Bochum. Mal lustig, mal traurig: Das Familienstück „Die wundersame Reise von Edward Tulane“ im Schauspielhaus Bochum schlägt überraschend ernste Töne an.

Diesmal also ein Hase: Nach dem epischen Fantasymärchen „Die unendliche Geschichte“ und der zeitlos schönen Romanze „Die Schöne und das Biest“ steht beim vielbeachteten Familienstück im Schauspielhaus Bochum in diesem Jahr schlicht ein Karnickel im Mittelpunkt. Doch das muss kein Nachteil sein: Denn Edward Tulane, so sein korrekter Name, erobert die Herzen der kleinen und großen Besucher bei der Premiere im nahezu ausverkauften Saal fast im Sturm.

Familienstück feiert Premiere im Schauspielhaus Bochum

Dabei ist die Wahl des Stücks nicht ohne Risiko. Während viele Besucher in den vergangenen Jahren allein schon wegen der klingenden Titel ins Theater gelaufen sein dürften, ist die Vorlage diesmal weit weniger bekannt. „Die wundersame Reise von Edward Tulane“ basiert auf einem Kinderbuch von Kate DiCamillo, deren „Winn-Dixie“ einige Popularität genießt. Doch reicht die Geschichte eines hochnäsigen Hasen für einen prall gefüllten Theaterabend? Die simple Antwort: absolut!

Denn „Edward Tulane“ ist ein Stationendrama im besten Sinne und wie geschaffen für die Bühne. In schnell erzählten Kapiteln verfolgen die Zuschauer die abenteuerliche Odyssee eines Hasen aus Porzellan, der zwischen all den Spielsachen um ihn herum tatsächlich ein Eigenleben besitzt. Edward kann zwar nicht sprechen, sein Gesicht ist nur gemalt, doch über seine Gedankenwelt gibt er genau Auskunft.

Hase Edward schimpft wie ein Rohrspatz

Er flucht, schimpft und lamentiert wie ein Rohrspatz, während er von einer gefahrvollen Situation in die nächste schlittert. Marius Huth spielt das wunderbar: Mit den ungläubigen, aber wachen Augen eines großen Kindes stolpert er durch die vielen kleinen Szenen und formt aus dem zunächst unnahbar erscheinenden Edelspielzeug am Ende einen tapferen Helden.

Während seiner gefahrvollen Odyssee geht Hase Edward über Bord und landet auf dem Meeresboden. Die Aufführung im Schauspielhaus Bochum findet dafür wunderbare Bilder.
Während seiner gefahrvollen Odyssee geht Hase Edward über Bord und landet auf dem Meeresboden. Die Aufführung im Schauspielhaus Bochum findet dafür wunderbare Bilder. © Schauspielhaus Bochum | Birgit Hupfeld

Für ein Familienstück zur Weihnachtszeit ist die Geschichte überraschend ernst und vom klassischen Gute-Laune-Theater weit entfernt. Hase Edward fällt über Bord eines Kreuzfahrtschiffes, wird von einem Fischer gerettet, landet bei fremden Leuten, wird verstoßen und verletzt. Er findet Freunde, die er wieder verlassen muss. Es geht um Liebe, Tod und Zusammengehörigkeit. Traurige Szenen, bei denen es im Saal ganz still wird, wechseln sich ab mit rasanten und urkomischen Momenten.

Emotionale Reise auf dunkler Drehbühne

Es ist eine emotionale Reise, auf die Regisseurin Liesbeth Coltof ihr Publikum in 80 pausenlosen Minuten mitnimmt. Die dunkle Drehbühne von Sanne Danz gibt den raschen Schauplatzwechseln einen idealen Raum. Die vielen Requisiten vom Klappstuhl bis zum Sonnenschirm, von denen einige kopfüber unter der Bühnendecke baumeln, wirken wie aus einer Rumpelkammer gefallen. Statt der üblichen zuckersüßen Songs gibt es nur wenige musikalische Einlagen, gespielt von Irina Zabolotna am Klavier, Aladji Touré auf einer Trommel und wie schon oft souverän vorgetragen von Veronika Nickl.

Seid nett zu euren Spielzeugen!

Signierstunde mit dem Ensemble

Das Stück „Die wundersame Reise von Edward Tulane“ ist bis ins kommende Frühjahr hinein im Schauspielhaus zu sehen. Empfohlen für Kinder ab sechs Jahren.

Die nächsten Familienvorstellungen: am 3., 17., 25. und 28. Dezember. Wer Edward & Co. persönlich kennenlernen will: Nach den Aufführungen am 3. und 17. Dezember gibt es eine Signierstunde mit dem Ensemble im Foyer. Karten: 0234 33 33 55 55

So dunkel die Aufführung streckenweise aussieht, so hell strahlt das Ensemble. Es bereitet eine immense Freude, den Schauspielern bei ihren vielen Rollenwechseln zuzuschauen: Alexander Wertmann als einsilbiger Fischer, Lukas von der Lühe als grobschlächtiger Vater, Jing Xiang als angriffslustiger Hund: Das hat echten Pfiff. Nur die Rahmenhandlung, die eine Gruppe Obdachloser dabei beschreibt, wie sie sich die Geschichte von Edward erst langsam ausdenkt, wirkt reichlich bemüht.

Und die Moral von der Geschichte? Kinder, seid nett zu euren Spielzeugen! Denn auch ein achtlos in die Ecke geworfener Hase hat Gefühle. Und überhaupt: Wäre die Welt nicht ein besserer Ort, wenn jeder einen Edward im Regal stehen hätte?