Bochum. .
In der Dunkelgaststätte „Zappenduster“ in Bochum-Hamme werden Speis und Trank in totaler Finsternis aufgetischt. Blinde Kellner helfen dabei den Gästen als Wegweiser.
„Ist noch Brot da?“ - „Warte, ich fühl’ mal.“
Im Gastraum ist es duster. „Zappenduster“. So lauten Name und Programm der Dunkelgaststätte an der Gahlenschen Straße 129: Bochums einzigem Lokal, in dem Speis und Trank von blinden Kellnern in totaler Finsternis aufgetischt werden. Die WAZ hat sich herangetastet.
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„Gleich wird’s duster. Wir haben den Strom nicht bezahlt.“ Majsar Saliov (47) beobachtet immer wieder: Wer zum ersten Mal im Dunkeln diniert, ist anfangs nervös, fast ängstlich. Der Begrüßungsspruch mit dem Strom ist Standard. „Die Menschen lachen und sind entspannter.“
Seit dem 16. Lebensjahr erblindet
Im Februar hat der aus Mazedonien stammende Bochumer das „Zappenduster“ eröffnet. Seit dem 16. Lebensjahr erblindet, hatte er in den letzten Jahren in Essen und Köln als Kellner in Dunkelrestaurants gearbeitet. „Die Läden laufen gut. Irgendwann dachte ich mir: Das kann ich mit meiner Familie auch.“
Die Hoffnung auf viele (erlebnis-)hungrige Gäste wurde nicht enttäuscht; der kulinarische Dark Room wird immer beliebter. „Alle kommen aus Neugier. Viele kommen wieder“, freut sich Durija (22), Tochter von Majsar Saliov, die die Geschäfte und das siebenköpfige Team führt.
Auch beim WAZ-Besuch am gemeinhin umsatzschwachen Montagabend ist das Lokal gut gefüllt. Nachdem Mantel, Uhr und Handy ab- und die Bestellungen aufgegeben sind, schreiten wir mit Majsar in die zweitürige Verbindungsschleuse. Sie gewährleistet, dass vom Eingangsraum kein Licht in den Speisesaal fällt.
„Manche geben sich cool und abgeklärt. Aber die schwitzenden Hände sind verräterisch.“
Majsar öffnet die Pforte ins Reich der Finsternis. Der Chef schreitet mit schlafwandlerischer Sicherheit vorweg. Wir trippeln Hand an der Schulter im Gänsemarsch hinterher. Behutsam lassen wir uns am Tisch nieder, ertasten Teller, Besteck, den Brotkorb. Am Daumen klebt plötzlich weiche Masse. Grüße vom Dip.
„Die Getränke stehen halblinks. Orientiert Euch am besten an der Tischkante.“
Das Trinken funktioniert unfallfrei. Bei der Tomatensuppe (die sich später als Kartoffelsuppe entpuppt) wird’s schwieriger. Der Löffel schwappt über oder kehrt nach einer Leerfahrt zum Teller zurück. Erst nach mehreren Anläufen gelingt es, das Mittelmaß zu finden.
Bewegungen in Zeitlupen-Tempo
Man könnte die Augen schließen, hat sie aber doch weit geöffnet und versucht, sein Gegenüber zu fixieren. Die Tischgespräche: dezent. Die Bewegungen: in Zeitlupen-Tempo, darauf konzentriert, ja nichts umzustoßen.
„Echt lecker, das Steak.“ - „Entschuldigung, aber das sind Schweinemedaillons.“
Majsar kennt das schon: Zwar soll das Essen im Dunkeln die Geschmacksnerven sensibilisieren. Bei der Frage, was sie da eigentlich zum Munde führen, irren viele Gäste gleichwohl kläglich.
Immerhin: Die Nahrungsaufnahme klappt inzwischen erstaunlich gut. Das „blinde“ Schneiden eines Fleischstückes führt zwar nicht immer zu mundgerechten Happen. Das Stochern in den Kartoffeln und im Gemüse indes hinterlässt eine wohlgefüllte Gabel.
„Manche Gäste klauen das Besteck ihres Begleiters. Geübte Dunkelesser vertauschen Fleisch und Beilage. Witzig!“
Majsars Fröhlichkeit steckt an. Das Hauptgericht ist geschafft. Die Stimmung und der Geräuschpegel auch an den Nebentischen steigt. Dabei steht die wahre Herausforderung noch bevor: die Dessert-Komposition u.a. mit Tiramisu, Eis und Banane. Der kleine Löffel irrt und schwirrt über den Teller. Einige Süßigkeiten landen auf dem Tisch, andere darunter. Lecker ist's allemal: die Nachspeise ebenso wie das komplette Menü.
„Gott, ist das hell!“
Nach zwei Stunden führt uns Majsar durch die Schleuse zurück in den Empfangsraum. Nur langsam gewöhnen sich die Pupillen ans Licht. Neue Gäste warten darauf, dass ihnen schwarz vor Augen wird. „Sehen wir uns bald wieder?“, fragt Majsar und lacht.
Mal schauen.