Wattenscheid-Eppendorf. „Auf einmal waren alle weg“ heißt die neue Geschichte des Autors Werner Schmitz. Sie führt vom Eppendorf seiner Kindheit ins Herz der Finsternis.
„Auf einmal waren alle weg“ heißt die neue Geschichte des Bochumer Schriftstellers Werner Schmitz. Sie macht auf ein ehemaliges „Zigeunerlager“ in Wattenscheid aufmerksam - und führt vom Eppendorf seiner Kindheit ins Herz der Finsternis.
„Das Vergangene ist nicht tot; es ist nicht einmal vergangen. Wir trennen es von uns ab und stellen uns fremd.“
Was die Literatin Christa Wolf einmal hellsichtig notierte, hat auch Werner Schmitz oft erfahren. Erst vor Kurzem holte ihn, den gebürtigen Eppendorfer, die Vergangenheit ein. Denn obwohl Schmitz in diesem Jahr 72 geworden ist, hatte er nie von einem „Zigeunerlager“ in seinem Sprengel gehört. Und das, wo er zwischen Thorpeplatz und Köllerholz doch jede Ecke und jede Geschichte zu kennen glaubte.
Jäger auch im übertragenen Sinn
Werner Schmitz ist Krimiautor („Auf Teufel komm raus“) und Journalist („Stern“), dazu passionierter Jäger, eine Leidenschaft, der er schon vielfach auch belletristisch frönte. Tatsächlich ist er aber auch ein Jäger im übertragenen Sinne. Das Aufdecken und Anprangern menschlicher Schwächen wie Ungerechtigkeit, Borniertheit und politisch motiviertes Weggucken hat ihn, den Moralisten, seit je auf Trab gehalten. Nun wurde er zum Fakten-Jäger im privaten Umfeld.
Hinweis einer Nachbarin
Und das kam so: 2018 hatte Schmitz einen Bericht über den Eppendorfer Lehrer Karl Tromm veröffentlicht, der in den 50er Jahren den Unterricht noch ganz im Sinne der NS-Erziehung gestaltete. Und den Schmitz als Junge erlebt hatte. Er schrieb die Geschichte „Zehn Hiebe auf den Hintern“, in der er die Nazi-Vergangenheit des Pädagogen und dessen, so Schmitz, „wundersame Entnazifizierung“, thematisierte. Bei einer Lesung in Bochum kam er mit eben jenem Thema in Kontakt, das alsbald seinen Jagdinstinkt weckte.
„Alles fing damit an, dass mich eine ehemalige Nachbarin vor der Lesung ansprach“, erinnert sich Werner Schmitz. Sie erzählte ihm unvermittelt, dass es in Eppendorf Ende der 1930er Jahre ein „Zigeunerlager“ geben hätte – „und plötzlich waren alle weg.“ „Von so einem Lager wusste ich nichts, obwohl ich nicht nur in Eppendorf aufgewachsen bin, sondern auch seit langem wieder wohne“, sagt Schmitz.
Zur Person
Werner Schmitz (Jahrgang 1948) ist Mitte der 80er Jahre als Schriftsteller von Kriminalromanen neuen Stils bekannt geworden. In Büchern wie „Nahtlos braun“ oder „Dienst nach Vorschuss“ gaben Bochum und das Ruhrgebiet das Lokalkolorit für gesellschaftskritische Geschichten und Reportagen ab.
Später dehnte Schmitz seinen fundiert-unterhaltsamen Schreibstil in Romanen wie „Wald der toten Jäger“ oder „Tote Jäger schießen nicht“ auf das Genre der Jägerei aus. Seine Texte veröffentlichte er zuletzt auch auf seiner Internetseite www.werner-schmitz.de
Um mehr zu erfahren, fuhr er ins Stadtarchiv. Dort stieß er auf eine Meldung in der „Allgemeinen Wattenscheider Zeitung“ vom 26. November 1937. In der wird von dem geplanten Bau eines Barackenlagers – auf einem Grundstück „im äußersten Winkel Wattenscheid-Eppendorfs, an der Grenze zu Dahlhausen“ - berichtet, in dem „die in Wattenscheid lebenden Zigeuner“ zentral zusammengefasst werden sollten. Schmitz weitere Recherchen erbrachten rasch die Stelle, an der das Lager stand: Auf der Ecke Ruhr-/Dahlhauser Straße. „Also genau da, wo ich mit meinem Vater als kleiner Junge bei unseren Sonntagsspaziergängen immer vorbei kam“, sagt Schmitz.
Alte Namenslisten studiert
Die nächste Frage war, was aus den „Zigeunern“ geworden war; der Satz der Nachbarin - „Auf einmal waren alle weg“ -, verhieß schon nichts Gutes. Schmitz stieß dann nicht nur auf die historischen Baupläne des Barackenlagers und auf öffentliche Eingaben von Eppendorfer Bürgern, die sich damals vehement gegen die Fremden in der Nachbarschaft gewandt hatten; „in wenigen Stunden wurden 751 Unterschriften gesammelt“. Sondern auch auf manche Namen der damals dort untergebrachten Menschen und deren Schicksal: „Die meisten der Eppendorfer Sinti landeten im ,Zigeunerfamilienlager‘ Auschwitz-Birkenau, und kamen dort um“, hat Werner Schmitz anhand von alten Namenslisten herausgefunden.
Über Jahre nicht darüber geredet
Die Recherche hat ihm zugesetzt. „Ich weiß nicht, was mich mehr schockierte. Dass in ,meinem‘ Eppendorf so was möglich war. Oder dass ich Zeit meines Lebens nichts davon gewusst habe, weil von den Altvorderen nie jemand davon gesprochen hat.“ Wobei das eine so schlimm sei wie das andere. Um das Vergessen aufzuhalten, hat Werner Schmitz seine Erkenntnisse in einem Bericht verarbeitet. Er trägt den Titel „Auf einmal waren alle weg“ und führt vom Eppendorf seiner Kindheit ins Herz der Finsternis.
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Für ihn ist es damit nicht genug. „Ich möchte, dass eine Gedenktafel aufgestellt wird, die an das Schicksal der Eppendorfer Sinti erinnert“, sagt Schmitz. Dafür will er sich jetzt in der Bezirksvertretung stark machen. Wo die Tafel stehen soll, ist ihm auch schon klar: an der Dahlhauser Straße, direkt nach dem „Knick“ zur Ruhrstraße. Dort, wo in den 50er Jahren die heute noch so genannten „Polizeihäuser“ entstanden, befand sich einst das Eppendorfer „Zigeunerlager“.
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