Mitte. Die „Postkutsche“ in Bochum bangt um ihre Existenz. Wegen einer Baustelle bleiben die Gäste aus. Ob es einen Ausgleich gibt, erscheint fraglich.
„♡lich willkommen!“, steht auf der Tafel an der Tür. Doch Oliver Witt weiß: Einladend wirkt seine „Postkutsche“ derzeit nicht. Die Traditionsgaststätte an der Viktoriastraße ist seit mehr als zwei Wochen nur über eine Baustellenrampe zu erreichen. Unmittelbar am Eingang wird für das künftige Viktoria-Karree gebuddelt. „Seit 2019, als der Abriss des Gerichts begann, habe ich den Mund gehalten“, sagt der 46-jährige Pächter. „Aber jetzt reicht es.“
„Postkutsche“ in Bochum lebt seit drei Jahren mit Großbaustelle
Seit 2012 betreibt „Olli“, wie er von seinen Gästen genannt wird, die mehr als 100 Jahre alte Eckkneipe (früher „Von 8 bis 8“) in der Bochumer Innenstadt. Seit drei Jahren lebt er mit einer Großbaustelle in direkter Nachbarschaft. Erst wurde das alte Amts- und Landgericht dem Erdboden gleichgemacht. Seit zwei Jahren entsteht hier das Viktoria-Karree.
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Mehrfach geriet die „Kutsche“ in schweres Fahrwasser. „Im Sommer 2019 habe ich geschlossen. Staub und Lärm waren damals unerträglich“, schildert Witt. Fatal: 2020 fehlten ihm just diese Monate bei der Berechnung der Corona-Hilfen. Das Aus war nahe, die Lockdowns und Pandemie-Beschränkungen schmerzten. Erst in diesem Jahr erreichten die Umsätze wieder Normalmaß.
„Irgendwie haben wir alle Tiefen gemeistert und weitergemacht“, sagt der Kutscher. Doch jetzt fühlt er sich erneut ausgebremst.
Selbst der VfL Bochum leistet derzeit keine Schützenhilfe
Als er Anfang August aus dem Urlaub zurückkehrte, war seine Kneipe von Bauzäunen umzingelt. Beidseitig des Eingangs klafften Baugruben. „Ohne mich zuvor auch nur mit einem Wort zu informieren, hatten die Stadtwerke damit begonnen, Versorgungsleitungen für das Viktoria-Karree zu verlegen“, zürnt Witt. „Dabei wurde uns Anliegern von der Stadt immer wieder versprochen, ,Hand in Hand’ zu arbeiten. Nun hieß es, das sei ,wohl untergegangen’.“
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Die Folgen seien gravierend. „Mitten im Sommer muss ich auf die komplette Außengastronomie mit 30 Plätzen verzichten. Wer will denn bei diesem Wetter drinnen sitzen?“, fragt Oliver Witt. Selbst der VfL leiste derzeit keine Schützenhilfe. „Als Fußballkneipe sind wir bei den Liveübertragungen normalerweise rappelvoll. Aber am vergangenen Wochenende hatten wir insgesamt 16 Gäste – trotz des VfL-Auswärtsspiels in Hoffenheim. Viele Leute glauben anscheinend, wir haben wegen der Baustelle nicht geöffnet.“
Wirt empfindet Gebührenerlass als „lächerlich“
Noch knapp zwei Monate bleibe die Baustelle bestehen, hätten ihm die Stadtwerke mitgeteilt. „Das kann und darf nicht wieder alles auf meinen Deckel gehen“, sagt Witt, berichtet von Absagen für zwei 50. Geburtstage und bangt um den Fortbestand der „Postkutsche“.
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Als „lächerlich“ empfindet er ein Angebot, das ihm eine Stadtwerke-Mitarbeiterin in Aussicht gestellt habe. „Sie meinte, dass die Stadt die Nutzungsgebühren für die Außengastronomie erlassen könnte. Allerdings nur anteilig für die zehn Wochen. Bei jährlich 180 Euro wären das gut 30 Euro. Das kann und darf kein Ausgleich für mein Baustellen-Minus sein!“
Stadtwerke: Bauarbeiten sollen Ende September abgeschlossen sein
„Die Koordinierung der Leitungsarbeiten ist abhängig von anderen Gewerken und musste daher kurzfristig durchgeführt werden“, erklärt Kai Krischnak, Sprecher der Stadtwerke Bochum, auf WAZ-Anfrage. Allerdings seien die Anwohner und Gewerbetreibenden im Vorfeld umfangreich über den Neubau des Viktoria-Karrees informiert worden. Alle Eingänge zu den Gebäuden seien gewährleistet, auch zur „Postkutsche“.
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Die Leitungsarbeiten sollen nach Angaben des Energieversorgers bis Ende September abgeschlossen sein. Krischnak: „Über das Erlassen von Außennutzungsgebühren entscheidet die Stadt Bochum. Die Stadtwerke können dieser Entscheidung nicht vorgreifen.“ Bei derartigen Baumaßnahmen gebe es grundsätzlich keine Kompensation durch die Stadtwerke.