Bochum. Fünfte Bürgerkonferenz in Bochum: Diesmal ging es um die Familie. Vieles ist gut, so der Tenor. Aber: Etliches fehlt noch, zum Beispiel Radwege.
Um Familien in allen Facetten drehte sich die fünfte Bürgerkonferenz in Bochum. 312 geladene Bochumerinnen und Bochumer diskutierten – untereinander und mit Vertretern der Stadt – äußerten Wünsche, hatten Visionen – weit über das eigentliche Thema im engen Sinn hinaus. Den größten Applaus gab es und die meisten Sympathiekarten schnellten in die Höhe, als es um Fragen der Mobilität ging.
Bei der Mobilität gibt es in Bochum noch Luft nach oben
„Da gibt es noch Luft nach oben, zum Beispiel mit breiten und sicheren Radwegen“, hieß es in der Abschlussrunde auf dem Podium der Jahrhunderthalle, als neun der 46 Ideen von 46 Tischgruppen vorgestellt wurden.
Tatsächlich schien die Haltung vieler Teilnehmer der Bürgerkonferenz zu dem zu passen, was Schul- und Kulturdezernent Dietmar Dieckmann sagt: „Wir sind eigentlich schon ganz gut aufgestellt ...“ „Ja“, so Annika Mirbach. „Bochum hat alles, was eine Großstadt braucht.“ Fast alles jedenfalls.
Schokoticket wird ab August für 29 Euro zum Deutschlandticket
Die Frau aus Querenburg würde sich allerdings ein wenig mehr Charme wünschen, den etwa Cafés an Orten wie dem Westpark versprühen könnten, und überhaupt mehr richtige „Begegnungsorte jenseits des Bermudadreiecks“, etwa auf dem Buscheyplatz in ihrem Sprengel. Vor allem aber wünscht sie sich „einen sicheren Radweg von Querenburg ins Stadtzentrum und auch in Richtung Langendreer, gerade auch für Kinder. Die Universitätsstraße ist gefährlich.“
Da war es wieder, das Thema Mobilität, über das an diesem Samstag an vielen Tischen gesprochen wurde. Auch am Stand der Bogestra gab es großen Informationsbedarf, „etwa zur Umwandlung des Schokotickets in das Deutschlandticket“, so Sprecherin Sandra Bruns. Zur Info: „Vom 1. August 2023 an wird es in NRW ein Deutschlandticket für Schülerinnen und Schüler für 29 Euro im Monat geben“, so der Verkehrsverbund Rhein-Ruhr (VRR).
Viele spannende Vorschläge sollen geprüft werden
Allerdings: Es drehte sich am Samstag auch noch um viele andere Themen. Zum Beispiel: um eine App, die es Alleinerziehenden ermöglicht, sich zu vernetzen und schnell Kontakt zu anderen zu bekommen; um integrative Einrichtungen, in denen sowohl Kinder in einer Kita als auch Senioren unter einem Dach betreut werden; um eine zentrale Anlaufstelle für Eltern von Kindern mit besonderem Betreuungsbedarf, die den bürokratischen Hürdenlauf zum Beispiel bei der Finanzierung von Maßnahmen erleichtern könnte, eine bessere Auslastung der Ressourcen etwa an Schulen, mehr Sportangebote für Kinder und Jugendliche – und und und.
Etliches, was Bochum bereits bietet, ist vielen Menschen noch gar nicht bewusst. Auch Studentin Sedef Bücek nicht, die an bislang jeder Bürgerkonferenz teilgenommen hat und die sagt: „Es gab so viele Infostände, bei denen ich mir gedacht habe, das wusstest du ja noch gar nicht. Und ich glaube, es ist vielen so gegangen. Die Stadt sollte offensiver mit den Informationen über ihre Angebote umgehen.“
Viele Angebote in der Stadt sind nur wenig bekannt
Tatsächlich hat eine Befragung ergeben, dass etwa die Musikschule und das Kitaportal beinahe so bekannt sind wie der sprichwörtliche bunte Hund. Anderes, wie die Gesundheitsangebote in Quartieren und das Kommunale Integrationszentrum, fallen beinahe unter Insiderwissen. „Wir müssen uns überlegen, wie wir das ändern können“, sagt Sozialdezernentin Britta Anger, die sich von vielen guten Vorschlägen aus den Reihen der Bürger beeindruckt zeigte.
In 33.000 Haushalten leben Kinder
„Familie – ist vielfältig“, so der Tenor der fünften Bürgerkonferenz. Wie vielfältig, drückt sich u.a. in folgenden Zahlen aus: 33.000 Haushalte in Bochum haben Kinder, in 7900 davon sind Mutter oder Vater alleinerziehend.
Es gibt 56.400 Haushalte ohne Kinder, 99.200 Singlehaushalte; 108.000 Menschen, die älter als 60 sind. Tendenz steigend. Und: „30 Prozent haben einen internationalen Familienhintergrund“, so Schuldezernent Dieckmann. „Darauf müssen wir reagieren.“
Damit ist es aus Sicht von Sedef Bücek und anderen Teilnehmer aber noch nicht getan. Bochum sollte auf jeden Fall auch das Betreuungsangebot für Kinder verbessern, so der Tenor.„Es hat lange gedauert, bis wir einen Kita-Platz für meinen kleinen Bruder (4) gefunden haben“, sagt die Studentin und angehende Lehrerin. „Da die Kita aber nicht bei uns in der Nähe, sondern weit weg ist, müssen wir meinen Bruder jeden Tag hinbringen und wieder abholen.“ Das geht besser.
Alle zwei Jahre soll es eine Bürgerkonferenz geben
Und tatsächlich wartet auf Bochum wie auf alle Kommunen noch einmal eine besondere Herausforderung, wenn von 2026 an auch für den Offenen Ganztag an Schulen ein Rechtsanspruch besteht.
Bis dahin wird es noch mindestens eine weitere Bürgerkonferenz geben. Alle zwei Jahre, so Oberbürgermeister Thomas Eiskirch (SPD), sollen Bochumerinnen und Bochumer die Chance habe, auf diesem Weg ihre Stadt mitzugestalten.
Bochum ist mit der Bürgerkonferenz in einer Vorreiterrolle
Und dieser Weg ist tatsächlich außergewöhnlich. „Ich kenne keine andere Stadt, die so etwas macht“, sagt David Gehne vom Zentrum für interdisziplinäre Regionalforschung (Zefir) der Ruhr-Uni Bochum. Er begleitet die Bürgerkonferenz wissenschaftlich und sagt: „Die Bürgerkonferenz ist ein sehr gutes Instrument der Partizipation.“ Zumal Ideen und Wünsche der Bürger tatsächlich umgesetzt werden.
Auch diesmal, so OB Eiskirch, werde sich die Verwaltung intensiv mit allen Daten aus Befragung und Tischgruppen auseinandersetzen. Nicht alle werden – jedenfalls nicht kurzfristig – umgesetzt. Dem Vorschlag einer Wohnungstauschbörse gab das Stadtoberhaupt zumindest aktuell wenig Chancen auf eine Umsetzung.
Hattinger Straße wird bald – mit geschützten Radstreifen – eröffnet
Aber es werde Fortschritte geben. Auch in Sachen Mobilität, die bereits bei der Bürgerkonferenz 2019 ein eigenes Thema gewesen ist. „In drei Wochen eröffnen wir die umgebaute Hattinger Straße und dort gibt es bereits eine protected bike lane, einen besonders geschützten Radstreifen, der die Sicherheit und das subjektive Sicherheitsgefühl von Radfahrern steigern wird“, kündigt der Oberbürgermeister an. Und: „Wir sind dran, aber das braucht Zeit.“