Bochum. Ein Theaterabend wie ein Philosophie-Seminar: In „Verbundensein“ stellen sich die Schauspiel-Studierenden im Theaterrevier Bochum großen Fragen.

Sie sind Anfang 20, hoch talentiert und studieren gerade im dritten Jahr an einer der renommiertesten Schauspielschulen Deutschlands. Bevor sie ihr weiterer Weg auf die großen Bühnen zwischen Hamburg und Zürich, auf die Bildschirme und Kinoleinwände dieser Republik führen wird, zeigen sie ihr Können bei einer Talentprobe im Theaterrevier der Zeche Eins.

Die Aufführungen der Eleven haben in Bochum eine lange Tradition. Gern erinnert man sich an die wildbewegten Shakespeare-Abende im Weitmarer Schlosspark, die vom Publikum an lauen Sommerabenden heiß geliebt wurden. Ex-Intendant Leander Haußmann öffnete den Studierenden sogar die große Bühne des Schauspielhauses, ehe ihre jährlichen Leistungsschauen für einige Jahre im Theaterkeller (dem heutigen Oval Office) verschwanden, was traurig war. Seit Johan Simons das Intendanten-Zepter führt, erweist sich das neu geschaffene Theaterrevier als idealer Ort.

Theater-Eleven der Folkwang-Uni spielen in Bochum

Infos und Spieltermine

„Verbundensein“ für Menschen ab 15 Jahren ist wieder am 25., 27., 28., 29. und 30. Januar im Theaterrevier (Zeche Eins) an der Prinz-Regent-Straße 50-60 zu erleben. Dauer: ca. 75 Minuten ohne Pause.

Da jeweils nur 16 Zuschauer pro Vorstellung Einlass finden, werden sämtliche Aufführung live im Internet übertragen. Infos und Karten: 0234 / 33 33 55 55 und schauspielhausbochum.de

„Verbundensein“ heißt das Stück, das die neun Schauspielerinnen und Schauspieler des Theaterzentrums der Folkwang-Uni hier gerade aufführen. Nur 16 maskierte Zuschauer dürfen das Spiel wegen der Corona-Auflagen vor Ort im Saal verfolgen, weitere 120 haben sich daheim im Live-Stream zugeschaltet. Mit mehreren Kameras und einigem technischen Aufwand wird die Inszenierung also von Weitmar hinaus in alle Welt übertragen.

Die Vorlage basiert auf einem berühmt gewordenen Essay von Kae Tempest, das der literarisch-musikalische Superstar aus London während des Lockdowns verfasste. Tempest beschwört darin auf knapp 140 Seiten die Kraft der Kreativität und des Zusammenhalts in Zeiten großer Zerrissenheit und politischer Spaltungen. Gewiss hochaktuell, aber taugt das auch für einen guten Theaterabend?

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Schwer verdauliche Sätze prasseln aufs Publikum ein

Geschrieben wurde der Text merklich nicht für die Bühne, er hat weder Handlung noch Gerüst oder Spannungsbogen. Bei der Lektüre daheim im stillen Kämmerlein mögen die schlauen Sätze ihre Wirkung entfalten, doch im Theatersaal hat man erhebliche Mühe, all den Kopfgeburten auf die Schnelle zu folgen. Die Schauspieler geben alles, um Tempest‘ Text dem Publikum so nah wie möglich zu bringen: mal sprechen sie direkt in die Kamera, mal in einem genau einstudierten Durcheinander.

Die Aufführung der Schauspielstudenten wird live als Stream übertragen. Mehrere Kameras und viel technischer Aufwand sind dafür erforderlich.
Die Aufführung der Schauspielstudenten wird live als Stream übertragen. Mehrere Kameras und viel technischer Aufwand sind dafür erforderlich. © Schauspielhaus Bochum | Birgit Hupfeld

Da fallen dann schwer verdauliche Sätze wie „Abstumpfung ist die logische Reaktion auf den Ansturm der Zeit“ oder „Das Internet ist die vielstimmige Stimme des Bewusstseins“. Einer meint: „Ich bin mehr als der Agent meines eigenen Individualismus.“ Aha. Nicht selten hat man etwas Mitleid mit dem Ensemble, das sich mächtig ins Zeug legt, um solche Sentenzen sprachlich genau akzentuiert und unter energischem Einsatz topaktueller Gendersprache über die Rampe zu bekommen.

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Großes Gerüst sorgt auf der Bühne für viel Bewegung

Damit aus der Aufführung kein Philosophie-Seminar wird, setzt Regisseur Robert Lehniger dem anstrengenden Text eine möglichst bunte, verspielte und spritzige Note entgegen. Es gibt ein großes Gerüst (Bühne: Lan Anh Pham), das eine Menge Bewegung in die Aufführung bringt. Dazu gibt es Live-Musik, die Schauspieler singen wunderbar im Chor. Überhaupt ist die Aufführung bestens choreographiert, vor allem in den großartigen Wimmelbildern greift ein Rädchen ins andere.

Richtig gut wird der Abend vor allem dann, wenn es zu kleineren Spielszenen kommt. So gelingt Rebekka Wurst das berührende Porträt einer depressiven jungen Frau, die ihr Freund (Pit Prager) nicht mehr erreichen kann. „Melde dich. Bis dann, Pit“, schreibt er in Kreide auf die Bühne. Auch Alkohol- und Drogensucht ist ein Thema.

So hinterlässt „Verbundensein“ ein zwiespältiges Gefühl. Neben bohrenden, abgründigen, aber auch heiteren Momenten steht der Aufführung die völlig überfrachtete Vorlage im Weg. Das Premierenpublikum spendet viel Beifall für die beherzt aufspielenden jungen Schauspieler.