Duisburg. Bekommen Kinder mit Migrationshintergrund schlechter einen Kitaplatz? Die Bürgerplattform Du-aktiv sieht ein strukturelles Problem in Duisburg.

Ali ist schon fünf Jahre alt und darf trotzdem erst jetzt in die Kita gehen. Warum er vorher keinen Kindergartenplatz bekommen hat, obwohl Ärzte es für dringend geboten halten und es für die Integration und den Spracherwerb wichtig wäre, sagt viel über den allgemeinen Kitaplatzmangel aus, das Vergabesystem nach Punkten – und die Überforderung von Geflüchteten.

Pünktlich zum Interview-Termin liegt der Bescheid im Briefkasten: Mit Datum vom 10. September wird darin ein Kitaplatz zum 1. September zugesagt für Ali und seine jüngere Schwester Tala. Papa Hasan Amam strahlt über das ganze Gesicht. Endlich kann sein Sohn, der in Deutschland geboren wurde und nächstes Jahr schon eingeschult wird, die deutsche Sprache lernen, in der Kita mit Gleichaltrigen spielen.

Berufstätigkeit beider Eltern für einen Kitaplatz nachweisen

Zuvor hatte diese Redaktion beim Jugendamt nachgefragt, wie es sein kann, dass selbst Fünfjährige trotz Rechtsanspruch noch keinen Kitaplatz haben. Die Pressestelle der Stadt Duisburg erklärt dazu, dass die Familie 2019 nach einem Briefwechsel mit Oberbürgermeister Link vom Jugendamt gebeten worden sei, die Berufstätigkeit der Eltern zu belegen. Die Nachweise seien aber erst jetzt gekommen, so dass die Kinder kurzfristig einen Kitaplatz bekommen können.

Familie Amam versteht das nicht: Hasan Amam berichtet, dass er seit fast drei Jahren als Metzger arbeitet, dank der Kitaplätze kann nun auch seine Frau ihren Posten als Sekretärin antreten.

In der Bürgerplattform Du-Aktiv engagieren sich duisburgweit viele Menschen aus verschiedenen Vereinen. Aktuell helfen sie Menschen mit Migrationshintergrund, die keinen Kitaplatz bekommen. Auf dem Bild von links: Detlef Retzlaw, Khaled Almnofie, Organizerin Angelika Fröhling und Finn Eilts.
In der Bürgerplattform Du-Aktiv engagieren sich duisburgweit viele Menschen aus verschiedenen Vereinen. Aktuell helfen sie Menschen mit Migrationshintergrund, die keinen Kitaplatz bekommen. Auf dem Bild von links: Detlef Retzlaw, Khaled Almnofie, Organizerin Angelika Fröhling und Finn Eilts. © FUNKE Foto Services | Redaktion Duisburg

Hasan Amam hat einen Kurs auf B1-Niveau abgeschlossen, die Post vom Jugendamt ist damit aber kaum zu entschlüsseln. Parallel zu Familie und Vollzeitjob habe er seine Sprachkenntnisse nur wenig verbessern können. Und dann zeigt er zahllose Dokumente, darunter ärztliche Gutachten aus den Vorjahren, die es „im Interesse der Entwicklung des Kindes für dringend erforderlich halten, dass Ali zeitnah einen Kindergartenplatz erhält“.

Amtliche Briefe für Nicht-Muttersprachler nur schwer zu verstehen

Den Weg zum Kitaplatz ebnete die Bürgerplattform Du-Aktiv, die in Briefen an OB Sören Link darauf hinwies, dass Menschen mit Migrationshintergrund für ihre Kinder in Duisburg keinen Kindergartenplatz bekommen haben. Den Bedarf schätzen die Ehrenamtler und die hauptamtliche Organizerin Angelika Fröhling als groß ein.

Angelika Fröhling sagt, dass die Briefe der Behörden teilweise so undeutlich formuliert sind, dass man kaum weiß, an wen man sich wenden müsse. Während der Corona-Pandemie seien zudem die Türen vieler Hilfsangebote verschlossen geblieben.

Der kleine Ali konnte zuletzt wenigstens zweimal die Woche in eine Spielgruppe gehen dank der Vermittlung der Grafschafter Diakonie in Rheinhausen. „Aber da sind nur arabische Kinder“, erzählt Hasan Amam, „wie sollen sie da Deutsch lernen?“

Familien brauchen Lotsen, um im System klar zu kommen

Brunhilde Seitzer vom Diakoniewerk in Duisburg sagt, dass Kitaplätze immer noch knapp seien und viele Familien bei der Beantragung Unterstützung brauchen. In dringenden Fällen wie dem eines Fünfjährigen ohne Deutschkenntnisse gelinge das. Das wichtigste seien Lotsen, damit die Familien da ankommen, wo es für sie Hilfe gibt, glaubt Seitzer.

Das Jugendamt sieht sich da gut aufgestellt: Zum einen seien seit Beginn der Zuwanderung 2016 schon 14 neue Kindergärten gebaut worden, „um weitere Plätze zu schaffen und dem Rechtsanspruch nachzukommen“, wie Pressesprecher Falko Firlus schriftlich mitteilt. Dennoch konnten 747 Kinder nur durch die Überschreitung der Gruppengrößen zum Start des Kindergartenjahres 2021/22 einen Platz bekommen.

Zum anderen gebe es ein umfangreiches Hilfesystem, angefangen von den Integrationskursen, die Awo und Evangelisches Bildungswerk anbieten, über das Projekt FlüKids oder die Frühen Hilfen im Pavillon auf der Königstraße und dezentral in den Familienzentren. In diesem Sommer sind zudem drei „Regionale Support Center“ gestartet, die in Hamborn, Hochfeld und Rheinhausen die Teilhabe-Chancen vergrößern sollen.

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10.000 Menschen aus Syrien in Duisburg

In Duisburg leben über 10.000 Menschen, die aus Syrien stammen. Khaled Almnofie zum Beispiel. Er arbeitet als IT-Administrator und ehrenamtlich ist er bei Du-aktiv, hilft als Dolmetscher.

Almnofie hat seine ganz eigenen Erfahrungen in Duisburg gemacht und schnell erkannt: Du musst dich selbst kümmern. Denn trotz anerkannten Zertifikats über seine IT-Ausbildung habe ihn das Jobcenter zu Ein-Euro-Jobs geschickt, wo er Laster entleeren sollte. Der Informatiker ist sicher: „Ich wäre heute arbeitslos, wenn ich nicht aktiv geworden wäre.“ Nicht ohne Grund hat Du-aktiv ein eigenes Behördenteam installiert, das im Notfall vermittelt und unterstützt. „Nicht meckern, sondern machen“, ist das erklärte Ziel der Ehrenamtler.

So sieht das auch Almnofie. Der engagierte Mann ist gut vernetzt, auch mit Menschen aus seinem Heimatland. Allein in einer Whatsapp-Gruppe mit seinem engeren Bekanntenkreis meldeten auf Nachfrage über 30 Familien mit mehr als 50 Kindern, dass sie für ihre Kinder noch keinen Kindergartenplatz haben. „Das Problem muss also viel größer sein“, vermuten die Aktiven.

Du-aktiv: Vergabesystem soll Chancengleichheit berücksichtigen

Nach einer Facebook-Umfrage, die ein ähnliches Bild ergab, schrieb die Bürgerplattform alle Mitglieder des Jugendhilfeausschusses an. Die Eltern wünschen sich „für ihr Kind einen Platz im Kindergarten, damit es die Chance bekommt, die deutsche Sprache zu lernen und Kontakt zu deutschsprachigen Kindern aufzubauen. Die befragten Familien möchten sich gerne integrieren und es liegt nun an uns, diese Erwartungen nicht zu enttäuschen“, heißt es in dem Brief.

Außerdem müsse ermöglicht werden, dass die Mütter Sprachkurse besuchen können, während die Kinder betreut sind. Hier seien mehr finanzielle Mittel nötig. Angelika Fröhling fordert, dass das Punktesystem verändert wird und künftig auch Chancengleichheit und ein Recht auf Bildung mit berücksichtigt. Solange ein Sprachkurs nicht als Arbeit gewürdigt wird, können Kinder von Einwanderern nicht betreut werden und im Umkehrschluss die Eltern nicht die Sprache lernen, bekommen keinen Job und also keinen Kitaplatz. Ein Teufelskreis.

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>> DAS PUNKTESYSTEM FÜR KITAPLÄTZE

  • Kindergartenplätze werden in Duisburg nach einem Punktesystem vergeben, das auf der Arbeitshilfe der Kommunalen Spitzenverbände und der Landesjugendämter in NRW mit dem Titel „Aufnahmekriterien für Kindertageseinrichtungen“ basiert.
  • Demnach haben Kinder mehr Chancen auf einen Platz bei besonderen Notlagen, z.B. Betreuungsnotwendigkeit zum Schutz des Kindes, Alleinerziehende berufstätige oder in Ausbildung befindliche Elternteile, Berufstätigkeit beider Eltern bzw. Teilnahme beider Eltern an einer Berufsausbildung unter Berücksichtigung der Wochenarbeitszeiten der Eltern, der Fußweg zur Kindertageseinrichtung, mitentscheidend sind auch Geschwisterkind(er) und das Alter des Kindes.