Bochum. Vom schusseligen Dirigenten bis zum kreidebleichen Steven Sloane: Inspizient Jürgen Eckstein war oft Retter in der Not. Jetzt geht er in Rente.
Das Unheil geschah mitten in der Mahler-Symphonie: Die Ränge im Audi-Max, wo die Bochumer Symphoniker über Jahrzehnte ihre Konzerte gaben, waren gut gefüllt. Der ehemalige Generalmusikdirektor Steven Sloane führte die Musiker schwungvoll durchs Konzert, da bemerkte Orchesterinspektor Jürgen Eckstein am Seitenrand stehend, dass etwas nicht stimmte: „Sloane sprang plötzlich vom Pult und lief auf mich zu. Ihm war kotzübel“, erinnert sich Eckstein.
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Inspizient Jürgen Eckstein war in Bochum oft Retter in der Not
In letzter Sekunde konnte Eckstein den kreidebleichen GMD bis zur Toilette begleiten. Die Zuschauer wunderten sich kurz, doch das Konzert ging weiter. Dass der ehemalige erste Geiger Roeland Gehlen für Sloane kurzerhand das Dirigat übernahm, nötigt Eckstein bis heute Respekt ab: „Mahler dirigiert man nicht mal eben auf die Schnelle. Das ist ja nicht der Radetzkymarsch.“
Viel freie Zeit für den Garten und den VfL
Jürgen Eckstein arbeitete mehrere Jahre fürs Jugendamt und im Jugendzentrum Juma in Steinkuhl, ehe er 1996 zu den Symphonikern kam. „Immer die Ruhe bewahren“, lautet sein oberstes Credo.
Eher ruhig möchte er es auch in seinem Ruhestand angehen lassen: „Ich besorge mir eine Jahreskarte für den VfL und werde mich mal eingehend meinem Garten widmen. Der hat in den letzten Jahren sehr gelitten.“
Anekdoten wie diese kann Jürgen Eckstein viele erzählen. 27 Jahre lang war er als Inspizient und Orchesterinspektor für die Bochumer Symphoniker im Einsatz, am 7. März geht er mit 64 Jahren in den Ruhestand. Sein Job war es, „die Spielfähigkeit des Orchesters sicherzustellen“, wie es in seinem Arbeitsvertrag nüchtern heißt. Doch das ist weitaus kniffeliger als man denkt.
Bei 85 Musikerinnen und Musikern kann immer was passieren
Denn bei einem Ensemble, das aus 85 Musikerinnen und Musikern besteht, kann immer etwas passieren. „Das fängt damit an, dass sich plötzlich jemand krankmeldet. Da muss ich schnell Ersatz organisieren.“ Auch das Engagement von Gastmusikern fällt in seine Zuständigkeit: Manche Instrumente wie etwa das Akkordeon sind in regulären Orchestern nicht besetzt. Wenn sie trotzdem zum Einsatz kommen, zückt Eckstein das Diensthandy und organisiert Aushilfen. „Als ich hier anfing, hatte ich 37 Nummern im Telefon. Mittlerweile sind es über 1000.“
Während der Proben, bei den Konzerten und auf Tourneen kümmert sich Eckstein um alles, was anfällt. Dazu gehört auch die Betreuung der nicht selten prominenten Gäste. Von Herbert Grönemeyer über Sting bis Harald Schmidt: Eckstein kennt alle ihre Eigenheiten und Marotten. „Dabei gilt immer: Je angesehener ein Star ist, desto weniger Extrawünsche hat er.“ Komplizierter wird es da eher schon mit manchem Gastdirigenten: „Einer hatte mal vergessen, seiner Frau etwas zum 50. Hochzeitstag zu besorgen. Ich habe dann schnell für ihn ein Kaffeeservice gekauft.“
Heimlicher Einsatz am Ümminger See
An einen Einsatz erinnert sich Eckstein ganz besonders gern: Für die Aufführung des Stücks „Surrogate Citys“ von Heiner Goebbels in der Jahrhunderthalle wird verlangt, dass die Pauken statt mit normalen Schlägeln mit Weidenstöcken gespielt werden. „Ich habe in jeder Blumenhandlung nachgefragt, doch dafür war einfach die falsche Jahreszeit.“ Also kontaktierte Eckstein das Grünflächenamt und erhielt nach längeren Verhandlungen den heimlichen Tipp, sich die Stöcke am Ümminger See einfach selbst abzuschneiden. „Dort bekam ich zwar ziemlichen Ärger mit den Forstarbeitern, doch es hat sich gelohnt. Die Stöcke klangen im Konzert viel besser.“
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Ein Meister in komplizierten Situationen
Für seine langjährige Arbeit und das unkomplizierte Auftreten eines echten Ruhrpottlers genießt Eckstein bei den Symphonikern hohes Ansehen. „Er hat eine ungeheuer authentische und ehrliche Art“, erzählt der Kontrabassist Klaus Heimbucher. Und: Eckstein ist ein Meister in komplizierten Situationen. „Auf Gastspielreisen lief er regelmäßig zu Hochform auf“, erinnert sich Heimbucher. „In New York 2008 bekamen die Bassisten völlig ungeeignete Basshocker. Da hat Jürgen sofort einen Fundus für Theaterausstattung aufgetrieben, irgendwo in einem Hochhaus im 23. Stock.“