Bochum. Der Bundesgerichtshof hat das Urteil gegen den Medican-Chef aus Bochum aufgehoben. Der Anwalt des Angeklagten nennt das einen „Erfolg“.
- Das Medican-Urteil wegen massenhaft falsch abgerechneter Corona-Tests ist gekippt.
- Der Angeklagte, ein Wattenscheider Unternehmer, hatte Beschwerde eingelegt. Der Bundesgerichtshof hat dem stattgegeben.
- Der Fall muss nun vor dem Landgericht Bochum neu verhandelt werden.
Der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe hat das Urteil gegen den Wattenscheider Unternehmer und Chef der Firma Medican wegen Betruges mit falsch abgerechneten Corona-Tests aufgehoben. Grund ist ein Verstoß gegen die Strafprozessordnung.
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Das Landgericht Bochum hatte nach Angaben vom Dienstag nicht über ein mitteilungspflichtiges Gespräch zwischen dem Vorsitzenden Richter und den Verteidigern in einer Sitzungspause in Bezug auf eine Verständigung informiert. Das Landgericht muss nun noch einmal neu verhandeln und entscheiden. Der Angeklagte hatte Beschwerde eingereicht. Mit der Presse wollte der Wattenscheider Unternehmer nicht darüber sprechen.
Vom Landgericht heißt es am Mittwoch, dass noch nicht klar ist, wann der Neustart des Prozesses stattfinden kann. Fest steht jedenfalls, dass sich eine andere Kammer des Landgerichts nochmals von Beginn an inklusive vollumfänglicher Beweisaufnahme mit dem Fall beschäftigen muss. Wie viel das kostet und wer die Kosten am Ende übernimmt, das könne erst nach Ende der Hauptverhandlung entschieden werden.
Medican in Bochum: Massenhaft Betrug mit Corona-Tests
Der Fall um massenhaft gefälschte „Bürgertests“ hatte seit Bekanntwerden im Juni 2021 Schlagzeilen in ganz Deutschland gemacht. Das Landgericht hatte den verantwortlichen Unternehmer im Juni 2022 zu sechs Jahren Haft verurteilt. Der Angeklagte hatte zuletzt doch noch gestanden, über seine zahlreichen Teststellen im Ruhrgebiet und im Rheinland deutlich mehr Corona-Tests abgerechnet zu haben, als tatsächlich durchgeführt worden waren.
Den dem Bund so entstandenen Schaden bezifferte das Gericht auf rund 24,5 Millionen Euro. Der Kassenärztlichen Vereinigung soll der Medican-Chef fast eine Million Tests in Rechnung gestellt haben, die gar nicht stattgefunden hatten, wie es im Urteil des Landgerichts vom 24. Juni 2022 hieß.
Bis zum Urteil hatte er gut ein Jahr lang in U-Haft gesessen. Danach kam der heute 50-jährige Geschäftsmann gegen den heftigen Widerstand der Staatsanwaltschaft Bochum vorläufig frei. Allerdings muss er seither Auflagen erfüllen: Er muss in Deutschland einen festen Wohnsitz nehmen, sich dreimal pro Woche bei einer Polizeiwache melden, darf Deutschland nicht verlassen und musste seinen Personalausweis und Reisepass abgeben.
Anwalt: Verständigung mit dem Gericht wurde nicht protokolliert
Gegen das Urteil hatte er trotz Geständnisses und eines Deals zwischen Staatsanwaltschaft, Landgericht und der Verteidigung Revision eingelegt, so dass der Fall an den Bundesgerichtshof verwiesen wurde. Aufgabe des BGH: Das Urteil auf mögliche Rechtsfehler zu prüfen.
Nun liegt das Ergebnis vor. Reinhard Peters, Rechtsanwalt des Unternehmers, zeigte sich am Dienstag auf WAZ-Anfrage „erfreut und zufrieden“ über die Entscheidung in Karlsruhe: „Das ist ein großer juristischer Erfolg.“
Neues Verfahren könnte erst im nächsten Jahr beginnen
Zwar bestätigt Peters, dass es einen sogenannten Deal zwischen dem Gericht und der Verteidigung gegeben habe. Diese Verständigung sei seinerzeit aber nicht protokolliert worden. „Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass dieses Gespräch zum späteren Geständnis meines Mandaten geführt hat und in gewisser Weise auch Druck auf ihn ausgeübt haben könnte. Der BGH hat deshalb klar gesagt: Das darf so nicht sein. Deshalb ist der Richterspruch absolut nachvollziehbar“, so Peters.
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Der Bochumer Anwalt geht davon aus, dass nun der komplette Prozess neu aufgerollt werden muss. Damit sei in diesem Jahr kaum mehr zu rechnen. „2024 ist realistisch.“ Der Ex-Angeklagte bleibt damit weiter auf freiem Fuß. Nach Angaben von Peters geht er inzwischen wieder seinem Beruf nach.
Auch ehemalige Mitarbeiterin muss sich vor Gericht verantworten
Während des sechsmonatigen, äußerst zähen Prozesses hatte als Zeugin auch eine frühere Mitarbeiterin von Medican ausgesagt, die am Hauptsitz in Wattenscheid gearbeitet hatte. Auch sie muss sich jetzt vor Gericht verantworten. Vorwurf: uneidliche Falschaussage und versuchte Strafvereitelung.
Laut Anklage soll sie bewusst wahrheitswidrig ein falsches Datum genannt haben, an dem eine sechsstellige Menge an Schnelltests angeliefert worden sei. Damit habe sie eine Aussage ihres ehemaligen Chefs „stützen“ wollen. Der Betrugsschaden wäre dann um 7,36 Millionen Euro niedriger ausgefallen. (mit dpa)