Bochum Mitte. Fliegerjacke, Flapper-Kleid, Trenchcoat: 2003 gründete Jürgen Bielawny “Le Salon Vintage“. Wo er Sachen ausgräbt und was er zu Jogginghosen sagt.

Wer über die Türschwelle an der Oskar-Hoffmann-Straße 43 tritt, der betritt eine andere Welt. Ein schwerer Geruch liegt in der Luft: Unter Leder und Moschus mischen sich Bergamot und Duftnoten, die man nur schwer zu bestimmen weiß. Hier hängen Anziehsachen, die Inhaber Jürgen Bielawny (60) aus der halben Welt zusammengekauft hat.

Da hängen Anzüge aus den 1880er-Jahren und solche, die ihre Besitzer einst drei Monatsgehälter gekostet haben. Da gibt es Kleider aus dem New York der 1940er-Jahre, die in eleganten Schnitten um die Beine fallen. Und dort hängen Hemden mit Haifisch-Kragen aus der Hochphase des Rock 'n'Roll.

Ältester Anzug von 1871

Auch Sommerhüte aus Papier, Einstecktücher aus Seide und Brillen mit dicken Gläsern finden sich in dem kleinen Laden nahe des Schauspielhauses, der vor kurzem 20-jähriges Jubiläum gefeiert hat. Bei Eröffnung befand sich das Geschäft noch auf der Herner Straße, zog dann zur Königsallee und schließlich zur Oskar-Hoffmann-Straße.

Für Inhaber Bielawny ist das, was er verkauft, viel mehr als nur Bekleidung. Die Anzüge und Kleider, Mäntel und Hüte, Taschen und Schuhe erzählen Geschichten, sind Kulturgut. "Dieser Anzug stammt von einer Tierarztfamilie, aus der Zeit des deutsch-französischen Krieges", sagt Bielawny und holt einen Anzug aus dem Jahr 1871 hervor.

Gegründet 2003

"Mich fasziniert die Wertigkeit der Vintage-Kleidung und die Hochachtung, mit der ihre Trägerinnen und Träger mit ihr umgingen. Das ist Handarbeit, die es heute kaum mehr gibt. Heute leben wir in einer schnelllebigen Wegwerfgesellschaft", sagt Bielawny.

Als er eine Abfindung seines alten Arbeitgebers aus der Musikindustrie gezahlt bekam, sah er drei Möglichkeiten: "Einen Jazz-Club, eine Espresso-Bar oder Le Salon", erinnert sich Bielawny. Wie die Entscheidung ausfiel, ist bekannt: 2003 gründete er "Le Salon". "Für mich war Kleidung nie unbedeutend", sagt der Bochumer, der sich selbst durch und durch in Vintage-Kleidung kleidet.

Modeexperte und Geschichtsliebhaber

Er selbst bezeichnet sich als "Kulturmensch" und "Geschichtsliebhaber" und es ist schnell zu erkennen, dass Bielawny richtig Ahnung hat. In welchem Jahrzehnt kamen schräge Schulternähte bei Anzügen auf und wann trugen Frauen Plateau-Sohlen? Was zeichnet ein Flappet-Kleid aus und welche Hüte trug Audrey Hepburn?

Bielawny weiß all das. Zwischendurch lässt er dann noch, einfach so, eine scharfsinnige Gesellschaftsanalyse unserer Zeit fallen: "Die Sneaker-Gesellschaft macht uns lässiger, aber die Menschen haben immer weniger Haltung" oder "Vintage ist der Punk der Gegenwart."

Top-Adresse in Europa

Nicht umsonst bezeichnen ihn selbst Reiseführer als eine der Top-Adressen für Vintage-Bekleidung. Produktionen der Salzburger Festspiele hat er bereits eingekleidet, ebenso Entertainer Harald Schmidt und Popsänger Sasha. Schauspieler, Tänzer und Künstler kehren regelmäßig bei Bielawny ein. "Manche Kunden berate ich auch telefonisch oder mit Termin", sagt Bielawny.

Für Modeschauen, für 20er-Jahre-Partys, für Filme oder für das private Flanieren durch die Innenstadt an einem Sonntag nutzen seine Kunden die Vintage-Kleidung beispielsweise. Die Stücke kauft Bielawny auf Vintage-Märkten, bei privaten Kontakten und im Ausland. Besonders gerne ist er in Städten wie Paris, Venedig und Brighton unterwegs.

Vintage als inspirierend und cool

Bielawny würde sich wünschen, wenn klassische Kleidungsstücke wieder Vorrang vor Jogginghose und Kapuzenpullover bekämen. "Mir gefallen die 1930er- und 1940er-Jahre besonders, weil Frauen dort sehr stolz eingekleidet wurden", sagt Bielawny. Vintage-Bekleidung will er nicht als dekadent vermarkten, sondern als inspirierend und cool.

"Es ist auch viel nachhaltiger, Vintage-Kleidung zu tragen", betont er. Obwohl Nachhaltigkeit im Trend liegt, fiel es Bielawny zuletzt immer schwerer, wirtschaftlich zu bleiben. "Das ist inzwischen der dritte Winter ohne Heizung, wenn Kunden gehen, schalte ich das Licht aus", gibt er zu.

Auch einige Lieblingsstücke aus seiner Garderobe musste er schweren Herzens verkaufen. Denn Corona habe ihm einen ordentlichen Schlag verpasst. Aber Bielawny will nicht aufgeben - dafür ist Vintage-Kleidung einfach ein zu großer Genuss.

Ab wann etwas "vintage" ist

Als "Vintage" gelten Möbel, Kleidung und Schmuck bereits, wenn sie älter als 20 bis 25 Jahre sind. Von "Top" oder "True" Vintage spricht man, wenn die Stücke aus der Zeit vor 1970 stammen.

"Le Salon Vintage" (Oskar-Hoffmann-Straße 43) hat mittwochs bis freitags von 12 bis 18 Uhr und samstags von 11 bis 15.30 Uhr geöffnet.

Bilawny kauft in seltenen Fällen auch Kleidung von Privatpersonen an. Telefonisch ist das Geschäft erreichbar unter 0179 3984965.