Bochum. Mit Spannung verfolgen Türken und türkisch Stämmige in Bochum den Wahlkampf in der Türkei. Die Gemeinschaft ist gespalten. Das ist zu erwarten.
Mit großer Spannung, zum Teil auch mit großer Anspannung, blicken die in Bochum lebenden Türkinnen und Türken auf die Wahlen in der Türkei am Sonntag, 14. Mai. „Ich glaube, dass die meisten Menschen mit türkischen Wurzeln bei uns in Bochum diesen Wahltag gemeinsam mit der Familie am Fernsehen verfolgen werden“, sagt Kemal Güler, der als sachkundiger Bürger für die Grünen im Bochumer Rat sitzt. Er glaubt aber auch, dass etliche Leute „diese Wahl mit einem mulmigen Gefühl“ beobachten würden.
Der ehemalige türkische Parlamentsabgeordnete Ali Atalan, der von 2015 bis 2018 für die linksgerichtete HDP in der Nationalversammlung der Türkei saß, sprach am Donnerstagabend (11. Mai) auf einer Veranstaltung beim Verein DIDF und diskutierte
über die aktuelle Lage in der Türkei. Das Thema der Veranstaltung lautete denn auch: „Wie geht es weiter in der Türkei?“
Gut zwei Dutzend interessierte Leute sind gekommen, um den 55-jährigen Politiker zu hören und mit ihm zu diskutieren. Organisiert ist die Veranstaltung von der Gruppe „Solidarität mit Rojava“. Die Anwältin Heike Geisweid moderiert. Ali Atalan spricht ruhig und führt aus: „Diese Wahl wird für die Zukunft der Türkei und die türkisch stämmigen Menschen im Ausland entscheidend sein. Denn das jetzige System kontaminiert auch das Zusammenleben der Menschen hier in Deutschland.“
Türkische Gemeinschaft in Bochum ist groß
In Bochum leben rund 8600 türkische Männer und Frauen im Alter über 18, die damit wahlberechtigt sind. Hinzu kommen Personen mit einer doppelten Staatsangehörigkeit, die ebenfalls wählen dürfen. Insgesamt leben in Bochum 15.297 (Stand 31.12.2021) Türken und Personen, die sowohl die türkische und als auch die deutsche Staatsangehörigkeit haben. Sie stellen damit mit gut vier Prozent den größten Anteil unter den Menschen mit Migrationshintergrund in der Bochumer Bevölkerung.
Güngör Güven ist Vorsitzender der Ditib-Moscheegemeinde in Dahlhausen. Er geht davon aus, dass es bei dieser Wahl eine Rekordwahlbeteiligung in Deutschland gegeben hat. Menschen aus Bochum durften bis zu Dienstag, 9. Mai, in der Essener Grugahalle wählen. „Meine Beobachtung ist, dass türkische Menschen im Alter etwa über 40 Jahren diese Wahl sehr aufmerksam verfolgen. Bei jüngeren Leuten ist das Interesse nicht so groß, vielleicht auch, weil sie hier schon sehr integriert sind.
Aus seiner Gemeinde haben etliche Leute als Wahlhelfer oder Wahlhelferinnen in der Essener Grugahalle mitgemacht. Das sei dort alles sehr geordnet abgelaufen. Güngör Güven erwartet aber keine Konflikte, ganz gleich wie die Wahl ausgeht. Konflikte in Dahlhausen hatte es zuletzt vor etwa vier Jahren gegeben, weil dort die rechte türkische Organisation „Graue Wölfe“ ein Vereinslokal betreibt und auch Veranstaltungen organisiert.
Aleviten sind klar gegen Erdogan positioniert
Klar gegen Erdogan positioniert sind die rund 1500 Mitglieder der alevitschen Gemeinde in Bochum. Arif Saklak vom Vorstand, hofft, dass Erdogan diesmal abgewählt wird. „Es hat in der türkischen Geschichte seit Kemal Atatürk keinen korrupteren Tyrannen bei uns gegeben.“ Saklak hatte mit anderen aus der Gemeinde eigens einen Shuttle-Bus zur Wahl nach Essen eingerichtet.
Noch in Erinnerung sein dürfte die riesige Anti-Erdogan-Demonstration von tausenden Menschen, darunter sehr viele Aleviten vom März 2013 sein. Damals protestierten rund 25.000 Menschen gegen einen Auftritt von Erdogan beim Steiger-Award. Dieser hatte kurzfristig jedoch seine Teilnahme abgesagt und auch den Preis dann doch nicht bekommen.
Dabei rechnen viele Beobachter noch nicht damit, dass es am Sonntag bereits eine eindeutige Entscheidung zwischen Recep Tayyip Erdogan und seinem Herausforderer Kemal Kilicdaroglu geben wird. Denn es gibt weitere Kandidaten, die aber keine Chancen auf einen Sieg haben. Ähnlich wie im französischen Wahlrecht muss ein Kandidat die absolute Mehrheit der abgegebenen Stimmen auf sich vereinigen. Also wird von einer Stichwahl ausgegangen.
Polizei appelliert: Nicht den Straßenverkehr behindern
Am Sonntag öffnen die Wahllokale in der Türkei um 7 Uhr. Sie schließen um 16 Uhr, jeweils nach der Mitteleuropäischen Sommerzeit (MESZ). Erste Teilergebnisse werden noch am Sonntagabend erwartet.
Die Bochumer Polizei beobachtet die Wahl und die Situation vor Ort aufmerksam. Bislang seien in Bochum jedoch noch keine Veranstaltungen angemeldet worden. Polizeisprecher Frank Lemanis appelliert jedenfalls: „Wie die Wahl auch immer ausgeht, von ausgelassene Feiern, die etwa den Straßenverkehr einschränken oder behindern könnten, bitten wir Abstand zu nehmen.“