Bochum. Fast täglich werden im Tierheim Bochum Tiere abgegeben, viele davon schwer krank. Die Leiterin spricht von einer Katastrophe und nennt Beispiele.

  • Das Bochumer Tierheim schlägt Alarm: Situation aktuell „ganz extrem“
  • Fast täglich werden kranke Tiere abgegeben
  • „So schlechte Gesundheitszustände“ gab’s in 30 Jahren nicht

„Ich bin seit 30 Jahren im Tierheim, aber so schlechte Gesundheitszustände gab es in dieser Zeit bisher nicht.“ Das sagt die Leiterin des Bochumer Tierheims, Carmen Decherdt, über die vielen Fund- und Abgabetiere, die aktuell versorgt werden müssen. Das sei in diesem Jahr „ganz extrem“ gewesen.

Solche Tiere würden mittlerweile „fast täglich“ ins Heim kommen. Carmen Decherdt spricht von einer „Katastrophe“. In allen Bereichen sei man „voll bis unters Dach“. Alle neuen Tiere hätten „irgendwelche Krankheiten“.

Frau droht mit Tod der Katze, „wenn Sie die nicht nehmen“

Die jüngsten Beiträge des Tierheims auf seiner Facebook-Seite sind alarmierend. Da werden Tiere in einem beklagenswerten Zustand gezeigt: persönlich abgegeben oder einfach anonym ausgesetzt.

Hier ein Beispiel aus der vorigen Woche: Als Tierpflegerinnen abends nach Hause wollten, stand dort eine Dame mit ihrer Katze vorm Tor. Zitat: „Die Katze schreit, ich kann nicht schlafen. Außerdem pinkelt sie überall hin. Während ich putze, sieht sie mich an und pinkelt schon wieder und schaut mich dabei an. Das macht die doch extra! Wenn Sie die Katze nicht nehmen, dann werde ich die umbringen.“

Gerade operiert: die Old-English-Bulldogge Henry im Tierheim Bochum.
Gerade operiert: die Old-English-Bulldogge Henry im Tierheim Bochum. © Tierheim Bochum

Das Tierheim kommentiert: „Wie oft müssen wir uns so etwas anhören. Wir atmen tief ein und schlucken das, was wir gerade denken, lieber runter. Denn immerhin hat die Dame mit ihrer Katze den Weg zu uns gefunden und setzt die Katzenomi nicht einfach aus.“ Für den Tierarzt habe die Dame kein Geld gehabt, auch dies höre man fast täglich. „Manchmal wissen wir einfach nicht, ob wir lachen oder weinen sollen, aus Verzweiflung bei der Flut an Tieren, die wir gerade Tag für Tag bekommen.“

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Die eigene Tierärztin hat die mindestens 14 Jahre alte Katze untersucht. „Die Befunde: erschreckend.“ Das Tier leide an einer hochgradigen Blasenentzündung mit Struvitsteinen und Oxalatkristallen“ und habe einen Tumor. Es folgen noch sechs weitere pathologische Befunde.

Für die Behandlung von Abgabetieren braucht das Tierheim Bochum Spenden

Für die Behandlung bekommt das Tierheim kein Geld von der Stadt. Das gibt es nur für Fundtiere und sichergestellte Tiere. Letzteres wird angeordnet, wenn etwa eine Wohnung verwahrlost ist oder jemand viel zu viele Tiere hortet („Animal Hoarding“). 541.000 Euro erhält der Tierschutzverein, der das Tierheim betreibt, in diesem Jahr dafür. „Berechnet wurde diese benötigte Summe anhand des Aufwands des Vorjahres“, sagt Nina Schmidt vom Vorstand des Vereins. „All die Abgabetiere, die schwer krank kommen, werden natürlich nicht davon bezahlt, dies müssen wir selbst tragen. Sollten wir die Tiere nicht als Abgabe nehmen, würden die Leute sie aussetzen. Und ob man sie dann rechtzeitig findet, ist ja oft unklar.“

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Die Kosten müssen wie im Fall der Katze folglich durch Spenden, Mitgliedsbeiträge und Verkäufe gedeckt werden, auch wenn grundsätzlich eine Abgabegebühr eingefordert werden kann. Die aber reicht nicht ansatzweise aus, um die Arzt-, Futter- und Personalkosten zu decken.

Ganz aktuell ist auch der Fall des Fund-Hundes Henry, so haben ihn die Tierheim-Beschäftigten genannt. Die Old Englisch Bulldogge hat einen Oberschenkelbruch mit Absprengung des Kopfes; die Verletzung soll schon seit Monaten bestehen. „Da sich seine Besitzer bis heute nicht bei uns gemeldet haben, gehen wir davon aus, dass er bewusst ausgesetzt wurde, da die OP-Kosten vermutlich im mittleren vierstelligen Bereich liegen werden. Und dann kommt noch die Nachsorge dazu“, hieß es vor einigen Tagen im Tierheim. Mittlerweile wurde der Hund operiert. Zwei weitere Eingriffe stehen bevor.

Tierheim Bochum warnt: „Bilder sind eventuell nichts für schwache Nerven“

Fast 200 Tiere werden versorgt

Zurzeit versorgt das Tierheim an der Kleinherbeder Straße rund 55 Hunde, 60 Kleintiere und mehr als 70 Katzen.

Begonnen hat der Bau eines neues Hundehauses mit 550 Quadratmetern bebauter Fläche auf zwei Etagen. Ende 2024 soll alles fertig sein. Veranschlagte Kosten: Bis zu 1,6 Millionen Euro.

Die beiden Fälle sind nur Beispiele für viele. Immer wieder müssen Tiere auch eingeschläfert werden. Die Bilder von Wunden und Erkrankungen sind teilweise absolut erschütternd. Einmal schreibt das Tierheim zu einem bebilderten Text zu einem völlig verwahrlosten Perserkater: „Seid ihr mit Abendessen durch? Ok...wenn nicht: bitte weiterscrollen. Bilder sind eventuell nichts für schwache Nerven.“

Carmen Decherdt beklagt aber nicht nur das Leid der Tiere, sondern auch das Verhalten von Menschen, die sie abgeben. „Die Leute werden immer unverschämter.“ Beispiele: Die ehemaligen Halter einer ganz jungen Katze hätten vor der Tür gedroht, die Katzenbox aufzumachen und das Tier freizulassen, wenn es nicht sofort aufgenommen werde. Im Zusammenhang mit einer Sicherstellung habe ein Mann Schläge angedroht: „Menschen werden immer aggressiver, weil sie denken, wir hätten sie ihnen weggenommen.“

Polizeieinsatz im Tierheim Bochum

Am vorigen Samstag (4.) gab es sogar einen Polizeieinsatz auf dem Gelände, wie das Tierheim berichtet. Ein ehemaliger Besitzer eines sichergestellten Staffordshire habe getobt und um sich getreten, als ihn das Tier, das gerade von ehrenamtlichen Helfern ausgeführt worden sei, nicht freundlich begrüßt habe. Die Polizei habe den Mann dazu bewegt, wieder wegzugehen. Der Hund wurde jetzt woanders untergebracht. „Das Risiko einer Wiederholung des Vorfalls oder Diebstahls gehen wir nicht ein!“, heißt es im Tierheim.