Bochum. Minus 85 Grad herrschen in der Kältekammer eines Bochumer Fitnessstudios. Hier bibbern auch VfL-Profis. Die WAZ hat den Selbstversuch gewagt.
Das Frösteln setzt sofort ein. Das Bibbern folgt in Minute 2. Und als Nils Hesse den Ventilator anschmeißt, kreisen alle Gedanke nur noch um eine Frage: Wann kann ich endlich hier raus? Raus aus der Kältekammer, die mich bei minus 85 Grad mit eisigem Griff umschließt. Im Dienste der WAZ-Recherche. Zum Wohle der Gesundheit, wie es heißt.
Das Studio „In Time Fitness“ an der Universitätsstraße ist keine normale Muckibude. Nils Hesse (33), studierter Fitness-Ökonom mit zwei weiteren Studio-Standorten in Hagen, hält für seine Mitglieder die Elektrische Muskel-Stimulation (EMS) bereit: Workout mit Elektroden-Stromstößen für schnelle Trainingserfolge, so das Versprechen.
Kältekammer in Bochum: 600 Kalorien sollen binnen Minuten verbrennen
Vorn im Studio stehen die EMS-Geräte. Hinten lauert sie: die Kältekammer. Kaum mehr als ein Quadratmeter klein, sei sie – als Ergänzung zu EMS oder allein – ein wahrer Heilsbringer, verheißt Nils Hesse und zählt auf: „Die Kältetherapie wirkt schmerzlindernd bei rheumatischen Erkrankungen. Durch die extreme Kälte können die Entzündungswerte deutlich gesenkt werden. Auch bei Hautkrankheiten wie Neurodermitis ist die Kältekammer zu empfehlen. Zudem werden, die Durchblutung gefördert, das Immunsystem gestärkt und die Leistungsfähigkeit gesteigert.“
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Als Schnelldiät sei die Eissauna gleichfalls tauglich. „Der Hersteller gibt eine Verbrennung von bis zu 1000 kcal pro Anwendung an“, sagt Hesse. Er rechne mit 600 bis 700 kcal. Das entspräche den Kalorien eines durchschnittlichen Döners. Vielleicht deshalb kommen die meisten Kaltanwender dreimal pro Woche: vielfach Geschäftsleute und Außendienstler, die ihre knappe Zeit effektiv nutzen wollen. Darunter auch Spieler des VfL Bochum, etwa Sebastian Polter.
Schlappen für die Zehen, ein Stirnband für die Ohren
Der Selbstversuch beginnt. Drei Minuten soll er dauern. „Fortgeschrittene schaffen fünf“, sagt Nils Hesse und zückt einen Bogen mit Kontraindikationen zur Unterschrift. Für Menschen u.a. mit Herzerkrankungen, Bluthochdruck über 160 oder akuten Nieren- und Harnwegsleiden bleibt die Kammer verschlossen. Ich darf rein. In Badeshorts und fürs WAZ-Bild mit T-Shirt. Normalerweise zittert man oben ohne.
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Um Erfrierungen vorzubeugen, gibt’s flauschige Schlappen (für die Zehen), Wollhandschuhe (für die Finger) und ein Stirnband (für die Ohren). Die Maske hat nichts mit Corona zu tun. Sie soll vor dem Einatmen der eiskalten Luft schützen.
Die LED-Anzeige neben der Kammer zeigt minus 76 Grad. Bald werden es 85 sein. Tags zuvor war ich in der Sauna. Bei plus 90 Grad. Macht einen Temperatursturz von 175 Grad. Nils Hesse misst am Oberarm noch kurz meine Hauttemperatur. 31,6 Grad.
Es gilt das alte Rocky-Motto: Keine Schmerzen!
Tür auf. Tür zu. Die eisige Luft raubt mir den Atem. Ich folge dem Rat des Experten und bewege behutsam meine Beine, Hüften und Arme. Ein Dauerlauf in Zeitlupe. Ja nicht überanstrengen, denke ich. Sonst kollabiert die Lunge.
Kammern standen anfangs nur in Kliniken
Wurden Kältekammern lange Zeit vorrangig in Krankenhäusern eingesetzt, gibt es inzwischen auch immer mehr Studios, die Sitzungen anbieten.
Bei entzündlichen Gelenkerkrankungen gelten die Anwendungen laut Deutscher Rheuma-Liga als schmerzlindernd. Ob damit eine nachhaltige Gewichtsabnahme möglich ist, sei aber nicht erwiesen.
Im Studio „In Time Fitness“ hängen die Kosten für die Kältekammer (keine Kassenleistung) von der Laufzeit der Mitgliedsverträge ab. Sie betragen bei wöchentlich drei Anwendungen zwischen 19,90 und 29,90 Euro. Infos auf in-time-fitness.de.
Langsam scheint sich der Körper an die lebensfeindliche Umgebung zu gewöhnen. Ich zittere wie Espenlaub. Derart kalt war’s in meinem Leben noch nie. Aber es ist auszuhalten. So wie ein Aufguss in der 90-Grad-Sauna, nur in die andere Richtung.
Nach zweieinhalb Minuten schaltet Hesse – ich hatte zuvor zugestimmt – den Ventilator ein. Eiskristalle tanzen durch die Luft. Es ist der ultimative Bibber-Booster. Durchhalten. Cool bleiben. Es gilt das alte Rocky-Balboa-Motto: Keine Schmerzen!
Hauttemperatur sinkt in drei Minuten auf 15,4 Grad
Zehn, neun, acht… Es ist vorbei. 15,4 Grad Hauttemperatur misst Nils Hesse beim Verlassen der Kabine. Wie ich mich fühle, fragt er. Warten Sie, bis ich aufgetaut bin, antworte ich mit klappernden Zähnen. Doch erstaunlich fix setzt die Regeneration ein. Nach zwei, drei Minuten bin ich wieder fit. Fast beschwingt, bereit zu neuen Heldentaten. Das mit der verbesserten Durchblutung und Leistungsfähigkeit scheint tatsächlich zu stimmen.
Ob’s eine nächste Eiszeit gibt? Mal schauen. Ein Bekannter schwört darauf, hat in den vergangenen Wochen etliche Pfunde verloren. Preislich hält sich das Schlottern im Rahmen (Info). Eine Bitte hätte ich bei einer Rückkehr. Leider erst nach Verlassen der Kältekammer hat mir der Chef erzählt, dass man sich einen Musiktitel wünschen kann, zur Entspannung. „Cold as Ice“ von Foreigner wäre nicht zu toppen.