Bochum. Monika Sippel aus Bochum unterstützt Flüchtlinge. Diese wollen arbeiten, doch es scheitere an Bürokratie und Initiative. Sie ist frustriert.
Seit einem Jahr unterstützt Monika Sippel aus Bochum ehrenamtlich zwei ukrainische Familien. Sie kennt die Geflüchteten, weil sie ihre Wohnung an eine davon vermietet. „Aber damit ist es nicht getan“, sagt sie. Sie hilft auch darüber hinaus. Seitdem begegnet die 68-Jährige bürokratischen Hürden, bei Behördenangelegenheiten oder der gemeinsamen Suche nach einem Job.
„Die Menschen wollen unbedingt arbeiten. Ihnen fällt die Decke auf den Kopf und sie sind hoch motiviert“, schildert Sippel. Allabendlich höre man, dass in nahezu allen Berufszweigen Fach- und Arbeitskräftemangel herrscht. Man müsse also „annehmen, dass arbeitswillige und hoch motivierte Leute hochwillkommen und gut integrierbar sein sollten“, so Sippel. Doch bei der Bochumerin entstehe hingegen vielmehr der Eindruck, dass der Bedarf nach neuen Mitarbeitenden auf der Arbeitgeberseite gar nicht so groß sein kann.
Ukrainerin aus Bochum bekommt Job als Spülhilfe nicht – weil ihr Deutsch zu schlecht ist
Sprachkenntnisse und berufliche Qualifikation
5000 Flüchtlinge in Bochum sind derzeit auf der Suche nach einem Job, die meisten aus der Ukraine oder aus Syrien. Diese Zahlen nennt das Jobcenter. 40 Prozent davon verfügen über Grundkenntnisse in der deutschen Sprache, weitere 30 Prozent über erweiterte und 4 Prozent sogar über verhandlungssichere Sprachkenntnisse.
Von den ukrainischen Geflüchteten sind über 50 Prozent der Arbeitssuchenden Fachkräfte bis hin zu Akademikern, rund 43 Prozent suchen eine Arbeitsstelle auf Helferniveau.
Bei den restlichen Geflüchteten ohne Job sieht das anders aus: Rund 70 Prozent haben laut Jobcenter keinen verwertbaren Berufsabschluss. Zu erklären sei das damit, dass zwei Drittel der geflüchteten Menschen aus der Flüchtlingswelle 2015/16 bereits Arbeit gefunden hätten, insbesondere diejenigen mit guter Qualifikation.
Immer wieder würden fehlende Sprachkenntnisse als Grund genannt, die Menschen aus der Ukraine nicht einzustellen. Sie müssten zuerst fließend Deutsch sprechen. Sippel, die mittlerweile selbst Rentnerin ist, kann viele Beispiele nennen. Eines davon: In einem Altenheim sei die Stelle einer Spülkraft ausgeschrieben gewesen. Sie habe daraufhin für eine Ukrainerin dort angerufen und eine Absage bekommen, bevor die Einrichtung die arbeitswillige Frau überhaupt kennengelernt hatte. Auf den Hinweis, dass diese noch kein Deutsch spreche, habe es geheißen: „Dann nicht.“ Die Begründung: Man könne ihr die Hygienevorschriften so nicht vermitteln.
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Dabei gebe es doch Möglichkeiten, sich zu verständigen. Sippel erklärt: „Ich spreche selbst weder Ukrainisch noch Russisch, kann mich aber mithilfe einer guten Übersetzungs-App sehr gut verständigen.“ Sogar Regelungen, die für Menschen in Deutschland geläufig, für den Rest der Welt aber erklärungsbedürftig seien – Mülltrennung, Strompreisbremse, Energiesparen, Datenschutz – habe sie auf diese Weise ins Ukrainische übersetzt und vermittelt. „Das kostet Zeit, das ist unbestritten. Aber Integration ist nicht möglich, ohne dass wir den Menschen, die hier fremd sind, Zeit und Interesse schenken.“
Jeder zweite Flüchtling aus der Ukraine bricht Integrationskurs ab
Die Anstrengungen, Flüchtlingen Deutsch beizubringen, seien unzureichend, findet Sippel. Oftmals werde in Integrationskursen Deutsch von Lehrkräften unterrichtet, deren Muttersprache nicht Deutsch ist. „In den Kursen kommen Menschen aus unterschiedlichen Ländern zusammen, die alle kein Deutsch sprechen. Insofern sind die Möglichkeiten der Teilnehmer*innen, voneinander zu lernen, minimal“, sagt sie. Viele der Männer und Frauen würden die Kurse nicht erfolgreich absolvieren. Das belegen auch Zahlen des Bundesrechnungshofes, die Ende 2023 veröffentlicht wurden. Mehr als 50 Prozent der ukrainischen Geflüchteten beenden ihre Integrationskurse demnach ohne Zertifikat.
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Hinzu komme: Oftmals dauere es, bis Kurse überhaupt starten – weil es in Bochum zu viele kleine Anbieter gebe, die ihre Kurse alle nicht voll bekommen. Ein Blick auf die Kursübersicht auf der Homepage des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge belegt das. Alleine in Bochum gibt es derzeit mehr weit als 100 Integrationskurse mit freien Plätzen. „Ich habe den Eindruck, dass wir (...) kein wirkliches, ganzheitliches, zu Ende gedachtes Integrationskonzept haben, und das frustriert mich sehr“, sagt Sippel.
Integration: Bochumerin wünscht sich Perspektivwechsel
Ohne Sprachkenntnisse sei es schwierig, einen Beruf zu finden. Und andersherum: „Meine Theorie ist ja, dass die Leute die Sprache durch den Kontakt zu Kollegen besser lernen, wenn sie einmal beginnen, zu arbeiten“, so Sippel. Sie wünscht sich weniger Bürokratie und Formalitäten und stattdessen mehr Möglichkeiten, durch die Flüchtlinge schneller einen Job bekommen. „Aus meiner Sicht ist der Zeitaufwand, um Menschen zu einfachen Tätigkeiten anzuleiten oder Menschen mit beruflichem Erfahrungshintergrund in der Ukraine ihre Aufgaben zu erklären, nicht hoch“, so die Bochumerin.
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Es beschäme sie, dass viele den Flüchtlingen mit einer überheblichen Grundhaltung begegnen würden. „Ich frage mich häufig, wie es mir gehen würde, wenn ich ab morgen in Kiew, Damaskus, Teheran oder sonst irgendwo leben müsste, wo ich weder die Schrift lesen noch die Sprache verstehen oder sprechen könnte.“ Ein Perspektivwechsel sei hilfreich, um sich klarzumachen, wie man sich fühlen und was man sich von den Einheimischen wünschen würde. „Aus diesem Blickwinkel gibt es meiner Meinung nach noch viel Spielraum nach oben.“