Bochum. Im Abriss-Gebäude der Ruhr-Uni Bochum, dem ehemaligen NA, trainiert die Rettungshundestaffel des DRK. Wir waren bei einem Training dabei.
Das ist dein schlimmster Albtraum. Du bist verschüttet, kannst Dich nicht rühren, nicht orientieren. Siehst und hörst nichts. Lange, viel zu lange. Bis von irgendwoher ein Geräusch zu hören ist, ein Tapsen, kurz danach übertönt von einem Hecheln. Plötzlich springt dich etwas an, sucht, tastet und fängt an zu bellen. Laut und ohne Unterlass. „Danke Qarla, dass Du mich gerettet hast.“
Rettungshundestaffel trainiert im Abbruchgebäude an der Ruhr-Uni Bochum
Diesmal ist es nur eine Übung in den weitläufigen Betonschluchten des schon halb abgerissenen Gebäudes „NA“ an der Ruhr-Universität Bochum; in dem sich Schutt zu Bergen türmt, Betonpfeiler gestützt werden müssen, damit sie selbst bis zum Abriss der nächsten Etage noch die Decke stützen, und in denen der Geruch des Untergangs weht. Aber Qarla, die achtjährige Malinois-Hündin, die mich an diesem Sonntagmittag inmitten des Trainingsszenarios aufspürt, hat auch schon in wirklichen Rettungseinsätzen Menschen gefunden.
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Jetzt steht sie neben Sabine Bahr, lässt sich von ihr streicheln und kaut auf ihrer Trophäe, ihrer Belohnung herum: ein Ball, den die 59-jährige Hundeführerin des DRK Recklinghausen ihrem Schützling zugeworfen hat als Zeichen des Erfolgs und der Anerkennung. Beide, Hund und Hundeführerin, sind ausgebildet als Rettungsteam. Aber immer wieder trainieren sie die Aufgabe, Menschen an den unterschiedlichsten Orten zu suchen. Zumal: Alle zwei Jahre werden sie neu geprüft.
Das beste Trainingsgelände sind gesprengte Gebäude
„NA“, die menschengemachte Trümmerlandschaft, ist ein ideales Trainingsgelände, „weil sich hier jeden Tag etwas verändert und so immer wieder neue Umgebungen und Herausforderungen geschaffen werden“, sagt Sabine Bahr. „Am besten sind gesprengte Gebäude so wie vor zwei Jahren das Kraftwerk in Lünen oder 2021 der weiße Riese, das Hochhaus in Duisburg.“ Aber auch die Ruhr-Uni ist ein gutes Übungsgelände. Seit September kommt Bahr mit ihrem Team einmal im Monat sonntags hier hin. Auf dem Programm steht immer das Gleiche: Menschen finden und retten.
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Wobei die Aufgaben sich unterscheiden. Zumal nicht nur gut ausgebildete Vierbeiner dabei sind, sondern auch solche, die erst an die Sucharbeit herangeführt werden. Die Rettungsstaffel aus Recklinghausen mit ihren drei Ausbildern Sabine Bahr, Jörg Gottschlich und Birgit Nobis ist dabei momentan sogar im Doppeleinsatz: Sie kümmert sich nicht nur um die eigenen Hunde, sondern auch darum, dass der DRK-Verband Hellweg ein Team für die Trümmersuche aufbauen kann. Die Kolleginnen und Kollegen, Menschen wie Hunde, bringen Erfahrungen in der Flächensuche mit, eine der anderen Disziplinen der Rettungsteams, bei denen es um die Suche im Freien geht. Nun wollen sie auch geprüfte Teams für die Suche in Gebäuden aufbauen.
Hunde können Menschen in bis zu 600 Meter Entfernung riechen
Den ersten Einsatz haben die ein Dutzend Hunde, die an diesem Sonntagmittag dabei sind, schon hinter sich. Kurze Pause für Mensch und Tier. Doch als ich das Auto passiere, in dem Qarla und der dreieinhalbjährige Timmy, wie sie ein belgischer Kurzhaarschäferhund (Malinois), in ihren Boxen sitzen und warten, bellen beide lautstark los. Es ist das Zeichen: Lass mich raus – und suchen. Zu diesem Zeitpunkt weiß Qarla noch nicht, dass sie mich später retten wird. Die beiden Hunde von Sabine Bahr brennen darauf, etwas zu tun, eine Aufgabe zu bekommen. „Nasenarbeit“ nennen sie das hier. Schäferhunde und Retriever sind dafür besonders gut geeignet, erfahre ich; überhaupt Hunde mit einem ausgeprägten Jagdinstinkt.
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Und diese Arbeit erledigen die Vierbeiner in erstaunlicher Weise. Ihre Fähigkeiten sind unglaublich. Sie können im Freien den Geruch von Menschen, die bis zu 600 Meter entfernt sind, wahrnehmen. In Gebäuden können sie sie selbst dann aufspüren, wenn nur ein kleines Loch in einer Wand der einzige Zugang zu einem Verschütteten ist. Auch bei jüngsten Erdbeben in der Türkei und in Syrien hätte die Rettungshundestaffel aus Recklinghausen eingesetzt werden können. „Aber der Rote Halbmond hat uns nicht angefordert“, erklärt Sabine Bahr.
Menschen und Hunde arbeiten im Team zusammen
Der jüngste Einsatz ist noch gar nicht so lange her. Er hatte allerdings einen traurigen Ausgang. Der DRK-Trupp war bei der Suche nach der zwölfjährigen Luise in Freudenberg dabei. Nachts um drei kam der Alarm, von fünf bis in den frühen Nachmittag haben sie in ihrem Einsatzabschnitt gesucht – insgesamt 174.000 Quadratmeter, wie ich erfahre. Gefunden wurde das Mädchen dann an anderer Stelle. Tot. Es sind die Schattenseiten einer ehrenamtlichen Arbeit, die Hunden und Menschen ansonsten viel Befriedigung und Bestätigung beschert.
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Wobei beide aufeinander angewiesen sind. „Im Feld können die Hunde eine vermisste Person genau ausmachen und finden“, erklärt Hundeführer Jörg Gottschlich. In Gebäuden, bei der Trümmersuche, ist das anders. Die Tiere nehmen den Geruch wahr. „Aber je nachdem, wie die Luft in den Räumen zirkuliert, liegt die eigentliche Fundstelle mitunter woanders: hinter einer Wand, in der nächsten Etage, 20 Meter weiter hinter einem Stein oder wo auch immer." Das auszumachen, ist eine der Aufgaben der Hundeführer. Sie tragen Döschen mit Pulver bei sich und verstreuen immer wieder eine Prise davon, um buchstäblich zu sehen, woher der Wind weht, woher demnach der vom Hund ausgemachte Geruch herkommen mag und wo eine gesuchte, versteckte Person liegen könnte.
Als Statist allein unter einem riesigen Plastiksack
So wie ich an diesem Sonntagmittag als Statist auf einem klappbaren Angelhocker unter einer überdimensionalen Plastiktüte – einem sogenannten Big Pack – sitze, die mich ganz verhüllt und die neben zwei mit Steinen gefüllten großen Behältern im Erdgeschoss von NA Süd steht. Unauffällig. Verschwunden, scheinbar wie vom Erdboden verschluckt. – Aber nicht verschollen. „Danke Qarla, dass Du mich gerettet hast.“