Bochum. In letzter Sekunde wurde die Abschiebung von Mariama (29) aus Bochum verhindert. Die Umstände waren dramatisch. Nun gibt es gute Nachrichten.

„Ich bin deutsch, ich bin deutsch, ich bin deutsch!“, ruft Mariama Barry laut, mitten auf dem Vorplatz des Rathauses, den Bochum-Schriftzug direkt im Auge. In den Händen hält sie ihre Einbürgerungsurkunde. Die 29-Jährige erlebt ein Wechselbad der Gefühle. Dort im Rathaus hat sie einen der wohl schlimmsten Momente ihres Lebens erlebt. Vor zehn Jahren. Und auch diesen Tag – den 14. November 2023 – wird sie wohl nie vergessen.

Die Geschichte von Mariama Barry ist bewegend und hat im Frühjahr 2013 viele Menschen in Bochum berührt. Die junge Frau kommt aus Guinea. Nachdem ihr Vater damals stirbt, wird sie in der Heimat von ihrem Onkel vergewaltigt und an den Genitalien verstümmelt. Sie glaubt einer Schleuserin, die ihr einen Job in einer europäischen Boutique verspricht – oder sieht keine andere Möglichkeit, als ihr zu glauben. In Madrid verkauft man sie an ein Bordell und versklavt sie. Mithilfe eines deutschen Freiers gelingt ihr die Flucht. Doch der Alptraum soll erst einmal nicht enden.

So haben wir 2013 über Mariama Barry berichtet

  • Warum legte man Mariama B. Handschellen an? Wie konnte sie sich verbrühen? Gab die JVA eine falsche Auskunft? Mariama B.s verhinderte Abschiebung wirft viele Fragen auf. Zum Artikel
  • Peter Braun, damals Leiter der Ausländerbehörde in Bochum, verteidigte seine Mitarbeiter, die die 19-jährige Mariama verhaftet und in Handschellen abgeführt hatten. Zum Artikel

Mariama hat Termin im Bochumer Rathaus: Plötzlich klicken die Handschellen

Die damals 19-Jährige landet in Bochum, geht auf das Alice-Salomon-Berufskolleg, an dem in drei speziellen Klassen Flüchtlinge wie sie unterrichtet werden. Ganz präsent ist dabei immer die Angst vor der Ausländerbehörde und die vor der Abschiebung zurück nach Spanien, wo bereits ein Asylverfahren läuft.

Schließlich, an einem Montagmorgen im August, geht sie zusammen mit ihrer Lehrerin zu einem Termin in Rathaus. Sie will ihre Duldung verlängern. Plötzlich klicken die Handschellen, Mariama Barry wird Büren in die JVA gebracht, soll kurz darauf abgeschoben werden.

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Schlaflose Nächte, hunderte Telefonate

Ihre Lehrerin Beatrix Schäfer, Schul-Sozialarbeiterin Michaela Schröder und das ganze Alice-Salomon-Berufskolleg organisieren eine Unterschriften-Aktion. Schröder startet eine Petition vor dem Landtag. „Ich habe nachts maximal zwei Stunden am Stück geschlafen und in vier Tagen über 200 Telefonate geführt. Wie viele E-Mails ich geschrieben habe, das weiß ich nicht mehr.“

Wir hatten die feste Absicht, die Abschiebung zu stoppen.
Serdar Yüksel (SPD)

Mariama Barry (links) bezeichnet Sozialarbeiterin Michaela Schröder als ihre deutsche Mutter. Sie stand ihr damals in den schweren Stunden bei, hat sich dafür eingesetzt, die Abschiebung zu verhindern. Unterstützung gab es auch von Serdar Yüksel (SPD), der Vorsitzender des Petitionsausschusses im Landtag ist.
Mariama Barry (links) bezeichnet Sozialarbeiterin Michaela Schröder als ihre deutsche Mutter. Sie stand ihr damals in den schweren Stunden bei, hat sich dafür eingesetzt, die Abschiebung zu verhindern. Unterstützung gab es auch von Serdar Yüksel (SPD), der Vorsitzender des Petitionsausschusses im Landtag ist. © Funke Foto Services | Christof Köpsel

Auch die Politiker Serdar Yüksel und Axel Schäfer (beide SPD) setzen sich für sie ein. „Wir haben interveniert, hatten die feste Absicht, die Abschiebung zu stoppen. Ich war auf dem Weg nach Büren“, berichtet Yüksel, Vorsitzender des Petitionsausschusses im Landtag. In ihrer Verzweiflung übergießt sich Mariama Barry in der JVA kurz vor ihrer Entlassung mit siedendem Wasser, um der Abschiebung zu entgehen. Am Donnerstag, drei Tage nach der Festnahme, dürfen Beatrix Schäfer und Michaela Schröder sie aus der Haft abholen.

Zehn Jahre nach der drohenden Abschiebung: So geht es Mariama Barry aus Bochum heute

Die Petition, der öffentliche Druck: Letztendlich kann die Abschiebung der jungen Frau aus Guinea verhindert werden. Im Nachhinein ist die Rede von rechtswidrigen Methoden, zum Beispiel bei der Durchsuchung ihres Zimmers, kurz vor der Verhaftung. Doch als das möchte die heute 29-Jährige nun hinter sich lassen.

Dieses Bild zeigt Mariama Barry im April 2013 auf dem Balkon des Bergmannsheils in Bochum. Die damals 19-Jährige hatte sich mit kochendem Wasser übergossen und verbrüht, um so der Abschiebung zu entgehen.
Dieses Bild zeigt Mariama Barry im April 2013 auf dem Balkon des Bergmannsheils in Bochum. Die damals 19-Jährige hatte sich mit kochendem Wasser übergossen und verbrüht, um so der Abschiebung zu entgehen. © Ingo Otto / WAZ FotoPool | Ingo Otto

In den vergangenen zehn Jahren ist viel passiert. „Mir geht es super. Ich habe vielleicht nicht alles geschafft, aber sehr viel“, erzählt Mariama Barry. Nach den Geschehnissen kommt sie ins Krankenhaus, liegt etwa drei Wochen im Bochumer Bergmannsheil. Anschließend zieht sie bei Michaela Schröder ein, bleibt dort über ein Jahr. Solange bis sie bereit ist, in ihre eigene Wohnung zu ziehen. Noch heute ist das Verhältnis eng, Barry wohnt nur wenige Minuten entfernt von ihrer „deutschen Mama“.

Mir geht es super. Ich habe vielleicht nicht alles geschafft, aber sehr viel.
Mariama Barry - sollte vor zehn Jahren abgeschoben werden

Realschulabschluss und Ausbildung zur Krankenpflegerin

Die junge Frau meistert ihren Realschulabschluss, arbeitet zuerst bei einem Bäcker und anschließend für ein halbes Jahr in einem Altenheim. Heute ist sie 29 Jahre alt und geht gerne tanzen oder verbringt Zeit mit Freundinnen. Zudem macht sie eine Ausbildung zur Krankenpflegerin, die schon bald abgeschlossen sein wird. „Der Job ist oft sehr anstrengend wegen des Personalmangels, aber es macht Spaß, ich habe meinen Traumberuf gefunden“, sagt sie.

Immer wieder stehen in all diesen Jahren Termine im Rathaus an, zur Verlängerung des Aufenthaltstitels. „Ich hatte Angst, wollte nie alleine gehen.“ An ihrer Seite ist stets Michaela Schröder. Noch heute fällt es Mariama Barry schwer, über das Erlebte zu reden. Wenn sie erzählt, muss sie zwischendurch immer wieder lachen, versucht so, die Emotionen ein Stück weit zu überdecken.

Kurz vor Weihnachten hält Mariama Barry den deutschen Pass in den Händen

Zum vorletzten Mal ist sie am 14. November ins Rathaus gegangen, hat in einer feierlichen Zeremonie die Einbürgerungsurkunde bekommen. „Der Weg hinein war schwierig, da musste sie noch einmal dolle weinen“, berichtet Michaela Schröder. Hinaus aber ist Mariama Barry mit einem Lächeln gegangen, die Faust siegessicher erhoben.

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Kurz vor Weihnachten bekommt sie dann den deutschen Pass, der vorerst letzte Besuch im Rathaus. „Sobald ich den habe, kann ich wirklich feiern“, sagt sie einen Tag zuvor.