Bochum. Viele Sexarbeiterinnen haben Bochum wegen der Pandemie verlassen. Nur die Verzweifelten sind geblieben. Das hat zum Teil heftige Konsequenzen.
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Massiv verschlechtert hat sich in Zeiten der Corona-Pandemie die Lebenssituation von Prostituierten in Bochum, oder Sexarbeiterinnen, wie es politisch korrekt heißt. Dabei geben die Zahlen, der offiziell angemeldeten Personen nur einen kleinen Einblick in die Wirklichkeit, weniger als die halbe Wahrheit. „Das Dunkelfeld in diesem Bereich ist enorm“, so ein Polizeisprecher.
Was Zahlen über den Rotlichtbezirk in Bochum aussagen
So spiegeln die Zahlen nur einen gewissen Ausschnitt der Rotlichtszene wider. Zwar sind durch das 2016 beschlossene und seit dem 1. Juli 2017 geltende Prostituiertenschutzgesetz bestimmte Regularien in Kraft (siehe Box). Das Ordnungsamt der Stadt, wo sich die Frauen – aber es sind nicht nur Frauen – anmelden müssen, geht davon aus, dass vor der Pandemie deutlich über 700 Personen in Bochum als Prostituierte angemeldet waren. Jetzt liege diese Zahl bei knapp über 200. An der Zahl der Anmeldungen lasse sich auch die Entwicklung der Corona-Pandemie ablesen.
Kontakt zum Verein Madonna
In Bochum betreibt der Verein Madonna, der 1991 von Sexarbeiterinnen, ehemaligen Sexarbeiterinnen und Freundinnen gegründet wurde, eine Beratungsstelle und einen Treffpunkt. Der Verein arbeitet mit unterschiedlichen Organisationen und Institutionen zusammen.Wer Kontakt sucht, kann sich unter 0234/ 68 57 50 oder per Mail info@madonna-ev.de an den Verein wenden.
Dass jetzt weniger Personen angemeldet sind, bedeute aber nicht, dass weniger hier sind. Die Frauen stammen zu rund 80 Prozent aus Rumänien oder Bulgarien, wobei der Anteil der Rumäninnen mehr als vier Mal so hoch liegt. Die Frauen, die oft ohne festen Wohnsitz in Bochum leben, können mit dieser Anmeldung auch in anderen Städten der Prostitution nachgehen.
Für Heike Köttner vom Bochumer Verein Madonna (Treffpunkt und Beratung für Sexarbeiterinnen) ist klar: „Viele Frauen, die lange hier gearbeitet haben, sind nun verschwunden. Und die neu gekommen sind, finden sich schwer zurecht, was auch an mangelnden Sprachkenntnissen liegt. Aber nicht nur daran.“ Für Madonna bedeute dies, in vielen Fällen bei Null anfangen zu müssen. Denn das wichtigste an der Beratungsarbeit sei, dass es Vertrauen gibt und das müsse nun komplett neu aufgebaut werden. „Vor allem in einer Notsituation kommen Frauen nur dann, wenn sie uns vertrauen“, so Köttner.
Beim ersten Lockdown mussten die Betriebe schließen
Als beim ersten Lockdown auch die Bordelle im Rotlichtviertel an der Gussstahlstraße schließen mussten, verschwand damit nicht die Prostitution. Vielmehr hat sie sich verlagert. Frauen, die hier geblieben sind, meist ohne festen Wohnsitz, haben in dieser Phase und tun dies zum Teil noch heute, die Freier im Bereich des Rotlichtviertels getroffen und sind dann mit den Männern in Privatwohnungen gegangen.
Das bestätigt auch das Ordnungsamt: „Hinweise aus der Szene, dass Frauen vermehrt aus Wohnungen arbeiten, bestätigt sich durch ein sprunghaft angestiegenes Maß an Werbung für sexuelle Dienstleistungen im Internet. Wohnungen werden oftmals widerrechtlich genutzt und die Tätigkeit unter sehr bedenklichen Umständen in Wohnungen wahrgenommen. Maßnahmen gegen widerrechtliche Nutzungen werden auch unter erschwerten Bedingungen durchgeführt.“
Madonna: Die Verzweifelten sind geblieben
Madonna beobachtet etwa, dass die Zahl der Freier, die Kontakte zu Prostituierten sucht, durch die Pandemie abgenommen habe, dieser Trend sei bis heute, wo etliche Bordellbetriebe im erlaubten Bezirk wieder geöffnet haben, festzustellen. „Was die Sexarbeiterinnen angeht, sind nur die Verzweifelten hier geblieben“, so Köttner.
Illegal arbeiten sie in angemieteten Privatwohnungen, sehen, dass dort natürlich die Mieten weitaus günstiger seien als im Rotlichtbezirk. Eine kleine Wohnung außerhalb des Rotlichtbezirkes kostet rund 400 Euro im Monat, das Zimmer in einem Bordellbetrieb etwa 100 Euro pro Tag. Wer sich im deutschen Sozialsystem auskennt und die Sprache beherrscht sei klar im Vorteil. Das Internet funktioniert mittlerweile als riesiger virtueller Kontakthof.
Jetzt komme es darauf an, wie gut es der Polizei gelingt, die in den letzten Monaten der Pandemie um sich greifende illegale Prostitution wieder einzudämmen. Das sei gar nicht so einfach, denn es müsse sozusagen „in flagranti“ bewiesen werden, dass Prostitution ausgeübt werde.