Bochum-Weitmar. Seit 50 Jahren arbeitet die Integrative Kindertagesstätte an der Wasserstraße in Bochum. Wie sich das aus einer Elterninitiative entwickelt hat.

Panagiota Patsia erklärt es lächelnd, aber kurz und krass: „Wenn bei uns ein Kind krampft, wissen wir, ob wir in drei Minuten einen Rettungswagen holen müssen oder in fünf.“ Die individuellen Profile der Kinder, ihre Allergien, Vorlieben, und ihren besonderen Förderbedarf kennen die Beschäftigten hier ganz genau. Ein besonderer Anspruch, besondere Kinder, und das schon seit 50 Jahren, denn die Integrative Kindertagesstätte, das Familienzentrum des Evangelischen Kirchenkreises an der Wasserstraße, besteht runde 50 Jahre. Und Leiterin Patsia ist stolz auf ihr Team.

Mit dem umgekehrten Ansatz für Integration in Bochum

Die Herangehensweise für die 33 Mitarbeiterinnen („mit Praktikantinnen“) ist teils genau andersherum als üblich im wohnortnahen Regelkindergarten um die Ecke, beschreibt sie: „Wenn der Förderbedarf des Kindes festgestellt ist, wird über den Landschaftsverband LWL und die Stadt gesucht, ob es überhaupt Alternativen für das Kind gibt.“

Nazem will einen Handabdruck für das Banner zum 50-jährigen Bestehen der Kita beisteuern.
Nazem will einen Handabdruck für das Banner zum 50-jährigen Bestehen der Kita beisteuern. © FUNKE Foto Services | Bastian Haumann

In den 1990er-Jahren, erinnert sich Patsia, sei es ein Experiment gewesen, eine Gruppe von Kindern aus einem Regelkindergarten in das Familienzentrum hier zu integrieren. „Es funktionierte, obwohl es praktisch der umgekehrte Ansatz war und ist“, führt sie aus. Heute werden hier in fünf Gruppen 60 Kinder betreut, im Regel-Schema können es auch 120 sein. Hier liegt der Schlüssel bei einer Kraft für drei Kinder.

Eine Kraft für drei Kinder

„Kinder mit Autismus beispielsweise können in größeren Gruppen Riesenprobleme haben“, nennt sie als Beispiel, und schränkt ein: „Das kann aber auch gelingen.“

Panagiota Patsia, Leiterin des Familienzentrums Integrative Kita Wasserstraße.
Panagiota Patsia, Leiterin des Familienzentrums Integrative Kita Wasserstraße. © FUNKE Foto Services | Bastian Haumann

Vielleicht am besten geeignet zur Anschauung ist ein Blick in den hintersten Keller. Auf Regalen aufgereiht stehen hier „die Schätzchen“, wie Panagiota Patsia sie nennt. Gehhilfe, Rollatoren in allen Größen, Farben und Formen, teils „40, 50 Jahre alt, aber wir haben damit die Auswahl und können genau ausprobieren, was für welches Kind geeignet ist.“

Suche in der Nähe

Sie haben hier Kinder mit umfangreichen Behinderung, zum Teil schwer mehrfach behindert, mit Sauerstoff-Geräten oder PEG-Magen-Sonden, und eben mit Autismus, einem Syndrom mit vielfältigen Ausprägungen, oder mit Epilepsie oder Stoffwechselerkrankungen.

Kontakt und Info

Öffnungszeiten für die Tagesstätte: Montag bis Donnerstag 7.15 Uhr - 16.45 Uhr, Freitag 7.15 Uhr - 14.15 Uhr, heilpädagogischer Bereich: Montag bis Donnerstag 8.30 Uhr - 15.30 Uhr, Freitag: 8.30 Uhr - 13 Uhr.

Angebote für Kinder zwischen 0 Jahren bis zum Beginn der Schulpflicht: unter zwei Jahren 45 Wochenstunden, unter drei Jahren 45 Wochenstunden, ab drei Jahren 45 Wochenstunden, ab drei Jahren mit heilpädagogischem Förderbedarf 32,5 Wochenstunden.

Möglich sind: Ergotherapie, Sensorische Integrationstherapie (SI), Physiotherapie, Bobath-Therapie, Logopädie, Entwicklungsdiagnostik, Elternarbeit und Elternberatung, Hilfestellung bei der Schulwahl, Hilfsmittelversorgung. Gebäude und Gelände sind barrierefrei.

Ansprechpartnerin: Panagiota Patsia, 0234 432478, , Wasserstraße 435, 44795 Bochum.

„Begonnen hat alles mit einer Elterninitiative, die schon 1958 ihre behinderten Kinder eben nicht in die großen Zentren wie Datteln oder sogar in Volmarstein schicken wollte, sondern in der Nähe“, erzählt Patsia. 1972 war dann der Start hier in Weitmar, als heilpädagogische Einrichtung, es folgten der Übergang an die Innere Mission, dann die Diakonie und den Evangelischen Kirchenkreis.

Teilhabe für jedes Kind

Früh begann von der Integrativen Kita aus auch schon die Kooperation mit der Körperbehindertenschule des LWL am Leithenhaus in Langendreer. Und mit einer Geste in die Nachbarschaft beschreibt Patsia: „Gleich nebenan ist das Wohnheim für junge Erwachsene, also praktisch von 0 bis Ende offen.“

Leni hat Spaß in der Intetgrativen Kita an der Wasserstraße.
Leni hat Spaß in der Intetgrativen Kita an der Wasserstraße. © FUNKE Foto Services | Bastian Haumann

„Wir fragen hier bei jedem Kind: Was brauchst Du zur Teilhabe, was brauchst Du, um zu wachsen?“, und nicht die Kinder seien das Problem, sondern „die Mauer in den Köpfen vieler Eltern: Wenn die fragen, ob eine Gruppe von Behinderten das Richtige ist.“ Die Kinder lernen voneinander und miteinander. „Wir wollen hier weg von der Trennung, die viele Menschen vom integrativen Ansatz oder der Einstufung als behindert haben. Das hier ist für jedes Kind.“

Viele Therapiemöglichkeiten

Vielleicht auch deshalb kommen viele „Wechselkinder“, weil in Wohnortnähe, etwa bei einem Umzug, eine spezielle Förderung nicht gefunden werden kann. Die leisten an der Wasserstraße Therapeutinnen und Pädagoginnen in Voll- und Teilzeit in der Ergotherapie, Logopädie, Physiotherapie. „Multiprofessionell“ meint Patsia, wieder lächelnd. Die Männer im Team hier, wie meistens im sozial-pädagogischen Bereich, kann sie übrigens an einer Hand abzählen.

Jede Gruppe hat hier ihren Raum, ihre Betreuerinnen, ihre Kinder, es ist kein offenes Konzept. „Das gibt den Kindern Sicherheit, Verlässlichkeit, und hilft ihnen, soziale Kompetenz aufzubauen“, beschreibt sie die Erfahrungen in der Kita.

Verhandlungen zum Personalschlüssel laufen

Die Zukunft ist offen für diese Arbeit, denn es steht ein Wechsel bei der Finanzierung nach dem KiBiz, dem Kinderbildungsgesetz an. „Das kann bedeuten, dass ein neuer Betreuungsschlüssel angewendet wird, und damit auch weniger Personal“, blickt Patsia nach vorn, „denn im Grundsatz soll ja jede Einrichtung inzwischen Inklusion können.“

Schon jetzt gibt es in der Kita Probleme, Therapeutenstellen nachzubesetzen, denn die Abrechnung lohnt sich in einer externen Praxis eher, die Gehälter sind dort damit höher. Allerdings gibt es Kooperationen mit externen Therapeuten, denn hier in der Kita gibt es eigene Räume dafür.

Alles in einer Hand

„Berufstätigen Eltern mit Kindern in einer Regel-Kita stellt sich oft das Problem, dass sie nach dem Kindergarten die Kinder abholen und noch zum Logopäden, Ergotherapeuten oder zur Physiotherapie bringen müssen. Unsere Kinder werden von unseren Bussen abgeholt und die Kinder bekommen ihre Therapien während der Zeit in der Kita“, beschreibt sie sachlich.

Aber nicht ohne Hoffnung auf die Zukunft und ein Einsehen der Politik in die Erfolge, die hier seit 50 Jahren geschrieben werden.