Bochum. Einsamkeit, chronischer Stress, Sorgen um die Existenz - wie bei Corona. Es gibt viele Auslöser für Depressionen. Ein Experte nennt Lösungswege.

Es gibt noch viele Vorurteile psychischen Krankheiten gegenüber, so Dr. Jürgen Höffler (57). Doch der Chefarzt der Psychiatrie im Martin-Luther-Krankenhaus in Bochum-Wattenscheid betont, dass sich kein Mensch für Depressionen schämen muss. Insbesondere in der Corona-Krise gebe es mehr Patienten mit Depressionen, so der Experte.

Wie äußert sich eine Depression bei den Menschen?

Depression hat 1000 Gesichter. Es gibt ganz viele Facetten. Viele Menschen sind freudlos, bedrückt, traurig. Sie grübeln, haben Antriebsstörungen, Schlafstörungen. Bei vielen Depressionen gibt es auch eine körperliche Symptomatik. Extreme Kraftlosigkeit, manche nehmen viel Gewicht ab, weil sie keinen Appetit mehr haben.

Welche ersten Schritte sind sinnvoll?

Vielen fällt es schwer, das einzuordnen, wenn sie merken, mit ihnen stimmt etwas nicht. Wichtig ist, es anzusprechen, mit Angehörigen zu reden, mit dem Hausarzt. Es gibt viele Vorurteile gegenüber psychischen Krankheiten. Menschen sagen: „Stell dich nicht so an! Du musst dich nur zusammenreißen!“ Dieses Stigma ist eine große Barriere, warum Menschen keine Hilfe suchen. Dabei muss sich keiner dafür schämen.

Wie können Familienmitglieder und Freunde helfen?

Das Beste ist, offen zu sein und zuzuhören, zu sagen: „Ja, du hast dich verändert.“ Und den Menschen keine Vorwürfe machen, es nicht herunterspielen: „Das ist alles nicht so schlimm“. Das empfinden die Betroffenen meistens als kontraproduktiv. Dann wird es eher noch schlimmer.

Haben Menschen eigentlich eine genetische Veranlagung zu Depressionen?

Das gibt es. Depression ist keine Erbkrankheit im engeren Sinne. Doch es gibt Familien, wo sich das häuft. Aber die genetische Komponente bestimmt nicht alles, ganz viel hängt auch ab von der aktuellen Lebenssituation, von biografischen Entwicklungen. Es gibt Menschen, die haben ein großes Paket zu tragen, weil einfach die Lebensgeschichte so schwer wiegt.

Wie kann man sich vor einer depressiven Phase schützen?

Soziale Unterstützung ist wichtig, familiäre Integration, positive Rückmeldung von anderen. Das Gefühl, dass man einen Sinn hat in seinem Leben. Sport hat eine gute Wirkung, leichter Ausdauersport reicht. Wenn das nicht hilft, müssen Profis zurate gezogen werden, Psychotherapeuten, Fachärzte. Bei einer schweren Depression ist meist eine Klinikbehandlung indiziert.

Kann man diese Krankheit heilen? Oder geht es mehr darum, dass man lernt, mit ihr zu leben?

Jürgen Höffler, Chefarzt der Psychiatrie im Martin-Luther-Krankenhaus in Bochum-Wattenscheid.
Jürgen Höffler, Chefarzt der Psychiatrie im Martin-Luther-Krankenhaus in Bochum-Wattenscheid. © Handout | Jakob Studnar

Was wir über diese Krankheit wissen, ist, dass bestimmte Botenstoffe im Gehirn bei einer Depression nicht mehr im Gleichgewicht sind. Aber ob sie heilbar ist? Heilbar ist ein großes Wort. Nur ein Teil aller Krankheiten ist richtig heilbar. Ein Beispiel: Jemand hat einen Asthmaanfall. Den Anfall kann man gut behandeln. Aber der Patient bekommt vielleicht wieder einen. Ähnlich ist das bei Depressionen: Es gibt Menschen, die haben einmal in ihrem Leben über mehrere Monate eine Depression und dann nie wieder. Dann gibt es aber welche, die haben eine akute Phase, dann ist jahrelang Ruhe und dann kommt noch mal eine neue Episode. Manche haben in ihrem Leben auch vier oder fünf Phasen. Man muss alles tun, um solche Phasen zu verhindern. Aber diese einzelne depressive Episode, die kann man gut behandeln. Das braucht allerdings seine Zeit. Depressionen kann man nicht innerhalb von einer Woche behandeln. Aber über mehrere Wochen, manchmal auch mehrere Monate, kriegt man die akute Depression in den Griff. Die Menschen sind danach fast alle auch wieder leistungsfähig, können arbeiten, sind integriert. Es kann jedoch wieder eine neue Phase kommen.

Ich kann mir vorstellen, dass das auch Patienten Angst macht, wenn sie mit dem Wissen leben, dass so ein depressiver Schub jederzeit wiederkommen kann?

Ja, das ist eine wichtige therapeutische Aufgabe, dass da nicht eine dominierende Angst entsteht, dass die Depression wiederkommen könnte. Man weiß, es könnte wiederkommen, aber man kann vorbeugen, etwa, indem man die Lebensführung ändert, Stress reduziert und eine ambulante Psychotherapie aufsucht. Medikamente müssen nicht bei jedem Patienten sein, aber in bestimmten Fällen empfehlen wir dies dauerhaft.

Es gibt Menschen, die sich vor einem Aufenthalt in einer Klinik scheuen. Gibt es auch andere Wege?

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Bei einer schweren Depression raten wir Menschen meistens, sich in der Klinik behandeln zu lassen. Aber wenn jemand das partout nicht will oder kann, dann muss man sich als Arzt überlegen, wie man trotzdem helfen kann. Studien zeigen jedoch, dass die Effektivität von Klinikaufenthalten bei Depressionen immens ist. Den meisten Patienten, die mit Depressionen zu uns kommen, können wir helfen.

Viele Menschen empfinden die Corona-Zeit als herausfordernd. Macht sich das auch bei Ihren Patienten bemerkbar?

Ein häufiger Auslöser ist chronischer Stress. Vor allem dann, wenn man das Gefühl hat, man kann den Stress nicht beeinflussen. Das gilt ja für Corona in vielerlei Hinsicht, viele Menschen haben ökonomische Schwierigkeiten, viele Menschen haben aufgrund ihrer Arbeitssituation Probleme. Ein gravierender Faktor ist die soziale Isolation, der Wegfall von Unterstützungssystemen, all das führt zu Stress. Das erleben wir in dieser Corona-Zeit bei unseren Patienten. Es sind mehr geworden, ambulant und stationär.