Düsseldorf. Grünen-Politiker Arndt Klocke über eine neue Stabsstelle in der Staatskanzlei und die oft nicht erkannte Not mit sozialer Isolation.
NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) hat in der vergangenen Woche eine Stabsstelle zum Kampf gegen Einsamkeit in der Staatskanzlei eingerichtet. Was es damit auf sich hat und warum soziale Isolation politische Antworten von Schwarz-Grün in NRW braucht, erklärt der Grünen-Landtagsabgeordnete Arndt Klocke im Gespräch mit unserer Redaktion.
Herr Klocke, Sie sind der erste Fachsprecher für mentale Gesundheit im NRW-Landtag. Ministerpräsident Hendrik Wüst hat gerade eine „Stabsstelle Einsamkeit“ in seiner Staatskanzlei eingerichtet. Ist es wirklich Aufgabe schwarz-grüner Regierungspolitik, zwischenmenschliche Beziehungen herzustellen?
Ich habe mich sehr gefreut, dass Ministerpräsident Wüst das weit verbreitete Problem der Einsamkeit in unserer Gesellschaft gleich in seiner ersten Regierungserklärung ausführlich angesprochen hat und die neue Stabsstelle direkt in der Regierungszentrale angesiedelt ist. Das Thema verdient Beachtung. Es belastet deutlich mehr Menschen, als viele glauben. Großbritannien hat 2018 sogar ein eigenes Ministerium geschaffen, das sich um Einsamkeit und mentale Gesundheit kümmert.
Wie verbreitet ist Einsamkeit?
Es gibt keine medizinisch exakte Definition von Einsamkeit, sondern das subjektive Gefühl, dass zwischen den erwünschten und tatsächlichen sozialen Beziehungen eine schmerzhafte Lücke klafft. Für die Betroffenen ist das eine große Not, die die Anfälligkeit für körperliche und dauerhafte seelische Krankheiten erhöht. Aus der wissenschaftlichen Beratung der Enquetekommission ‚Einsamkeit‘ in der vergangenen Legislaturperiode des Landtags wissen wir, dass über 14 Prozent der Menschen in Nordrhein-Westfalen einsam sind.
Wer ist betroffen?
Anders als oft unterstellt, geht es nicht nur um Alterseinsamkeit, etwa wenn Partner und Freunde versterben oder die Kinder das Elternhaus verlassen. Junge Menschen sind genauso betroffen, gerade in der Orientierungsphase nach der Schule. Die Härten der Corona-Pandemie, aber auch gesamtgesellschaftliche Trends wie die Individualisierung der Lebensführung oder die hohen Ansprüche an berufliche Mobilität haben es für Menschen in jungen Jahren schwerer gemacht, belastbare soziale Beziehungen aufzubauen.
Welche Risikofaktoren gibt es für Einsamkeit?
Ärmere Menschen oder Alleinerziehende haben es schwerer, soziale Netzwerke zu knüpfen und zu pflegen. Auch gesellschaftliche Minderheiten wie Menschen mit Behinderung, mit Migrationshintergrund oder queere Personen haben ein höheres Risiko, unter Einsamkeit zu leiden.
Was soll die Landespolitik dagegen tun?
Ich sehe vor allem zwei Ansatzpunkte: Wir müssen den Wert von menschlichen Begegnungen bei politischen Entscheidungen konsequenter mitdenken und die Beratungs- und Hilfsinfrastruktur im Land deutlich verbessern.
Was heißt das?
Wir könnten Förderprogramme in der Stadt- und Bauplanung zum Beispiel daran koppeln, dass soziale Begegnungsorte wie der Nachbarschaftstreff oder das Altencafé geschaffen werden. Außerdem müssen wir das Ehrenamt weiter stärken, denn ehrenamtlich aktive Menschen sind bis ins hohe Alter deutlich seltener einsam. Wer seelisch krank ist und Hilfe braucht, darf wiederum nicht mehr neun Monate auf einen Therapieplatz warten müssen. Ich hoffe, dass die Stabsstelle in der Staatskanzlei nicht nur solche sinnvollen Maßnahmen vorantreiben kann, sondern insgesamt zu einem Bewusstseinswandel im Erkennen und Behandeln von psychischen Erkrankungen beiträgt.
Ist es in unserer Instagram-Welt, in der sich jeder als Star seines angeblich glamourösen Lebens inszeniert, nicht wahnsinnig schwer, zu Einsamkeit und mentaler Erkrankung zu stehen?
Wir müssen dringend zu einer Enttabuisierung von psychischen Erkrankungen kommen. Dazu gibt es in den sozialen Netzwerken, auch bei Instagram, gute Tipps und auch Hilfsangebote. Jeder Hausarzt kann davon berichten, dass Kopfschmerzen, Rückenleiden oder Schlafstörungen oftmals psychosomatisch sind, aber die Patientinnen und Patienten es nicht wissen oder wahrhaben wollen.
Sie selbst sind 2017 als Grünen-Fraktionschef mit der Nachricht an die Öffentlichkeit gegangen, dass Sie sich mit Depressionen in Therapie begeben. Haben Sie das bereut?
Nein. Als ich damals zehn Wochen in Behandlung war, wollte ich mich nicht hinter einer angeblichen anderweitigen schweren Erkrankung verstecken. Ich habe enorm viele positive Rückmeldungen bekommen und bin dankbar, dass ich als Abgeordneter mit dieser Erfahrung heute politisch etwas für andere Betroffene bewegen kann. Es tut sich zwar einiges im öffentlichen Umgang mit Depressionen, aber zu viele Menschen empfinden diese Krankheit noch immer als Karrierekiller.
Stimmt das denn nicht?
Sie können in verantwortlicher Position zwei Herzinfarkte oder einen Schlaganfall hinter sich haben, ohne dass jemand an ihrer Leistungsfähigkeit zweifelt. Nach einer Behandlung wegen Depressionen hingegen gelten Sie schnell als beruflich nicht mehr belastbar. Das muss sich endlich ändern. Ich bin zum Glück nur sehr, sehr selten körperlich erkrankt, aber wenn Sie bei Google ‚Arndt Klocke und Gesundheit‘ eingeben, sind sie sofort bei Depressionen. So etwas entmutigt leider viele, zu ihrer Erkrankung im beruflichen Kontext zu stehen.