Bochum. Bochumer Mediziner starten eine großangelegte Fitness-Studie. Sie wollen Übungen und Bewegungsmuster finden, die häufig zu Problemen führen.
Es passierte beim „Olympic Weight Lift“. Den Moment, da Moritz Schmidt im Fitnessstudio die Langhantel hochreißt, um sie über den Kopf zu stemmen, und sich dabei den Fuß vertritt, hielt zufällig eine Videoaufnahme fest. „Ist alles drauf zu sehen“, lacht der 29-Jährige, als er sich an Krücken aus dem Rollstuhl zum Gespräch an den Tisch müht. Um das rechte Bein trägt er eine „Donjoy Schiene“ – ein Außenmeniskusriss war die Folge jenes unbedachten Schritts. Am 11. Januar wurde Schmidts Knie operiert, der Riss genäht.
Nun ist der frühere Fußballer beileibe kein Fitness-Anfänger, er trainierte vor seinem Unfall sechsmal pro Woche. Andere, viele andere, aber wagen sich in diesen Tagen erstmals in Fitnessstudio oder CrossFit-Box, gerade zu Jahresbeginn wollen gute Vorsätze in die Tat umgesetzt werden. Auch mancher von ihnen wird Beschwerden – akute oder chronische – entwickeln, sich womöglich verletzen. Ob eine bestimmte Übung als solche die Ursache dafür ist, oder die Tatsache, dass sie sie falsch ausführten, ob sie sich vielleicht zu viel zumuteten, oder bloß Pech hatten – das kann oft niemand sagen. Denn wo die Gefahren lauern, wurde noch nie zuvor systematisch, auf breiter Basis, untersucht. Eine Studie des Bochumer Universitätsklinikums Bergmannsheil macht sich nun daran, die Wissenslücke zu schließen.
Auf der Suche nach Beschwerde-Clustern
Der Fragebogen des Forscherteams um Dr. Matthias Königshausen steht bereits online. „Wir wollen endlich herausfinden, wo es Beschwerde-Cluster gibt, welche Übungen und Bewegungsmuster besondere Risiken bergen, welche Körperstellen am häufigsten betroffen sind“, berichtet der Privatdozent der Chirurgischen Klinik. Die Fragen richten sich an alle, die in einem Fitness- oder Kraftstudio trainieren: Bodybuilder wie Rentnerin. „Wir wollen alle abholen“, erklärt Assistenzärztin Dr. Maria Bernstorff, die ebenfalls zum Forschungsteam gehört, „die, die fünfmal in der Woche 200 Klimmzüge macht genau wie den, der sich einmal in der Woche mit einem Buch aufs Fahrrad setzt...“.
Grundsätzlich gelte: Sport ist gut für den Körper, er stärkt Herz und Kreislauf, senkt das Osteoporose-Risiko und hebt die Stimmung. Doch vielen Hobbysportlern fehle das Wissen darum, wie man sein Programm gestalte, ohne seinen Körper zu überlasten. „Gerade dann besteht aber die Gefahr, dass durch falsches Training Belastungssyndrome und nachhaltige körperliche Probleme entstehen können“, erklärt Bernstorff. Den Trainer (oder die Trainerin!) vor Ort mag aber nicht jeder ansprechen. „Das Business ist stark social und multimedia-getriggert“, erklärt Königshausen. Viele kämen gleich mit fertigen Trainingsplänen aus dem Internet und einem „So-will-ich-auch-aussehen-Bild“ ins Studio, vertrauten eher dem Influencer („der hat doch 100.000 Follower!“) als dem Experten vor Ort. Übereifer sei ein anderer Grund, an dem der gute Vorsatz oft scheitert. „Wer in sechs Wochen 20 Kilo verlieren will, hat verloren, bevor er überhaupt anfängt“, sagt Bernstorff. In dem Studio, in dem sie selbst trainiert, habe sie schon „die abstrusesten Sachen“ erlebt – zuletzt eine Frau, die sich fürs Training komplett in Frischhaltefolie gewickelt hatte, „um rascher abzunehmen“.
„Wir wollen den wachsenden Markt begleiten“
Die Branche boomt seit Jahren, eine wachsende Zahl von Verletzungen, glaubt Königshausen, gehe damit einer. Indes: Es gibt keine belastbaren Daten. Die Bochumer Forscher wollen „den wachsenden Markt begleiten“, sagen sie. Die Ergebnisse ihrer Studie sollen dazu beitragen, Ansätze zur Verbesserung von Trainingsmethoden zu entwickeln und neue Erkenntnisse für die sportartspezifische Behandlung von Verletzungen und Schmerzen zu gewinnen. Man wolle, sagt Königshausen, Trainierenden künftig mehr sagen können als: Nehmt Hilfe an, übertreibt nicht, wärmt euch auf, bevor ihr loslegt, oder: Eine Hantelübung muss technisch sitzen, bevor Gewicht drauf kommt.
Sie wollen zudem herausfinden, ob es wirklich Übungen gibt, die „grundsätzlich schlecht“ sind („was wir eher nicht vermuten“) oder ob Bankdrücken, Klimmzüge, Kniebeugen und ähnliches nur dann Probleme machen, wenn sie falsch ausgeführt werden. Sie untersuchen, ob „geführte Übungen“, etwa am Seilzug, weniger riskant sind als Freihantel-Training – und vieles, vieles mehr. Die FitX-Gruppe und der Bochumer CrossFit-Anbieter Blackband Athletics unterstützen das Vorhaben, werben bei ihren Mitgliedern für die Teilnahme an der Studie. Auch die Trainer in den Studios, erklärt Königshausen, profitierten ja von der Erkenntnissen.
„Sportler sind ein anspruchsvolles Patientenkollektiv“
Moritz Schmidt hofft, dass vor allem viele Orthopäden sie lesen werden. „Denn es fehlt wirklich an Daten, Fakten, Basiswissen. Und ich als Sportler möchte einen Arzt, der mich versteht; der weiß, wovon ich spreche, wenn ich sage, beim Backsquat zwickt’s im unteren Rücken, der mir vielleicht eine Ersatz-Übung empfiehlt und nicht nur: lass es.“ „Sportler“, sagt Maria Bernstorff, „sind ein anspruchsvolles Patientenkollektiv.“ Sie wollten eigentlich immer nur „möglichst rasch, möglichst viel“ wieder können. Die „Compliance“ aller Patienten, ihre Bereitschaft zur Kooperation, sei aber höher, wenn man Erklärungen liefere, Alternativen aufzeige. Wie man es sich von der Studie erhoffe, der – auch da ist sich Königshausen bereits jetzt sicher – weitere folgen müssen.
Moritz Schmidt jedenfalls wurden sechs Wochen Pause verordnet für sein ramponiertes rechtes Bein. Trotzdem sieht man ihn schon wieder im Studio: „den Oberkörper trainieren“, grinst er.
Jeder, jede, der in einem Fitnessstudio trainiert, kann an der Befragung teilnehmen:www.bg-kliniken.de/universitaetsklinikum-bergmannsheil-bochum/fitness-studie
>>>>INFO: Fitness-Boom
Im Jahr 2020 zählten die bundesweit fast 10.000 Fitnessstudios über 10,3 Millionen Mitglieder. Knapp die Hälfte von ihnen gab an, mehrmals wöchentlich zu trainieren. 2003 zählten die Studios 4,38 Millionen Mitglieder.
Der stieg zwischen 2010 und 2019 um 45 Prozent, 2020 lag er bei 4,16 Milliarden Euro – und damit deutlich hinter der Vor-Corona-Zeit. 2019 waren noch 11,66 Millionen Menschen in einem Fitness- oder Kraftstudio angemeldet. (Angaben: Statista)