Bochum. Depressionen sind noch immer ein Tabu. In Bochum arbeitet seit zehn Jahren ein Bündnis auf Profis und Ehrenamtler, das Stigma aufzubrechen.

30.000 Bochumer, so schätzen Fachärzte, leiden an Depressionen. Dabei bewegen sich sowohl die Erkrankten als auch deren Angehörige vielfach noch immer in der Tabuzone; geprägt von Scham- und Schuldgefühlen, unfähig zu einem offenen Umgang. Dieses Stigma aufzubrechen, Rat und Hilfe zu leisten, hat sich das Bochumer Bündnis gegen Depression zur Aufgabe gemacht. Zum Jahresbeginn blicken die Akteure auf das zehnjährige Bestehen zurück.

„Schuld? Danach fragt man bei einer Blinddarmentzündung doch auch nicht!“ Dr. Jürgen Höffler unterstreicht es immer wieder: Depressionen sind „eine Krankheit wie jede andere Erkrankung auch“, weit weg von Schuld oder persönlichem Versagen. Immerhin: Diese Einsicht wachse, beobachtet der Psychiatrie-Chefarzt am Martin-Luther-Krankenhaus in Wattenscheid. Das zeige nicht zuletzt die Zunahme bei den Fehltagen, die die Krankenkassen seit Jahren registrieren. Das, so Höffler, weise nicht auf mehr Erkrankte, sondern auf die steigende Bereitschaft hin, sich zu der Krankheit und ihren verschiedenen Erscheinungsformen (Stichwort Burnout) zu bekennen und sich behandeln zu lassen.

Seit zehn Jahren besteht das Bochumer Bündnis gegen Depression: hier die Vorstandsmitglieder (v.l.) Hans-Jürgen Koch, Dr. Knut Hoffmann (LWL-Klinik), Sabine Schemmann, Holger Rüsberg und Dr. Jürgen Höffler (Martin-Luther-Krankenhaus).
Seit zehn Jahren besteht das Bochumer Bündnis gegen Depression: hier die Vorstandsmitglieder (v.l.) Hans-Jürgen Koch, Dr. Knut Hoffmann (LWL-Klinik), Sabine Schemmann, Holger Rüsberg und Dr. Jürgen Höffler (Martin-Luther-Krankenhaus). © Jürgen Stahl

Bochumer Bündnis: Offener Stammtisch ist ein Anlaufpunkt

Wie und wo es Unterstützung gibt, vermittelt das Bündnis mit seinen Ehrenamtlern und Profis, angeschlossenen Fachkliniken (Martin-Luther- und LWL-Klinik, Augusta und Helios St. Josefs), Beratungsstellen, Selbsthilfe- und Angehörigengruppen bis hin zur Volkshochschule. „Wir können keine Therapie leisten, aber umfangreiche Information und Aufklärung“, sagt die langjährige Vorsitzende Sabine Schemmann, die selbst von der Krankheit betroffen ist. Dabei seien vor allem kurzfristige Hilfsangebote gefragt – wichtig mit Blick auf die bis zu sechsmonatigen Wartezeiten bei niedergelassenen Fachärzten und Therapeuten sowie Wartelisten in den Kliniken.

Als ein Anlaufpunkt dient der offene Stammtisch, zu dem das Bündnis an jedem ersten Dienstag eines geraden Monats (nächster Termin: 4. Februar) um 18.30 Uhr im Haus der Begegnung an der Alsenstraße 19a einlädt. Erkrankte und Angehörige können sich hier zwanglos austauschen, Fragen stellen, einen Überblick über das Beratungsangebot in Bochum gewinnen – und sich bei Bedarf einer Selbsthilfegruppe anschließen.

Für ihr Robert-Enke-Stiftung, die das Thema Depression in die Öffentlichkeit trägt, erhielt Teresa Enke im Dezember 2019 in Bochum den Sonderpreis der 1Live-Krone. Laudator war Moderator Jürgen Domian.
Für ihr Robert-Enke-Stiftung, die das Thema Depression in die Öffentlichkeit trägt, erhielt Teresa Enke im Dezember 2019 in Bochum den Sonderpreis der 1Live-Krone. Laudator war Moderator Jürgen Domian. © FUNKE Foto Services | Kai Kitschenberg

„Reiß dich zusammen“ hilft wenig

Vielfach sei die Schwellenangst groß, berichtet der 2. Vorsitzende Hans-Jürgen Koch. „Wenn wir einen Info-Stand aufbauen, halten die Leute erst einmal Abstand, kommen immer wieder vorbei – bevor sie sich trauen, uns anzusprechen“, sagt Koch, auch er ein Betroffener. Sein Appell: „Schämt euch nicht! Eine Depression kann jeden treffen, unabhängig von Alter, Geschlecht und sozialem Status.“

Hier gibt es Informationen

Über das breitgefächerte Hilfsangebot in unserer Stadt informiert das Bündnis im Internet auf www.bochumer-buendnis-depression.de. Telefonische Auskünfte gibt es in der LWL-Klinik unter 0234/50 77 11 06.

Die nächste Veranstaltung ist am 12. Februar in der Volkshochschule am Gustav-Heinemann-Platz. Um 18.30 Uhr heißt es: „Trauma verstehen“. Referentin ist die Ergotherapeutin Martha Pany.

Das zehnjährige Bestehen würdigt das Bündnis am 28. März mit einem Treffen und einer Podiumsdiskussion im Haus der Begegnung an der Alsenstraße.

Gedrückte Stimmung, Freud- und Antriebslosigkeit, bleierne Müdigkeit, hartnäckige Schlafstörungen, zuletzt tiefe Verzweiflung und Todesgedanken: Je eher Betroffene professionelle Hilfe annehmen, desto besser sind die Behandlungsmöglichkeiten. Dabei seien auch die Familien gefordert, betont Chefarzt Dr. Höffler. „Ratschläge“ wie „Denk mal an was Schönes“ oder „Reiß dich zusammen“ helfen da wenig. Gegenseitige Schuldzuweisungen erst recht nicht.

Preis für Enke-Stiftung fördert Akzeptanz

Auf dem Weg zu mehr Akzeptanz wurde in Bochum im Dezember 2019 ein Zeichen gesetzt. Die Robert-Enke-Stiftung wurde in der Jahrhunderthalle mit dem Sonderpreis der 1Live-Krone ausgezeichnet. Ihr seid nicht allein! Lasst euch helfen! So lauteten die Botschaften, die Teresa Enke in Erinnerung an ihren verstorbenen Mann, den Ex-Nationaltorwart Robert Enke, ins Land sendete.

Das Bochumer Bündnis weist dafür zuverlässig und kompetent den Weg.

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