Bochum. Der Heimplatz wird immer teurer. Eine Reform ab dem 1.1. verspricht Entlastung. Zu Unrecht, sagt der Johanneswerk-Chef im Bochumer Buchen-Hof.
Alt zu werden hat seinen Preis – und dieser hat mittlerweile eine Höhe erreicht, die viele Rentnerinnen und Rentner nicht mehr selbst stemmen können. Die zunehmende Armut von Pflegebedürftigen und ihren Angehörigen beobachtet auch die Leitung des Bochumer Seniorenheims Buchen-Hof, getragen durch das evangelische Johanneswerk. Bodo de Vries, einer der Geschäftsführer des Trägers, fordert daher eine Umkehr der Kostenlast: „Pflege muss endlich bezahlbar werden!“
Hoher Eigenanteil für Bochums Pflegeheime – Pflegereform sollte entlasten
Der monatliche Eigenanteil für einen Platz in einem Pflegeheim liegt hierzulande bei durchschnittlich 2496 Euro. Damit sind die Heimplätze in NRW bundesweit die teuersten, „und das trotz Pflegeversicherung“, fügt de Vries an.
Ab dem 1.1.2022 sollte die Pflegereform Heimbewohner mit einem Pflegegrad von 2 bis 5 stufenweise entlasten, um fünf Prozent im ersten Jahr des stationären Aufenthalts, im zweiten Jahr 25 Prozent, im dritten Jahr 45 Prozent und 70 Prozent bei einem Aufenthalt ab 36 Monaten. Doch diese „wunderbaren Geschenke“ sind für de Vries eine Augenwischerei.
Johanneswerk in Bochum
Das Evangelischen Johanneswerk betreibt in Bochum die Heime Buchen-Hof und Wichern-Haus sowie den Dienst „Johanneswerk ambulant“ betreibt.Beschäftigt werden durch das Johanneswerk in Bochum 161 Menschen, die sich um 190 Bewohnerinnen oder Kunden kümmern.
„Die Pflegereform wurde als Erfolg der letzten Regierung verbucht, doch ist in Wirklichkeit ein Scheinerfolg“, sagt de Vries vom Johanneswerk, das 5.500 alte Menschen in NRW versorgt, 200 davon in Bochum.
Die allermeisten Bewohnerinnen und Bewohner würden die Zeitpunkte, ab denen sie durch die Reform finanziell entlastet würden, nicht mehr erleben – rund 50 Prozent der Pflegebedürftigen sterbe bereits in ihrem ersten Jahr im Pflegeheim. „Nach zwölf Monaten sind beispielsweise 58,1 Prozent der Männer bereits gestorben, nach 24 Monaten sogar 72,2 Prozent und nach 36 Monaten dann 87,6 Prozent der Männer.“
Reform für Pflegebedürftige nur vermeintliche Entlastung
Für Pflegebedürftige sei die Reform auch deshalb bloß eine vermeintliche Entlastung, da Kosten an anderer Stelle wieder aufgeschlagen würden. Die nötige Personalaufstockung der Pflege – auch beschlossen von der Großen Koalition – würde zudem einen Kostenanstieg verursachen. Daher müsse die Stadt Bochum mit rasant steigenden Ausgaben für Sozialhilfe rechnen. Im Durchschnitt sind laut de Vries rund 40 Prozent der Bewohnerinnen und Bewohner Sozialhilfeempfänger.
Oft gerate aus dem Blick, dass rund ein Viertel der Heimbewohner verheiratet sei. „Wenn einer der Ehepartner hier wohnt, und der andere nicht – muss sich letzterer sehr einschränken“, berichtet Petra Kersten, die das Pflegeheim Buchen-Hof leitet. Es sei auch bereits vorgekommen, dass Angehörige aus finanzieller Not ihren Ehepartner wieder nach Hause holten.
Angehörige haben Schwierigkeiten, Heimplatz zu finanzieren
Probleme bei der finanziellen Unterstützung sehe sie auch bei Söhnen und Töchtern von Pflegebedürftigen. „Die finanzieren den Heimplatz aus ihrem zukünftigen Erbe, verkaufen ihre Elternhäuser – da bleibt irgendwann gar nichts über“, berichtet Kersten. Für viele Ehepartner von Pflegebedürftigen sei der Sozialdienst des Buchen-Hofs der einzige Ansprechpartner, nicht zuletzt auch bei finanziellen Fragen. „Unsere Mitarbeitenden sagen: ,Wir nehmen nie nur einen auf, wir nehmen immer zwei auf’“. Angehörige benötigten Unterstützung beim Schriftverkehr mit Behörden, Arztterminen oder bei der Übersetzung von Diagnosen.
Dabei würden verheiratete Menschen erst spät einen Heimplatz in Anspruch nehmen und dann nicht lange dort bleiben – durchschnittlich 19 Monate. Bei ledigen oder geschiedenen Bewohnern blieben dagegen 43 Monate bis zu ihrem Tod im Pflegeheim, aufgrund weniger sozialer Kontakte, die die Pflege übernehmen könnten. „Ohne Solidaritäten geht’s nicht“, betont der Geschäftsführer des Evangelischen Johanneswerks.
„Im ambulanten Dienst kommen die Leute heute deutlich später zu uns, die Familien versuchen, bis zuletzt selbst die Pflege zu stemmen“, berichtet Sebastian Schulz, der den ambulanten Dienst in Bochum leitet. Immer wieder erhalte er Anrufe von Angehörigen, die äußern, sie hätten kein Geld für die ambulante Pflege. „Viele versuchen, mit dem Pflegegeld durch familiäre Hilfe Muti oder Vati zu versorgen“, so Schulz, „Erst wenn die Familien kurz vor dem Kollabieren sind, werden Anteile an uns abgegeben.“
Laut Bodo de Vries ist es „naiv zu glauben, dass dieses System das Problem unserer alternden Gesellschaft bewerkstelligen wird“. Mit Verweis auf den Barmer-Pflegereport betont das Johanneswerk, 2030 würden etwa sechs Millionen Pflegebedürftige erwartet, was einen Mehrbedarf von 182.000 Pflegekräften bedeute. „Das gibt der Arbeitsmarkt bereits heute nicht mehr her.“ De Vries zu Folge werde künftig also „Geld unser geringstes Problem sein“.