Ruhrgebiet. Körperverletzungen steigen rund um Profifußballspiele um ein Fünftel – zeigt eine neue Studie. Deutlich mehr, als es Polizeistatistiken zeigen.
„Wie viel Gewalt erzeugt der Profifußball in Deutschland?“, fragt Prof. Helmut Rainer vom ifo-Institut und gibt gleich Antworten in der gleichnamigen Studie:
- An Spieltagen nehmen Gewaltdelikte um mehr als ein Fünftel zu (21,5 %).
- Wenn es sich um ein Derby handelt, gar um zwei Drittel.
- Der wirtschaftliche Schaden liegt bei etwa 44 Millionen Euro pro Jahr (wenn man die Zahl der Delikte mit einem üblichen Satz verrechnet, bei dem Kosten für Polizei, Staatsanwaltschaften, bei den Gerichten, durch Verdienstausfall und Krankenbehandlungen einfließen).
- Die Freitage, Samstage und Sonntage sind gefährlicher als andere Spieltage.
- Fast ein Fünftel der zusätzlichen Gewalt rund um Fußballspiele richtet sich gegen Polizisten.
- Der Spielverlauf hat mit der Gewaltzunahme statistisch nichts zu tun.
- Haupttäter sind organisierte Gruppen, oft aus der Ultra-Szene.
An Spieltagen geht es an den Austragungsorten rau zu – dabei haben die Münchner Forscher nur „vorsätzliche einfache Körperverletzungen“ berücksichtigt, weil sie mit Abstand das Gros der Delikte ausmachen und statistisch relevanter sind. Drohungen oder gefährliche Körperverletzungen flossen nicht ein, wie beim lebensgefährdenden Faustschlag eines Schalker Ultras gegen einen Fan von Manchester City 2019. Auch Sachbeschädigungen wie beim Zweitliga-Auswärtsspiel von Schalke in Bremen im November, als die Fensterscheiben eines Bremer Fanclubs barsten, tauchen in der Rechnung nicht auf.
Häusliche Gewalt nimmt ebenfalls zu
Und doch liegen die Zahlen um ein Vielfaches höher als die Auswertungen der Polizei. Die „Zentrale Informationsstelle Sporteinsätze“ in Duisburg wertet die Daten regelmäßig aus, und zählte in der Saison 2014/15 rund 1300 Körperverletzungen bei etwa 750 Spielen der Ersten und Zweiten Bundesliga. Seitdem sind die Zahlen gesunken auf 976 Körperverletzungen in der letzten Saison vor Corona (2018/19). Im Schnitt verzeichnete die Polizei als ein bis zwei Körperverletzungen pro Spiel. Die Münchner Forscher untersuchten etwa 4500 Partien der drei höchsten Spielklassen zwischen Januar 2011 und Mai 2015 und fanden bei einer breiteren Auswertung der Kriminalstatistik mehr als 38.000 zusätzliche Körperverletzungen an Spieltagen – also acht bis neun pro Spiel.
Man kann den Effekt vergleichen mit der Berechnung der Übersterblichkeit in Sachen Covid-19. Während die Polizei wohl nur als fußballbezogene Straftat zählt, was im Rahmen ihrer entsprechenden Einsätze geschieht, schauten sich die ifo-Statistiker die gesamte Kriminalstatistik an und verglichen die Straftaten an Spieltagen (ohne Champions-League- und Pokalspiele) mit denen an spielfreien gleichen Wochentagen am Austragungsort, wobei auch Faktoren wie das Wetter kontrolliert wurden. Die Dunkelziffer ist also erheblich. Zum Beispiel nimmt auch die häusliche Gewalt an Spieltagen zu. Dies trage immerhin vier Prozent zum Anstieg der Fallzahlen bei, erklärt Helmut Rainer im Gespräch. Frauen machen etwa zehn Prozent der Opfer aus.
Eine weitere Erkenntnis: Frustration über eine unerwartete Niederlage oder ein umstrittener Elfmeter schlägt sich nicht nieder in der Gewaltstatistik – anders als es Football-Studien aus den USA nahelegten. Vielmehr gehe ein Großteil der Gewalt von organisierten Gruppen aus. Hauptsächlich sind junge Männer zwischen 18 und 29 an den Gewalttaten beteiligt. Auch der hohe Anstieg der Gewaltdelikte rund um Derbys – auf das 3,5-fache eines normalen Spieltages – deute darauf hin, dass „intensive Kategorisierungen in Eigengruppen und Fremdgruppen“ ausschlaggebend seien.
Gewalt richtet sich häufig gegen Polizisten
Als eine dieser „Fremdgruppen“ wird offenbar die Polizei wahrgenommen. 16 Prozent aller zusätzlicher Körperverletzungen richtet sich gegen Polizisten. Die Polizei Gelsenkirchen bestätigt, dass an Spieltagen die Körperverletzungen deutlich zunehmen „zwischen Fans der verschiedenen Mannschaften, als auch in den jeweiligen Fanlagern“. An Derbyspieltagen sei „auf Grund der wesentlich höheren Emotionalisierung der Fan-Lager auch das Risiko körperlicher Auseinandersetzungen naturgemäß deutlich höher“.
Die Forscher empfehlen einen dialogbasierten Vermittlungsansatz, damit Polizei nicht mehr als Fremdgruppe wahrgenommen wird. Das sieht die Gelsenkirchener Polizei ebenso. Man suche immer wieder auf verschiedenen Wegen den Dialog, bestätigt Polizeisprecher Stephan Knipp. „Allerdings lehnt die aktive Problem-Fanszene den Dialog mit der Polizei ab. Folglich ist das Aufwarten starker Polizeikräfte ein probates Mittel, das Initiieren von Sicherheitsstörungen zu unterbinden.“