Bochum. Krieg und Krisen prägten das Jahr. Auch für die Kirchen hielt es große Herausforderungen bereit. Zwei Bochumer Pfarrer erzählen aus ihrem Alltag.
Dutzende Papierengel baumeln über den Bänken der Pauluskirche. Die Gläubigen haben die Himmelsboten mit ihren Wünschen für das neue Jahr beschriftet. Der Krieg in der Ukraine möge endlich aufhören, heißt es. Friede auf Erden solle herrschen. Aber auch ureigene Ängste und Sorgen werden niedergeschrieben. „Davon gibt es in diesem Jahr besonders viele“, weiß Pfarrer Constantin Decker und blickt wie auch der katholische Pfarrer Thomas Köster auf ein Jahr voller Herausforderungen zurück.
Bochumer Pfarrer berichten: Menschen suchen gegenseitig Halt
Der 33-Jährige ist als evangelischer Seelsorger in der Innenstadt tätig. 12.000 Mitglieder umfasst die Gemeinde samt ihrer Außenbereiche. Der Kriegsbeginn im Februar habe seine Arbeit massiv geprägt, sagt der junge Geistliche im WAZ-Gespräch. Erschrocken seien die Menschen gerade am Anfang gewesen, hilf- und ratlos ob des täglichen Grauens in den Nachrichten.
Die erste Reaktion war: Wir müssen etwas tun, müssen dem Krieg etwas entgegensetzen, schildert Decker. Bei den eilig organisierten Friedensgebeten waren die Kirchen voll. Auch viele jüngere Menschen waren dabei. „Man suchte gegenseitig Halt.“
Junge Mutter in Not: „Mir fehlt das Geld für Windeln“
Ein „Segen für Bochum“ sei es, dass unmittelbare praktische Hilfe geleistet werden kann. Die Gesellschaft Bochum-Donezk mit ihren inzwischen mehr als 30 Hilfstransporten ins Kriegsgebiet wurde und wird von der Evangelischen Kirche unterstützt. Jugendliche packen beim Verladen der Lastwagen mit an. „Wir mussten hier keine neue Hilfsaktion mehr gründen. Der Donezk-Verein verfügt über die komplette Infrastruktur. Dort wird großartige Arbeit geleistet“, so Constantin Decker.
Inzwischen seien es vor allem die Folgen des Kriegs, die die Kirchen erreicht haben. Die explodierenden Preise für Energie und Lebensmittel nähmen in den Gesprächen mit den Gemeindemitgliedern eine große Rolle ein, sagt Constantin Decker. „Die einen haben Furcht, demnächst in finanzielle Nöte zu geraten.“ Andere stecken schon mittendrin: „Eine junge Mutter rief an und sagte: ,Mir fehlt das Geld für Windeln.´“ Der Pfarrer versucht zu helfen: mit der Diakonie, mit der Tafel, mit Mut, Trost und Zuspruch.
Caritas und Kleiderkammer leisten praktische Hilfe
Damit wartet auch Thomas Köster auf. Seit neun Jahren ist er Pfarrer der St.-Franziskus-Gemeinde im Bochumer Süden. Auch hier zeigen Krieg und Inflation ihre Konsequenzen, erzählt der 53-Jährige im Lindener Pfarrhaus. „Es gibt Anfragen wie: Bald können wir unsere Rechnungen nicht mehr bezahlen.“ Was die Kirche leisten kann? „Es gibt Beistand bei Anträgen an die Behörden. Die Caritas steht für Beratungen bereit. Zudem wird unsere gemeindeeigene Kleiderkammer rege genutzt. Freitags bilden sich regelmäßig Schlangen.“
In der ehemaligen Helios-Klinik ist der Krieg ganz nahe. Flüchtlinge aus der Ukraine sind hier untergebracht, meist Frauen und Kinder. Die Gemeinde lade u.a. zu Kaffee-Nachmittagen ein, erklärt Thomas Köster, der eine Mutter mit Tochter für acht Wochen auch daheim im Pfarrhaus einquartiert hat. „Das war eine bewegende Zeit.“
Die Botschaft lautet: „Gott ist gerade jetzt bei uns“
Die Angst gerade älterer Menschen, dass es auch bei uns Krieg geben könnte, sei in den vergangenen Monaten weniger ausgeprägt, beobachtet der katholische Geistliche. Die Ungewissheit, was das neue Jahr an zusätzlichen Belastungen bringt, ob Corona noch einmal zurückkehrt, sei unverändert groß. Deshalb komme dem Weihnachtsfest diesmal eine besondere Bedeutung zu. Köster: „Die Botschaft ist: Gott ist gerade in diesen schweren Zeiten bei uns.“ Dabei könnte zumindest ein Teil des Geldes für Geschenke an wohltätige Organisationen gespendet werden. Denn: „Die Begegnung der Menschen ist das eigentliche Geschenk.“
Dürfen wir 2022 unbeschwert Weihnachten feiern? „Unbedingt“, meint auch Constantin Decker. Ja, das Jahr war und ist voller Schreckensnachrichten: „Ich höre oft: ,Ich schalte ab, ich kann das nicht mehr ertragen!’“ Ja, auch hierzulande seien die Sorgen groß: „Das Thema Einsamkeit hat nochmal deutlich zugenommen, gerade auch bei jungen Menschen.“ Aber: „Die Weihnachtsbotschaft ist erfüllt von Zuversicht. Lasst uns das Weihnachtsfest genießen, uns daran erfreuen, dass das Leben auch schön ist, ohne zu vergessen, dass viele andere Menschen auf der Welt bittere Not leiden.“
Auch das steht auf einem Papierengel in der Pauluskirche: „Man kann dankbar sein, dass wir in Frieden leben und dass es uns gut geht.“ Frohe Weihnachten!