche Todesurache bescheinigt“, erklärt Kodal. An einem einzigen Tag kamen schon einmal 30 neue Todesfälle auf seinen Tisch. „Sobald wir sagen, wir können ein Fremdverschulden nicht ausschließen, beantragen wir bei einem Anfangsverdacht die Leichenöffnung, eine Obduktion.“ Im vorigen Jahr war dies 360 Mal der Fall.

Die schaurige Prozedur findet am Institut für Rechtsmedizin in Essen statt. Die - insgesamt drei - „Kapitaldezernenten“ sind immer dabei. Allerdings mündet danach nur eine geringe zweistellige Anzahl der Fälle auch wirklich in ein Strafverfahren. Das laufe dann nicht zwingend unter dem Verdacht des Mordes, sondern kann - etwa bei Ärzten - auch „fahrlässige Tötung“ sein. „Vollendete Tötungsdelikte haben wir wenige“, sagt Kodal. Fast alle Todesermittlungsverfahren werden eingestellt. „Die Rechtsmediziner können zwar nicht immer eine genaue Todesursache feststellen, etwa weil die Leiche verwest ist oder Erkrankungen nur durch weiterführende, sehr aufwendige Untersuchungen diagnostiziert werden können. Aber wir betreiben diese Verfahren auch nur, um ein Fremdverschulden auszuschließen. Dann klären wir das lieber zeitnah, als später eine Exhumierung durchzuführen.“

Obduziert werden Wasserleichen, Brandopfer, Drogenopfer und einige Unfallopfer

Grundsätzlich lässt der Oberstaatsanwalt obduzieren, wenn es rund um einen Todesfall Streitigkeiten um das Erbe gibt oder die Leiche Verletzungen aufweist. Obduziert wird ferner jede Wasserleiche, auch die, die in der Badewanne lag. War der Mensch ertrunken oder schon vorher tot? Wurde er unter Wasser gedrückt? Obduziert werden auch alle Drogentoten. Und Verkehrsunfallopfer, wenn der Tod zeitlich versetzt zum Unfall eintrat. War der Unfall ursächlich für den Tod?

Apropos Verkehrsunfall: Kodal erinnert sich an einen Motorradfahrer, der aus einer Kurve flog und starb. Alles sah nach einem Alleinunfall aus. Der Ermittler hatte damals aber ein „Bauchgefühl“ - und ließ die Leiche aufschneiden. Ergebnis. Im Herzen steckte ein Projektil. Der Arzt hatte das Mini-Loch übersehen. Der Todesschütze wanderte für viele Jahre ins Gefängnis.

„Man muss aufpassen, was man sagt“

Kodal lässt eine Leiche auch dann öffnen, wenn direkt nach dem Tod zu erwarten ist, dass von Hinterbliebenen oder Zeugen Vorwürfe wegen Fremdverschulden aufkommen. Etwa bei häuslicher Gewalt („Der hat die immer geschlagen“), bei auffallender Eifersucht oder zweifelhaften Bemerkungen vor dem Tod: Zu sagen „Ich bring die um“, und sei es noch so unernst gemeint, kann folgenschwer sein. Kodal: „Man muss aufpassen, was man sagt.“

Verfahren gegen „Angehörige von Heilberufen“

Eine eigene Abteilung hat die Staatsanwaltschaft für die Todesermittlungsverfahren, die sich gegen „Ärzte und Angehörige von Heilberufen“ richten. Oberstaatsanwalt Wolfgang Dörsch leitet sie. Pro Jahr betreibt er rund 200 Verfahren (mit rund. 50 Obduktionen). Ergebnis: „Es sind sehr wenige Fälle, in denen die Ursächlichkeit eines Behandlungsfehlers für den Tod oder den schweren Gesundheitsschaden eines Menschen gerichtlich verwertbar festgestellt werden kann.“ Entsprechend selten sind strafgerichtliche Verurteilungen von Ärzten oder Pflegekräften. Viele dieser Fälle landen auch vor der 6. Zivilkammer. Diese Richter entscheiden über Schmerzensgeld und Schadensersatz, nicht über Strafen.