Bochum. „Der Besuch der alten Dame“ bietet im Schauspielhaus Bochum die ideale Bühne für zwei Top-Darsteller: Patrycia Ziólkowska und Sebastian Rudolph.

Von Zeit zu Zeit sieht man die Alte gern: Zuletzt war Claire Zachanassian 2015 in Bochum zu Besuch, als sie in Gestalt von Mechthild Großmann in Anselm Webers Regie durchs Schauspielhaus stolzierte. Das war ein solider, aber keinesfalls spektakulärer Auftritt.

Weitaus länger im Gedächtnis bleiben dürfte die radikale Neuausrichtung des Oberstufen-Klassikers von Friedrich Dürrenmatt, die jetzt an nur drei Abenden als Gastspiel aus dem Schauspielhaus Zürich in Bochum zu sehen ist. Denn was Regisseur Nicolas Stemann hier in weit über zwei pausenlosen Stunden auf der Bühne abfackelt, das ist nicht weniger als eine Großtat. So frei, so entfesselt und dennoch verblüffend nah am Originaltext hat man die tragische Komödie noch nicht gesehen.

Enger Austausch zwischen den Theatern

Regisseur Nicolas Stemann (53) ist in Bochum kein Unbekannter: Zu Beginn der Intendanz von Matthias Hartmann Anfang der 2000er zeigte er erste Arbeiten am Schauspielhaus. Seit 2019 ist er Co-Intendant am Schauspielhaus Zürich, mit dem das Bochumer Theater eine feste Kooperation beschlossen hat.

„Der Besuch der alten Dame“ ist nur noch einmal zu sehen: am heutigen Freitag, 4. März, um 19.30 Uhr. Es gibt noch Restkarten: 0234 / 33 33 55 55.

„Der Besuch der alten Dame“ ist im Schauspielhaus Bochum zu sehen

Die Aufführung entstand im vergangenen Jahr zu Dürrenmatts 100. Geburtstag und musste während des Lockdowns mehrfach verschoben werden. Auch diesmal ist die Züricher „Dame“ nicht frei von Corona-Zwängen: Die Schweizer Musikerin Camilla Sparksss musste ihre Reise ins Ruhrgebiet kurzerhand absagen, nachdem sie positiv getestet worden war. „Sie ist uns aber über Video gewissermaßen aus dem Homeoffice zugeschaltet“, erklärt Regisseur Stemann zu Beginn. „Wir haben nicht zwei Jahre Pandemie hinter uns gebracht und daraus nichts gelernt.“

Die wohl größte Überraschung des Abends: Nur eine Schauspielerin und ein Schauspieler sind es, die das komplette Drama mit seinen über 30 Figuren auf die Bühne bringen. Künstlerisch geschieht dies auf höchstem Niveau: Patrycia Ziolkowska und Sebastian Rudolph mögen in Bochum nicht gut bekannt sein, spielen aber seit Jahren in der A-Liga der deutschsprachigen Theaterszene – und wie virtuos, wie lässig und souverän sie von einer Figur in die nächste springen, ist schlichtweg atemberaubend.

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Claire Zachanassian steht gleich doppelt auf der Bühne

Dabei erzählen sie den Plot in verteilten Rollen sogar relativ anschaulich, das Handlungsgerüst des Dramas ist trotz des schmalen Personals jederzeit gut zu erkennen. Feste Rollenzuschreibungen gibt es natürlich nicht: Herauszufinden wer von beiden gerade wen spielt, ist beim Zuschauen immer wieder ein Spaß für sich. So kommt es durchaus vor, dass Claire Zachanassian gleich doppelt auf der Bühne steht.

Haufenweise gelbe Schuhe bevölkern das Bühnenbild von Claudia Lehmann. Wie kleine Kinder toben die beiden Darsteller darin herum.
Haufenweise gelbe Schuhe bevölkern das Bühnenbild von Claudia Lehmann. Wie kleine Kinder toben die beiden Darsteller darin herum. © Schauspielhaus Zürich | Zoe Aubry

Die große Ziolkowska-Rudolph-Show gipfelt in famosen Szenen: Etwa wenn die mit zahlreichen Prothesen bestückte Zachanassian in ihr altes, verlogenes Städtchen Güllen zurückkehrt und direkt die Aufmerksamkeit sämtlicher Einwohner auf sich zieht. Das alles spielt Patrycia Ziolkowska in einem etwa zehnminütigen Sturmlauf komplett allein. Oder wenn beide kistenweise gelbe Schuhe in verschiedenen Formen und Größen auf die Bühne schleppen und sich an ihnen erfreuen wie kleine Kinder.

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Die Gagmaschine läuft heiß

Ja, die Gagmaschine läuft an diesem Abend heiß. Dennoch nehmen Stemann und sein unerschrockenes Dream-Team die Vorlage ernst. Sie erzählen das Stück sorgfältig, gestrichen wird nur wenig und entwickeln daraus beißenden Witz und eine Menge hintergründigen Humor, ganz so wie es sich Friedrich Dürrenmatt vor 65 Jahren ausgedacht hat. Großer Jubel!