Bochum. Corona hat das Sex-Geschäft im Bochumer Rotlichtviertel zum Erliegen gebracht. Wohnungen dienen als Ersatz. Verlierer sind die Prostituierten.
Die „Rote Laterne“ ist erloschen. Im „Solid Gold“ zeigt sich nicht nur das Türgitter herablassend. Im „Laufhaus“ läuft nichts. Auch die „Ritze“ und das „Eros-Center“ verströmen Frust statt Lust. Tote Hose im Bochumer Rotlichtviertel: Das Coronavirus hat das Sex-Geschäft weitgehend zum Erliegen gebracht. Zwar herrscht nach WAZ-Informationen jetzt außerhalb des Sperrbezirks reges Treiben. Bei vielen Prostituierten wachse aber die Not, warnt die Beratungsstelle „Madonna“.
„Sexuelle Dienstleistungen in und außerhalb von Prostituiertenstätten, Bordellen und ähnlichen Einrichtungen sind untersagt.“ So schreibt es die Corona-Schutzverordnung in NRW vor. Zunächst bis zum 15. Juli. Voraussichtlich deutlich länger. Betroffen sind allein im Sperrbezirk Gußstahlstraße/Im Winkel, im Volksmund gern „Eierberg“ genannt, 19 Einrichtungen, die die Stadt als „Bordellbetriebe“ kennzeichnet. Hinzu kommen zwei Saunaclubs und ein BDSM-Studio für Sado-Maso-Anhänger.
Rotlichtviertel in Bochum: Geschäft hat sich verlagert
„Die Schließung im März erfolgte weitgehend unproblematisch“, berichtet Stadtsprecherin Charlotte Meitler. Seither kontrollierten die Ordnungskräfte der Stadt regelmäßig, ob sich die Betreiber an die Verordnung halten. Ergebnis: In den Bordellen findet derzeit keine Prostitution statt. Ein Eindruck, der sich – siehe oben – mit einer Vor-Ort-Recherche der WAZ deckt. Das ist wenig erstaunlich: Wer gegen die Auflagen verstößt, muss mit 5000 Euro Geldbuße rechnen.
Das bedeutet aber nicht, dass das älteste Gewerbe der Welt in Corona-Zeiten ruht. Das Geschäft hat sich verlagert: heraus aus der überwachten Sperrzone, hinein in Hotels und Privatwohnungen, nach WAZ-Informationen vornehmlich in der Nachbarschaft des Rotlichtbezirks, an der Gußstahlstraße und Johanniterstraße. „Kontrollen finden anlassbezogen statt“, heißt es im Rathaus. Straßenprostitution Im Winkel werde „geduldet“, sagt der „Laufhaus“-Geschäftsführer der WAZ und prangert eine „Ungleichbehandlung“ an: „Warum dürfen Massagesalons öffnen, Bordelle aber nicht?“
Beratungsstelle: Die Verzweiflung wächst
„Natürlich wissen die Prostituierten, dass sie derzeit illegal arbeiten. Aber wo sollen sie sonst hin, um Geld zu verdienen?“, fragt Heike Köttner, Leiterin der Beratungsstelle „Madonna“, die „Sexarbeiterinnen“, wie sie hier genannt werden, sozial und rechtlich zur Seite steht und die Gleichstellung mit anderen Erwerbstätigkeiten einfordert.
Corona, schildert die Sozialarbeiterin, habe die prekäre Situation der Prostituierten nochmals verschärft. „Die Verzweiflung wächst“, beobachtet Köttner. In den Bordellen sei den Frauen ihre berufliche Existenz weggebrochen. Die wenigsten hätten Rücklagen bilden können. „Der größte Teil ist mittellos, aktuell nicht selten auch wohnungslos.“ Das betreffe vor allem die Ausländerinnen.
Notlage führt zu Dumpingpreisen
Laut „Madonna“ sind zahlreiche Prostituierte bei Kolleginnen, mitunter auch bei den Wirtschafterinnen der Bordelle untergekommen. Andere wohnen in den Zimmern, in denen sie sonst nur arbeiten (was derzeit erlaubt ist). Wie eine Szene-Kennerin der WAZ erzählt, seien die Preise für die Dienstleistungen massiv gesunken. „Für die Prostituierten zählt jeder Euro. Und der Druck der Zuhälter ist ja nicht kleiner geworden. Da werden Dumpingpreise von 30 Euro oder weniger aufgerufen, um Masse zu machen. Das ist beschämend für die Frauen.“
137 Prostituierte sind in Bochum angemeldet
In Bochum sind nach Angaben der Stadt momentan 137 Prostituierte mit gültigen Anmeldebescheinigungen registriert. Die Dunkelziffer dürfte deutlich größer sein.
Nach Angaben von „Madonna“ stammen viele der Frauen aus Rumänien und Bulgarien. Afrikanische Prostituierte gebe es in Bochum – anders als in anderen deutschen Städten – kaum.
Die von Stadt und Land geförderte Beratungsstelle an der Alleestraße besteht seit 1991. Nicht erst in Corona-Zeiten sei sie „heillos überlastet“, schildert die Leiterin Heike Köttner.
Heike Köttner bestätigt: „Je länger die Krise dauert, desto größer wird die Not.“ Weil sie keine eigene Steuernummer haben, könnten viele Sexarbeiterinnen staatliche Leistungen wie Corona-Soforthilfe oder Arbeitslosengeld nicht in Anspruch nehmen. Zwar hat der Berufsverband BESD im Frühjahr einen Nothilfefonds für Prostituierte eingerichtet. Doch Sex ist und bleibt vielfach die einzige Einnahmequelle.
Es drohen 5000 Euro Bußgeld
Dafür werde auch die Gefahr in Kauf genommen, in den Wohnungen oder Hotels erwischt zu werden. Auch das hätte existenzielle Folgen. „Wie jedem Betrieb, der gegen die Corona-Schutzverordnung verstößt, droht auch Prostituierten das 5000-Euro-Bußgeld“, sagt Heike Köttner. „Zum Glück ist uns in Bochum bisher kein Fall bekannt, in dem die Stadt diese Strafe verhängt hat.“