Bochum. Bipolare Störung, Depressionen, Psychosen: Diese Diagnose stellten Ärzte bei Frank. Die Therapie in der LWL-Uniklinik in Bochum ist ungewöhnlich.
Frank ist stabil. Seit einem Jahr bleibt er von den Folgen seiner schweren psychischen Erkrankung weitgehend verschont. Eine bipolare Störung mit Depressionen und Psychosen haben die Ärzte des LWL-Universitätsklinikums bei dem 39-Jährigen diagnostiziert. Um mit seiner Psychiaterin zu sprechen, muss Frank aktuell nur einmal im Quartal aus dem Münsterland nach Bochum reisen. Dazwischen schalten sich Ärztin und Patient im Video-Call zusammen. Therapie im Homeoffice: „Das ist bei uns inzwischen Alltag“, sagt Klinikdirektor Prof. Georg Juckel.
Immer mehr Krankmeldungen, langes Warten auf Therapieplatz
Immer mehr Menschen sind psychisch krank. Die Zuwachsraten sind alarmierend. Die AOK hat in ihrem jüngsten Fehlzeiten-Report ermittelt, dass die beruflichen Fehltage aufgrund seelischer Leiden seit 2012 um 48 Prozent zugenommen haben. Knapp 30 Arbeitstage im Jahr umfassen hier inzwischen die AU-Meldungen.
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Die Entwicklung spiegelt sich in der medizinischen Versorgung wider. Die Wartezeit auf einen Psychotherapie-Platz beträgt sechs bis acht Monate, mitunter ein Jahr. „Deutlich überlaufen“ sei auch die LWL-Klinik an der Alexandrinenstraße mit ihren 170 Betten und 50 Plätzen in der Tagesklinik, schildert Georg Juckel, der mit seinem Team pro Jahr rund 25.000 Patienten betreut. Sein Fazit: Trotz aller Bemühungen und Appelle „werden Menschen mit psychischen Störungen weiterhin unzureichend versorgt“.
Die Vorgabe lautet: mehr ambulant, weniger stationär
Die Bochumer Fachklinik will gegensteuern. Vorgabe: mehr ambulant, weniger stationär. Mit einer Liegedauer von durchschnittlich 17 Tagen rangiert das LWL-Haus schon jetzt markant unter dem Bundesschnitt von 25 Tagen. Über die rund um die Uhr geöffnete und stark beanspruchte Ambulanz hinaus soll es gelingen, mehr Betroffenen zu helfen, ohne dass sie dafür dauerhaft in der Klinik behandelt werden müssen.
Dabei spielen die „Stationsunabhängigen Leistungen“ (kurz: SUL) eine wichtige Rolle: ein von den Krankenkassen anerkanntes Modellvorhaben der Klinik, eines von bundesweit 20. „SUL macht es uns einfacher, die Therapien flexibler vorzunehmen. Die infrage kommenden Patienten sind nur noch stunden- und tageweise bei uns oder werden zu Hause besucht“, erklärt Georg Juckel.

Psychiater: Technik wird niemals den persönlichen Kontakt ersetzen
Bei jedem zehnten Patienten taucht der Arzt oder die Ärztin mittlerweile auch auf dem Monitor, Laptop oder Smartphone auf. Digitale Therapiegespräche, befeuert durch Corona, sind auf dem Vormarsch: ob einzeln oder in der Gruppe mit bis zu sechs Teilnehmern.
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Niemals werde die Technik den persönlichen Kontakt zwischen Patient und Psychiater ersetzen können, betont Prof. Juckel. Gerade zu Beginn einer Erkrankung oder bei schweren Verläufen seien Vier-Augen-Gespräche unerlässlich. Im weiteren Verlauf, während des langen Wartens auf einen Therapieplatz ebenso wie in Notfällen, biete die digitale Sprechstunde aber sehr wohl Vorteile: Die Patienten können sich zu Hause oder mobil zuschalten und werden trotzdem fachlich fundiert stabilisiert. Der Klinikbetrieb wird entlastet. Und: Einen Eindruck vom Zustand des Erkrankten könne man sich auch per Video-Chat machen und dabei unterschwellige Körpersignale wie Blick, Haltung und Mimik wahrnehmen, versichert Juckel.
Patient: Digital-Format reicht in stabilen Phasen vollkommen aus
„Bei den Patienten kommt das digitale Angebot sehr gut an. Das ist weit mehr als eine Notlösung“, sagt der Klinikchef – und wird von Frank (der seinen Nachnamen nicht veröffentlicht sehen möchte) bestätigt.
Seit 2021 nutzt der IT-Spezialist die Video-Unterhaltung mit der LWL-Klinik. Seine Erfahrungen als Patient entsprechen der Expertise von Prof. Juckel. In guten Zeiten reiche das monatliche Digital-Format vollkommen aus. In schlechten Zeiten hingegen seien die Vor-Ort-Versorgung und das unmittelbare Gespräch unverzichtbar.
Frank ist zuversichtlich, sich noch lange vom Münsterland aus in den LWL-Chat einzuwählen. Denn das hieße: Er ist weiterhin stabil.
Infomationen und Beratung: uk-bochum.lwl.org/de