Bochum. In Bochum werden Pflegefamilien gesucht, die sich um Kinder mit besonderem Förderbedarf kümmern. Eine Pflegemutter erzählt von ihrem Alltag.

Nur zwei Wochen hat es gedauert, bis Kirstin Brinkmann (Name geändert) nach dem ersten Gespräch beim Jugendamt die Nachricht erhält, die ihr Leben verändern wird: Ein kleiner Junge wartet auf ein neues Zuhause. Wenige Wochen später zieht Noah (2) ein. Das ist nun fünf Jahre her. "Den Weg würde ich jederzeit wieder gehen", sagt die Pflegemutter rückblickend.

Auch, wenn sie einst eine ganz andere Vorstellung von ihrem Leben hatte: Ehe, Eigenheim, leibliche Kinder. "Mit leiblichen Kindern hat es nicht funktioniert und wir wollten uns keiner langjährigen Kinderwunsch-Behandlung unterziehen", sagt sie.

Pflegefamilie in Bochum kümmert sich um Kinder mit Beeinträchtigungen

So sei die die Idee gekommen, Pflegefamilie zu werden. "Allerdings ging es dabei nie darum, mit einem Pflegekind eine Lücke zu füllen", betont sie. Stets sei für sie und ihren Partner klar gewesen: Einem Kind ein neues und sicheres Zuhause geben - darum geht's. 

Vor zwei Jahren ist mit Linda (12) ein weiteres Kind bei den Brinkmanns eingezogen. Zu Sohn Noah kam nun auch eine Tochter dazu. Kirstin Brinkmann möchte ihre Kinder schützen, ihre Namen und ihre Geschichte nicht so erzählen, dass die Menschen auf der Straße sie erkennen. Denn die Brinkmanns sind eine besondere Pflegefamilie: Ihre Kinder sind nach Erlebnissen in ihrer Kindheit verhaltensauffällig, deshalb bekommen sie besonders viel Unterstützung.

Beschwerlicher Lebensstart

"Diese Pflegekinder bringen besondere Beeinträchtigungen mit", sagt Doris König vom Sozialdienst Katholischer Frauen (SkF), der in Bochum die so genannten "Westfälische Pflegefamilien" mit Kindern mit Auffälligkeiten betreut. Kollegin Cordula Sternemann ergänzt: "Sie werden deshalb deutlich intensiver als "übliche Pflegefamilien" betreut, wir bauen auch einen Kontakt zu den Kindern auf."

Durch einen beschwerlichen Start ins Leben, zeigten die Pflegekinder Verhaltensauffälligkeiten. "Diese Kinder haben zum Beispiel traumatische Erfahrungen gemacht, in der Schwangerschaft wurde Alkohol konsumiert oder die Kinder haben in jungen Jahren nicht ausreichend zu Essen bekommen", sagt Mitarbeiterin Irmela Dickel vom SkF. Entwicklungsfördernde Bedingungen hätten in der Herkunftsfamilie nicht mehr vorgeherrscht.

Manche Kinder werden schneller wütend

Sternemann weiß, was mehr Unterstützung konkret im Alltag bedeutet: „Die Kinder sind häufig entwicklungsverzögert, das heißt sie brauchen zum Beispiel Förderung bei Motorik und Sprache“, erklärt sie. Wöchentliche Termine bei Logopädie und Ergotherapie seien keine Seltenheit. „Dass die Kinder einen schwereren Rucksack zu tragen haben, merkt man auch bei der Regulation von Emotionen“, führt sie fort.

Manche Kinder gerieten schneller in Wut als Altersgenossen oder verweigerten sich beispielsweise beim Zubettgehen. „Andere haben Probleme mit Einnässen, viele besuchen eine Förderschule“, sagt Sternemann. „Manche Kinder sind auch unglaublich fasziniert davon, dass es einen vollen Kühlschrank gibt. Das wird Besuch dann sofort gezeigt. Oder sie horten Essen in ihrem Zimmer“, so Sternemann. 

Reaktionen im Umfeld

Im Familien- und Bekanntenkreis der Brinkmanns stieß die Entscheidung, Pflegefamilie zu werden, durchweg auf positive Reaktionen. "Alle haben sich für uns gefreut", erinnert sich Brinkmann. Bei ihrer Tochter habe es zu Beginn auch kritische Stimmen gegeben, weil sie schon zehn Jahre alt war. "Nach den ersten Kontakte, ist aber schnell eine innige Bindung entstanden", sagt Brinkmann. 

"Man muss lernen, Verhaltensweisen der Kinder nicht persönlich zu nehmen, deren Ursachen in der Vergangenheit liegen", sagt die Pflegemutter. Oft bräuchten ihre Kinder mehr Unterstützung als Altersgenossen. 

Pflegefamilien gesucht

Menschen, die wie die Brinkmanns bereit sind, Pflegefamilie zu werden, werden in Bochum laufend gesucht. Zweimal jährlich gibt es dafür Vorbereitungskurse - die nächsten starten Ende März. "Es gibt vier Kurstermine und mindestens sieben Einzeltermine mit den Eltern", erklärt Sternemann. Der SkF ist einer der Träger, der die Kinder in Zusammenarbeit mit dem Jugendamt vermittelt. 

Der SkF betreut aktuell knapp über 20 westfälische Pflegefamilien. "Für die Familien gibt es auch immer wieder Fachveranstaltungen. Wir vermitteln Wissen, damit die Eltern ihre Kinder besser verstehen", erklärt Dickel.

Tipp einer Pflegemutter

Weil die westfälischen Pflegefamilien extra Herausforderungen haben, gibt es Besonderheiten: Beispielsweise ist die finanzielle Unterstützung höher und Eltern müssen eine besondere persönliche Eignung mitbringen.

Pflegemutter Brinkmann rät heute rückblickend: "Man sollte die Fähigkeit mitbringen, sich mit seinem eigenen Leben auseinanderzusetzen, Offenheit für unvorhersehbare Situationen und die Bereitschaft, eine öffentliche Familie zu sein." Lohnenswert sei das alles trotzdem: "Man wächst jeden Tag. Unsere Kinder haben heute die Chance, ihr Leben selbstbestimmt in die Hand zu nehmen - das hätten sie sonst nicht gekonnt", sagt sie. 

21 Kinder warten derzeit

Im vergangenen Jahr hat das Jugendamt insgesamt 21 Kinder in Pflegefamilien vermittelt, davon zehn Kinder in Verwandtenpflege und elf in Fremdpflege. In der statistischen Auswertung zum Jahresende 2021 wurden durch das Jugendamt für das letzte Jahr 325 Pflegekinder erfasst.

Derzeit warten 21 Kinder auf Vermittlung in eine Pflegefamilie. Informationen zu Schulungen und Vorgesprächen für Familien finden sich auf der Website des SkF. (www.skf-bochum.de)