Bochum. Ein Bochumer Arzt steht wegen mutmaßlich unrichtiger Atteste für eine Befreiung von der Coronamaske vor Gericht. Die Emotionen gehen hoch.

Das Publikumsinteresse im Bochumer Landgericht ist enorm und im Saal schlagen die Emotionen hoch. Seit Freitag steht der Bochumer Arzt Dr. Andreas Triebel (77) vor der 1. Strafkammer, ein Mann, der auch auf den Querdenker-Demos mehrfach am Rednerpult das Wort ergriffen hatte.

Die Staatsanwaltschaft wirft ihm vor, Patienten ohne vorherige Untersuchung Atteste ausgestellt zu haben, die sie vom Tragen einer Corona-Maske befreiten – aus „politischen und medizinfremden Gründen“, weil er mit den Vorschriften zum Tragen von Corona-Masken nicht einverstanden war.

Fast 100 Zuschauerinnen und Zuschauern wollten den Prozess gegen den Bochumer Arzt verfolgen. Die, die reinkamen, wurden von Justizwachtmeistern an einer Sicherheitsschleuse kontrolliert.
Fast 100 Zuschauerinnen und Zuschauern wollten den Prozess gegen den Bochumer Arzt verfolgen. Die, die reinkamen, wurden von Justizwachtmeistern an einer Sicherheitsschleuse kontrolliert. © FUNKE Foto Services | Svenja Hanusch

Der Arzt habe wider besseres Wissen gehandelt. Es geht um 21 Fälle in den Jahren 2020 und 2021. Die begünstigten Patienten hätten die Atteste bei politischen Veranstaltungen wie etwa Querdenker-Demos gegenüber Polizeikräften vorgezeigt.

Angeklagter aus Bochum feuert Breitseite gegen die Staatsanwaltschaft ab

Scheinbar gelassen steht der Internist, Chef einer alteingesessenen Bochumer Praxis für Allgemeinmedizin, vor Beginn der Hauptverhandlung hinter der Anklagebank, während die Presse Fotos und Videos von ihm macht. Unkenntlich müsse man sein Gesicht für die Berichterstattung nicht machen, erklärt er.

Später im Prozess ist es aber aus mit der äußerlichen Ruhe. Er bestreitet, die Atteste ohne medizinische Notwendigkeit erstellt zu haben und feuert eine Breitseite gegen den ermittelnden Oberstaatsanwalt Andreas Bachmann ab, den Anklageverfasser. „Die Anklage beruht auf Lüge und Betrug“, sagt Triebel. Der Ankläger habe „frei fantasiert“ und „sehr schlampig“ ermittelt. „Ich bitte um Verständnis, wenn ich den Mann ignoriere.“ Mit der Anklage offenbare er „seine Ahnungslosigkeit“.

Bochumer Arzt wagt einen Nazivergleich

Dann wird der Ton noch schärfer: Der Ankläger sei „besessen, eine politische Agenda zu verfolgen“. Da werde man „blind für Tatsachen“. Die Ermittler hätten Patienten in seiner Praxis „festgesetzt“ und ihren Datenschutz missachtet. Das Recht sei „verbogen und gebeugt“ worden. „Sogar der Geheimdienst wurde gegen mich eingesetzt.“ Er sei Opfer einer „politischen Intrige“.

Am Ende zieht der Arzt einen Nazi-Vergleich: Er spricht von „Gesinnungsschnüffelei“, die er seit 80 Jahren für überwunden geglaubt habe – „welch ein Irrtum“.

Vorsitzender Richter Dr. Thorsten Fülber (Mitte) leitet den Prozess am Landgericht Bochum.
Vorsitzender Richter Dr. Thorsten Fülber (Mitte) leitet den Prozess am Landgericht Bochum. © FUNKE Foto Services | Svenja Hanusch

Auf die konkreten Anklagevorwürfe gemünzt wirft Triebel dem Ankläger vor, dass er die Daten auf den in Rede stehenden Attesten nicht richtig interpretiert habe: Er habe Zeugnisse, Atteste und Kassenabrechnungen zusammengerührt. Eine „seriöse“ Anklagebehörde hätte dies vor einer Anklageerhebung geklärt.

Allerdings hatte auch die 1. Strafkammer die Aktenlage für belastbar genug gehalten, dass sie die Anklage zugelassen und das Hauptverfahren eröffnet hat. Es soll neben belastenden Sachbeweisen auch Zeugen geben, die die Vorwürfe stützen.

Verteidiger: „Mein Mandant kennt das Berufsrecht und handelt danach“

Trotzdem betont Verteidiger Dr. Andreas Neumann (Münster), dass es „völlig ausgeschlossen“ sei, dass der Angeklagte lediglich „auf Zuruf“ Atteste ausgestellt habe. „Mein Mandant kennt das Berufsrecht und handelt danach.“ Die Staatsanwaltschaft solle die Anklage zurücknehmen. Dies ist aus prozessrechtlichen Gründen allerdings gar nicht erlaubt.

Praxis wurde mehrfach durchsucht

In der Praxis gab es nach Aktenlage zwei Durchsuchungen, wie der Richter sagte. Der Angeklagte aber korrigierte dies: „Fünf Mal waren die Leute bewaffnet bei mir.“

Zeitweise drohte auch der Entzug der ärztlichen Approbation. Das Verwaltungsgericht verhinderte dies aber. Die seit 40 Jahren in Bochum bestehende Arztpraxis ist weiter mit Triebel und zwei Ärztinnen in Betrieb.

Triebel ist auch in der der Partei „Die Basis“ aktiv („Basisdemokratische Partei Deutschland“).

Teilweise kamen die Attest-Empfänger von weither nach Bochum. Triebel meint, dass deren Hausärzte wohl „Angst“ gehabt hätten, ein Attest auszustellen. „In welcher Republik leben wir, dass Ärzte Angst haben müssen?“

Der Prozess beginnt mit fast 40-minütiger Verspätung, weil fast 100 Zuschauer in den Sitzungssaal wollen. Doch nur rund die Hälfte bekommt einen Platz, die anderen müssen auf dem Gerichtsflur bleiben. Richter Dr. Thorsten Fülber macht den Zuschauern im Saal zu Beginn der Verhandlung klar, dass – „bei aller Emotionalität des Themas“ – Fragen der Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit der Corona-Maßnahmen nicht in die Zuständigkeit seiner Kammer falle. „Hier geht es allein um die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft.“

Am Montag wird der Prozess fortgesetzt. Terminiert sind zwei weitere Sitzungen bis 9. November.

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