Bochum. Remondis hat in Bochum die modernste Kunststoff-Sortieranlage in Europa eröffnet. Was die Zwölf-Millionen-Euro-Anlage so besonders macht.

Norbert Rethmann hat schon viele Anlagen in seinem Leben eröffnet. Der 83-jährige Westfale hat innerhalb von 30 Jahren aus einem Müllabfuhrunternehmen in Selm einen weltweit tätigen, milliardenschweren Mischkonzern mit 100.000 Beschäftigten geschaffen. 200 von ihnen arbeiten am Standort Bochum-Gerthe. Dort, in der Regionalniederlassung von Remondis, steht die europaweit modernste Sortieranlage für Kunststoff. Ein echtes Hightech-Gerät.

Sortieranlage schluckt bunten Kunststoff und wirft einfarbige Chargen aus

Wobei „Gerät“ angesichts der Dimensionen der Anlage eine ziemliche Untertreibung ist. Tatsächlich handelt es sich um eine verschachtelte Bandstraße in einer knapp 100 Meter langen Halle, die den Betrachter unweigerlich an die großen Sortieranlagen von Paketdienstleistern erinnert. Nur dass in Gerthe nicht Pakete übers Band laufen – und das mit einer durchaus wackeren Geschwindigkeit von drei Metern pro Sekunde – sondern Plastikabfälle.

Recycling-Pionier Norbert Rethmann, Ehrenaufsichtsratsvorsitzender der Remondis-Gruppe, bei der offiziellen Eröffnung von Europas modernster Kunststoffsortieranlage in Bochum-Gerthe.
Recycling-Pionier Norbert Rethmann, Ehrenaufsichtsratsvorsitzender der Remondis-Gruppe, bei der offiziellen Eröffnung von Europas modernster Kunststoffsortieranlage in Bochum-Gerthe. © FUNKE Foto Services | Uwe Ernst

Vereinfacht dargestellt funktioniert das so: Vorne werden große, Hunderte Kilogramm schwere Ballen mit verschiedensten Kunststoffabfällen, von PET-Flasche bis Cremedosen, von groß bis klein, von einfarbig bis bunt, mit dem Gabelstapler angefahren, entschnürt und auf ein Transportband gelegt. Und etwa 100 Meter weiter kommen hinten wieder zu Ballen verschnürte Plastikabfälle heraus – diesmal aber fein säuberlich sortiert nach Farben – natur, weiß, gelb, rot, grün, blau; auch braune und bunte Ballen stehen dort an der „Ausgabe“.

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Erstmals wird Künstliche Intelligenz beim Sortieren genutzt

So weit, so gut. Das Besondere in Gerthe sind die innere Werte der Anlage. Denn die nutzt erstmals Künstliche Intelligenz zur Trennung des Materials. „Und das geschieht mit hoher Zuverlässigkeit und Präzision“, sagt Harald Lehmann, der Niederlassungsleiter der Remondis-Tochter RE Plano Bochum.

Im Fachjargon wird die Einzigartigkeit der Sortieranlage, die in nur sechs Monaten aufgebaut wurde und die zwölf Millionen Euro gekostet hat, so beschrieben: „Der innovativste Teil der Anlage ist die europaweit einzigartige Farb- und Materialsortierung mittel mehrstufiger Foto-Sensorik.“ Dadurch werde das Material nicht nur sortenrein getrennt, auch unterschiedliche Materialarten werden auseinandergehalten. Einfache Verpackungen lassen sich von Mehrschichtverpackungen trennen, Silikonschichtkartuschen zuverlässig aus dem Stoffstrom separieren. „Und das ist erst der Anfang“, sagt Standortleiter Lehmann. „Die Anlage kann noch viel mehr.“

Einsatz von KI reduziert Kosten und Umweltbelastung

Möglich wird das durch ein für die Recyclingbranche fast revolutionäres Verfahren, nämlich durch den Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI). In Gerthe wird das Material nicht nur durch Foto-Sensorik und Infrarot gescannt, sondern auch durch den ultraschnellen Abgleich von Daten, die das Erkennen von Form, Material, Farbe und anderer Indikatoren effizienter gestalten, als das bislang der Fall war.

Fein säuberlich sortiert wird der Kunststoff wieder verschnürt und nach Lünen transportiert, wo er gesäubert und zu Granulat verarbeitet wird.
Fein säuberlich sortiert wird der Kunststoff wieder verschnürt und nach Lünen transportiert, wo er gesäubert und zu Granulat verarbeitet wird. © FUNKE Foto Services | Uwe Ernst

„Damit sind wir in der Lage, ein farb- und sortenreines Recyclat herzustellen, welches den höchsten Ansprüchen der plastikproduzierenden Industrie entspricht“, heißt es bei Remondis. Vor gut zwei Jahren war der Konzern beim Münsteraner Start-up Westphalia eingestiegen, das sich mit Datenwissenschaft und KI beschäftigt. Nun sei es möglich, voll automatisiert sogenannte „Störelemente“ zu erkennen und herauszufiltern. „KI könnte zu geringeren Kosten bei der Aufbereitung beitragen und gleichzeitig echten Ressourcenschutz leisten, da die Recyclingfähigkeit der Stoffströme enorm verbessert würde“, so Rethmann-Chef Ludger Rethmann damals.

Firmengründer Rethmann gilt als Pionier des Wertstoffkreislaufs

Den Grundstein dafür gelegt hat sein Vater Norbert Rethmann, als er sich in den 1960er Jahren mit der Trennung von Kunststoffen zur Wiederverwertung beschäftigt hat. Er gilt als Pionier; als jemand, der lange vor Parteien und Interessengruppen das Thema Recycling entdeckt und entwickelt hat. Sein Credo: „Wir müssen mehr und besser sammeln“ – damit am Ende mehr Material wiederverwertet wird als jetzt.

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Die Mengen, um die es dabei geht, sind immens. Allein in Gerthe werden in der neuen Anlage etwa 30.000 Tonnen Kunststoff im Jahr sortiert. Zum Vergleich: In Bochum landen jährlich 14.000 Tonnen Material, darunter neben Kunststoffen auch Metall, in der Gelben Tonne.

Nur ein Bruchteil des Kunststoffs wird wieder verwendet

Der Haken: Vom weltweit anfallenden Kunststoffmüll wird nur ein Bruchteil gesammelt, sortiert und wiederverwendet, große Teile landen immer noch auf Deponien und werden verbrannt. Auch in Europa. Von 30 Millionen Tonnen Kunststoff, die jedes Jahr hergestellt werden, landen nur zehn Millionen in der Aufbereitung, so Ton Emans, der Präsident der Vereinigung Plastics Recyclers Europe mit insgesamt 750 Unternehmen, bei der offiziellen Eröffnung der Sortieranlage in Gerthe. Und selbst das wiederaufbereitete Material landet nicht anstandslos und sofort in neuerlichen Produktionsprozess. Wenn der Ölpreis und damit auch der Preis für neu hergestellten Kunststoff niedrig ist, haben die Aufbereitungsunternehmen einen schweren Stand auf dem Markt.