Bochum. .

Die Studenten sahen sich bei der Antrittsvorlesung von Margot Käßmann als erste Inhaberin der Max-Imdahl Gastprofessur in der Minderzahl. Rund 1800 Zuhörer füllten am Mittwoch das Auditorium Maximum der Ruhr-Universität - sie wurden nicht enttäuscht.

„Sich in fremder Umgebung und Kultur beheimaten, ist ein kreativer Prozess. Menschen aus fremden Ländern bei uns vor Ort begegnen, ist eine Chance zur Bereicherung. So gesehen ist Zuwanderung ein Glücksfall“, sagte die 52-jährige Theologin und ehemalige Ratsvorsitzende der evangelischen Kirche.

Dabei verkündete sie wenig Revolutionäres oder gar Skandalöses. Wer das vor dem Hintergrund ihrer provokanten Afghanistan-Äußerung aus ihrer Neujahrspredigt 2010: „Nichts ist gut in Afghanistan!“ erwartet hatte, dürfte enttäuscht gewesen sein. Dies entspricht jedoch auch nicht dem Naturell der frischgebackenen Gastprofessorin. Dabei sorgen solche Äußerung und natürlich die Umstände ihres Rücktritts als frühere hannoversche Landesbischöfin für entsprechende Popularität.

Absage an blinde Multikulti-Slogans

Margot Käßmann war so klug, dies nicht zu überstrapazieren. Sie nutzte die Bühne – unterstrichen durch eine für eine Antrittsvorlesung an der Ruhr-Universität sicherlich einmalig große Medienpräsenz – , um an die Verantwortung der Religionen vor dem Hintergrund regionaler oder internationaler Konflikte zu appellieren. „Multikulturelle Gesellschaft – Wurzeln, Abwehr und Visionen“, lautete der Titel ihrer Vorlesung. Sie füllte das Thema aus mit nachdenklichen Worten zur Integrationspolitik in Deutschland, zur Kriminalität und zu Abschottungstendenzen.

Dabei erteilte sie blinden Multikulti-Slogans oder dem Begriff der „Leitkultur“ genauso eine Absage wie sie religiösen Fanatismus oder Kriminalität unter Jugendlichen kritisch beleuchtete. Ganz Pfarrerin fragte sie: „Was kann Religion dazu beitragen, dass Menschen sich integrieren in eine Gesellschaft von Gleichheit und Freiheit und dem Anspruch auf gewaltfreie Beziehungen?“ Ihr Appell, ihre Vision steht für die richtige Balance zwischen den Grundlagen dieser Gesellschaft und auf der anderen Seite der Freude und Offenheit für die Vielfalt und das Verschiedene.

Erfreuliche Reaktionen

Käßmanns bewegtes Leben

Die in Marburg geborene Theologin und Pfarrerin führt fünf Jahre lang gemeinsam mit ihrem damaligen Mann Eckhard Käßmann eine Gemeinde in Nordhessen. Das Ehepaar hat vier Töchter.
Die in Marburg geborene Theologin und Pfarrerin führt fünf Jahre lang gemeinsam mit ihrem damaligen Mann Eckhard Käßmann eine Gemeinde in Nordhessen. Das Ehepaar hat vier Töchter. © AP
Nachdem sie verschiedene kirchliche Ämter bekleidet hat, wird Käßmann 1999 zur Bischöfin der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Hannover gewählt. Sie ist erst die zweite Frau, die dieses Amt bekleidet.
Nachdem sie verschiedene kirchliche Ämter bekleidet hat, wird Käßmann 1999 zur Bischöfin der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Hannover gewählt. Sie ist erst die zweite Frau, die dieses Amt bekleidet. © AP
Im Jahr 2006 wird bei der 48-Jahre alten Bischöfin Brustkrebs diagnostiziert. Zwei Monate nach der Operation und anschließender Strahlentherapie tritt sie wieder in der Öffentlichkeit auf.
Im Jahr 2006 wird bei der 48-Jahre alten Bischöfin Brustkrebs diagnostiziert. Zwei Monate nach der Operation und anschließender Strahlentherapie tritt sie wieder in der Öffentlichkeit auf. © AP
Die Trennung von Eckhard Käßmann im Jahr 2007 wird zwar aus eigenen Reihen spitz kommentiert, schadet aber nicht ihrer Beliebtheit
Die Trennung von Eckhard Käßmann im Jahr 2007 wird zwar aus eigenen Reihen spitz kommentiert, schadet aber nicht ihrer Beliebtheit © ddp
Eine geschiedene Mutter an der Spitze der evangelischen Kirche: 2009 wird sie zur ersten weiblichen Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland gewählt.
Eine geschiedene Mutter an der Spitze der evangelischen Kirche: 2009 wird sie zur ersten weiblichen Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland gewählt. © AP
Käßmann äußert sich häufig zu aktuellen politischen und sozialen Themen. Sie kritisiert öffentlich die katholische Kirche und fordert etwa die Abschaffung des Zölibats.
Käßmann äußert sich häufig zu aktuellen politischen und sozialen Themen. Sie kritisiert öffentlich die katholische Kirche und fordert etwa die Abschaffung des Zölibats. © ddp
Die Kritik am Afghanistan-Einsatz bei ihrer diesjährigen Neujahrspredigt in der Dresdener Frauenkirche löst eine heftige Kontroverse aus.
Die Kritik am Afghanistan-Einsatz bei ihrer diesjährigen Neujahrspredigt in der Dresdener Frauenkirche löst eine heftige Kontroverse aus. © ddp
Mit 1,54 Promille wird die oberste Repräsentantin der evangelischen Gläubigen in Deutschland hinterm Steuer ihres Dienstwagens erwischt. Dieser Fehltritt bringt ihre Glaubwürdigkeit in Gefahr.
Mit 1,54 Promille wird die oberste Repräsentantin der evangelischen Gläubigen in Deutschland hinterm Steuer ihres Dienstwagens erwischt. Dieser Fehltritt bringt ihre Glaubwürdigkeit in Gefahr. © PublicAd
Am 24. Februar 2010 zieht sie die Konsequenzen aus ihrem Fehlverhalten und tritt von ihrem Amt der Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche zurück.
Am 24. Februar 2010 zieht sie die Konsequenzen aus ihrem Fehlverhalten und tritt von ihrem Amt der Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche zurück. © ddp
Beim 2. Ökumenischen Kirchentag im Mai in München wurde die ehemalige Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) von den Gläubigen begeistert begrüßt. Auch wenige Tage später...
Foto: Joerg Koch/ ddp
Beim 2. Ökumenischen Kirchentag im Mai in München wurde die ehemalige Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) von den Gläubigen begeistert begrüßt. Auch wenige Tage später... Foto: Joerg Koch/ ddp © ddp
...als sie rund drei Monaten nach ihrem Rücktritt sie zum ersten Mal wieder in der zentralen Marktkirche in Hannover predigte, wurde sie von ihrer Gemeinde positiv aufgenommen.
 Foto: Jens Schulze/Pool/ddp
...als sie rund drei Monaten nach ihrem Rücktritt sie zum ersten Mal wieder in der zentralen Marktkirche in Hannover predigte, wurde sie von ihrer Gemeinde positiv aufgenommen. Foto: Jens Schulze/Pool/ddp © ddp
Ab 1. Januar 2011 wird Margot Käßmann die Max-Imdahl-Gastprofessur an der Ruhr-Universität Bochum übernehmen und dort ein Jahr lang auf dem Gebiet der Ökumene und Sozialethik forschen und lehren.
Foto: Ingo Otto / WAZ FotoPool
Ab 1. Januar 2011 wird Margot Käßmann die Max-Imdahl-Gastprofessur an der Ruhr-Universität Bochum übernehmen und dort ein Jahr lang auf dem Gebiet der Ökumene und Sozialethik forschen und lehren. Foto: Ingo Otto / WAZ FotoPool © WAZ FotoPool
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Eine Zuhörerin, die nach der Vorlesung resümierte und sich nach eigenen Worten zuvor noch nicht mit „Frau Käßmann“ beschäftigt hatte, sagte: „Ich kam, weil sie eine öffentliche Person geworden ist und ich hören wollte, was sie zu sagen hat.“ Jetzt wolle sie sich näher mit dieser Frau und ihren Ansichten beschäftigen.

Solche Reaktionen dürften Margot Käßmann freuen, die sich übrigens nur einmal und das nur am Rande zu ihrer neuen Lebenssituation ein wenig persönlich äußerte. Sie dankte der Hochschule und ihrem Rektor, Prof. Elmar Weiler, für die Max-Imdahl-Professur: „Es ist geschenkte Zeit sozusagen zum Lesen und Lernen, auch zum Reden und Weitergeben, aber in jedem Fall eine Zeit, die nicht so unter Termindruck steht wie etwa ein bischöfliches Amt.“

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