Bochum. Die braune NS-Vergangenheit in Wattenscheid beleuchtet der Journalist Werner Schmitz. Bei der Recherche zum neuen Teil gruselte es ihm mächtig.

Mit legendären Ruhrpott-Krimis wie „Nahtlos braun“ und „Auf Teufel komm raus“, die noch immer jede Lektüre lohnen, wurde der Bochumer Autor Werner Schmitz bekannt. Auf Spurensuche ganz anderer Art ist der 73-Jährige in seiner neuen Geschichte, die er kostenlos auf seiner Internetseite veröffentlicht hat. In „Zu reißenden Bestien erzogen“ erzählt er von der tiefbraunen NS-Vergangenheit in Wattenscheid-Eppendorf, wo Schmitz seit Kindesbeinen an lebt – und von dem netten Nachbarn, der Aufseher im KZ Buchenwald war.

Werner Schmitz rollt die NS-Vergangenheit in Bochum-Wattenscheid auf

Seit einigen Jahren widmet sich Schmitz verstärkt der Zeit des Nationalsozialismus, die bekanntlich auch in Bochum tiefe Spuren hinterließ. Als gebürtigem Eppendorfer, der zwischen Köllerholz und Südpark jeden Stein bestens kennt, sind ihm die Geschichten aus seinem eigenen Viertel besonders wichtig – vor allem jene, die vor ihm kaum jemand beleuchtet hat. „Da ist mein Reportergeist dann natürlich geweckt“, sagt er.

Gedenktafel für das ehemalige „Zigeunerlager“

In Erinnerung an das ehemalige „Zigeunerlager“ soll an der Dahlhauser Straße zwischen Eppendorf und Dahlhausen eine Gedenktafel aufgestellt werden. „Die Planungen dafür laufen. Ich denke, dass dies im Frühjahr der Fall sein wird“, sagt Werner Schmitz.

Die Eppendorfer NS-Geschichten und alle Infos zu seinen weiteren Büchern finden sich online unter werner-schmitz.de

So veröffentlichte Schmitz 2018 einen Bericht über den Eppendorfer Lehrer Karl Tromm, der seine Schüler in den 1950er Jahren mit dem Stock unterrichtete. Als junger Achtklässler war Schmitz selber einer der Leidtragenden: „Zehn Hiebe auf den Hintern“ heißt der schmerzvolle Text.

Ehemaliger KZ-Wächter wohnte direkt im Nachbarhaus

Bei einer Lesung gab ihm jemand den Tipp, dass es Ende der 1930 Jahre im Stadtteil ein „Zigeunerlager“ gegeben habe. „Das war nur 500 Meter von meinem Elternhaus an der Konradstraße entfernt“, erzählt er. Schmitz fand nach kurzer Recherche heraus, dass das Zwangslager für Sinti 1943 geräumt wurde, weil die Nachbarn keine „Zigeuner“ in ihrer Nähe duldeten. Die Folge: „Die Menschen wurden nach Auschwitz verschleppt und umgebracht.“

Noch weitaus näher bis direkt ins Nachbarhaus rückt die NS-Vergangenheit im dritten Teil seiner Eppendorfer Geschichten, die jetzt online ist: Diesmal geht es um einen gewissen August Keinhörster, den Schmitz selber in seiner Jugend als freundlichen Nachbarn kennenlernte. „Er arbeitete als Lokführer beim Bochumer Verein, wo er die Werksbahn fuhr“, sagt er. „Als ich mit ein paar Freunden auf Fahrrädern die Engelsburger Straße entlang fuhr, hat er mit seiner Bahn sogar angehalten und uns mitgenommen.“

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Nie zur Rechenschaft gezogen

Doch was der nette Kerl von nebenan, den Schmitz „Onkel Keinhörster“ nannte, während der Nazi-Diktatur so trieb, habe er erst viel später von seiner Mutter erfahren. „Der August war bei Adolf im Lager“, habe die Mutter ihm erzählt, worauf Schmitz nachfragte: „Als Häftling?“ – „Nee, er hatte seinen Schäferhund dabei.“

Ein Hundezwinger der SS im KZ Buchenwald: Hier soll auch der Wattenscheider August Keinhörster als KZ-Wächter mit seinem Schäferhund gewesen sein.
Ein Hundezwinger der SS im KZ Buchenwald: Hier soll auch der Wattenscheider August Keinhörster als KZ-Wächter mit seinem Schäferhund gewesen sein. © Gedenkstätte KZ Buchenwald

Aufgrund eines Briefes an einen Nachbarn, den Keinhörster 1942 aus Weimar-Buchenwald schrieb und darauf als Absender „2. SS-Totenkopfsturmbann“ angab, recherchierte Schmitz die Lebensgeschichte dieses Mannes, der nach dem Krieg in ein ganz normales bürgerliches Leben in Eppendorf zurückkehrte und für seine Taten offenkundig nie strafrechtlich zur Rechenschaft gezogen wurde.

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Als Küster in der Marienkirche

„In den 1960ern zog er an die Schmidtstraße in der Innenstadt und arbeitete als Küster in der ehemaligen Marienkirche“, fand Schmitz heraus. Dort steht heute bekanntlich das Musikforum. 1993 soll er ehemalige KZ-Wächter in Witten gestorben sein.

Mithilfe von Uwe Kriening aus dem Stadtarchiv und der Gedenkstätte Buchenwald konnte Schmitz die Biografie des freundlichen Nachbarn rekonstruieren und auf 16 Seiten zu Papier bringen. „Wie nah die Täter oftmals waren, das war bei der Recherche schon gruselig“, erzählt er. Doch all dies sei natürlich kein reines Eppendorfer Phänomen: „Solche Geschichten finden sich überall in Bochum.“