Bochum. Übelste Beschimpfungen sind noch immer Alltag auf Fußballplätzen. In Bochum entsteht eine Meldestelle, die Diskriminierungen erstmals erfasst.

Neulich bei einem A-Jugend-Spiel. Ein Spieler des Bochumer Auswärtsteams wird übelst beleidigt. Von einem Zuschauer. „Der alleinige Grund: Der Junge ist ein Schwarzer“, sagt Klaus Dieter Leiendecker. Der Vorsitzende des Fußballkreises Bochum beklagt: Auf den Sportplätzen kommt es immer häufiger zu verbalen und körperlichen Übergriffen. Das Land geht in die Offensive: mit der „Meldestelle für Diskriminierung im Fußball in NRW“. Deren Fäden laufen in Bochum zusammen.

Das beschämende Vokabular ist Klaus Dieter Leiendecker sattsam bekannt. „Nigger“, „Judensau“, „schwule Sau“, „Kanake“, „Bei den Nazis würde es dich gar nicht geben“: Regelmäßig komme es bei den Begegnungen der 80 Amateurvereine im Fußballkreis Bochum, „darunter viele Multi-Kulti-Klubs“, zu derartigen Beschimpfungen. „Da ist der Sport leider ein Spiegelbild unserer Gesellschaft“, weiß Leiendecker und berichtet zudem von türkischstämmigen Mannschaften, die sich weigern, von einem kurdischen Schiedsrichter gepfiffen zu werden.

Neue Meldestelle in Bochum: Ausschreitungen werden streng geahndet

Meist seien es rassistische Schmähungen, die auch in Gewalt ausarten können. „Das hat in der Hinrunde dieser Saison nochmals zugenommen. Beteiligt sind dabei Spieler ebenso wie Zuschauer“, konstatiert der Vorsitzende.

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Der Fußballkreis schreite energisch ein, betont Leiendecker. Die Schiedsrichter sind angehalten, nach jedem Spiel zusätzlich einen Fair-Play-Bericht zu erstellen. Neben dem Sportgericht sei eine „Task Force“ im Einsatz, die jedem Einzelfall nachgehe. Die gemeinsame Mission: Ausschreitungen aller Art auf und neben dem Platz bis hinunter zur Kreisliga konsequent zu ahnden und möglichst zu verhindern.

Von Geschichte bis Auswärtsfahrten: Fanprojekte haben breite Ausrichtung

Das ist auch das Ziel von Patrick Arnold. Der Diplom-Sozialpädagoge leitet die „Landesarbeitsgemeinschaft (LAG) der Fan-Projekte in NRW“: ein Zusammenschluss von landesweit 16 Einrichtungen der Jugendhilfe, die sich um junge Fußballfans kümmern, mit Angeboten von Fortbildung über Kultur bis zu Bildungsreisen. So auch in Bochum, wo das VfL-Fanprojekt von der Integrationsarbeit über eine Geschichtswerkstatt bis zu U-18-Auswärtstouren vielfältige Aktivitäten bereithält.

Bochum ist zugleich Sitz der LAG-Fachstelle. Hier, an der Universitätsstraße 83, bereitet Patrick Arnold derzeit die Einrichtung der neuen „Meldestelle für Diskriminierung im Fußball in NRW“ vor.

Neue Anlaufstelle geht am 1. Juli an den Start

Gewalt in Fußballstadien ist ein hinreichend dokumentiertes Dauerübel. Diskriminierungen indes seien im Fußballsport „noch eine große Leerstelle“, sagt Arnold. Ob bei den Profis oder Amateuren, ob in der Fankurve in der Bundesliga, auf dem Aschenplatz eines Dorfklubs oder als Hasskommentare in den sozialen Medien: Daten, Statistiken und deren Auswertung seien auf diesem Feld bisher kaum vorhanden.

Das soll sich ändern. Am 1. Juli, mit Beginn der neuen Saison, geht die Meldestelle unter dem Dach der LAG-Fachstelle in Bochum an den Start. Sie ist für alle da: für Vereine, Mitglieder und Spieler quer durch alle Ligen, für Zuschauer, Fans und Fangruppen, interessierte Bürgerinnen und Bürger. Wer Diskriminierungen beim Fußball erleiden muss oder Zeuge einer Herabwürdigung wird, ist aufgerufen, die Meldestelle (www.medif-nrw.de) online zu informieren – per Text, Foto, Ton- oder Videodatei.

In vielen Fußballstadien (hier ein Archivbild aus Duisburg) wurden in den vergangenen Jahren Zeichen gegen Diskriminierung und Rassismus im Sport gesetzt.
In vielen Fußballstadien (hier ein Archivbild aus Duisburg) wurden in den vergangenen Jahren Zeichen gegen Diskriminierung und Rassismus im Sport gesetzt. © WAZ FotoPool | Stephan Eickershoff

Fußball-Kreisvorsitzender begrüßt neues Landesprojekt

„Wir schaffen ein Forum, das derartige Vorfälle erstmals systematisch erfasst und sichtbar macht“, erklärt Patrick Arnold. Allen voran soll den Betroffenen ein Unterstützungsangebot gemacht werden „Das gut funktionierende Netzwerk der Fanprojekte wird bei der praktischen Umsetzung einer Antidiskriminierungsstelle im NRW-Fußball hilfreich sein“, glaubt der Fachstellenleiter.

Land finanziert neue Meldestelle

Die neue Meldestelle wird durch die Staatskanzlei NRW und das Ministerium für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration finanziert.

Eine wichtige Rolle nimmt die Ruhr-Universität ein, die als wissenschaftlicher Partner die gemeldeten Vorfälle auswertet und Handlungsempfehlungen erstellt.

Fußballvereine im Profi- wie Amateurbereich, die an einer Zusammenarbeit interessiert sind, melden sich per Mail an info@medif-nrw.de.

Klaus Dieter Leiendecker begrüßt die neue Meldestelle. Zwar warnt er vor „Wichtigtuern“, die falsche Anschuldigungen erheben. „Das erleben wir immer wieder.“ Grundsätzlich seien aber alle Anstrengungen sinnvoll, Diskriminierungen in Gesellschaft und Sport Einhalt zu gebieten.

Damit erbärmliche Beleidigungen wie jüngst beim A-Jugend-Spiel irgendwann einmal der Vergangenheit angehören.

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