Bochum. In Bochum ist der Prozess gegen Verantwortliche des Schnelltesters Medican gestartet. Anwalt wirft Anklägern Voreingenommenheit vor.
Sollten die Anklage-Vorwürfe zutreffen, dann war das Bochumer Unternehmen Medican zu erheblichen Teilen eine große, aber illegale Gelddruckmaschine. Seit Donnerstag sitzt der 48-jährige Chef der Firma mit Sitz in Wattenscheid auf der Anklagebank des Landgerichts Bochum.
Die Staatsanwaltschaft wirft ihm gewerbsmäßigen Betrug vor. 25,1 Millionen Euro soll er durch exorbitant überhöhte Abrechnungen erbeutet haben. Geschädigter: die Bundeskasse.
Hauptangeklagter bestreitet, zu viel Tests abgerechnet zu haben
Der Angeklagte bestreitet das alles aber.
Der Fall zeigt den Aufstieg und Fall eines erfolgreichen Unternehmers. Mit Immobilien-Geschäften soll er ohnehin schon vermögend geworden sein, und dann kamen noch Millionen infolge der Corona-Pandemie hinzu. Die Kernfrage in diesem Prozess lautet: Ist der Mann ein skrupelloser Betrüger oder ein findiger und kluger Kaufmann, der zur richtigen Zeit den richtiger Riecher für gute – und legale – Geschäfte hatte?
Tatsache ist: Seit sechs Monaten sitzt er in U-Haft. Und die Staatsanwaltschaft hat von ihm Vermögenswerte in Höhe von rund 17 Millionen beschlagnahmt.
Angeklagter war im medizinischen Bereich ein Neuling
Im medizinischen Bereich war der Unternehmer völlig neu. Dann baute er blitzschnell bundesweit Corona-Schnelltest-Stellen auf, stationär und in extra angekauten und umgebauten Linienbussen. Bis April waren es 61.
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Der Coronatest-Markt wuchs explosionsartig. Verteidiger Reinhard Peters: „Es gab von überall Nachfragen: Schickt uns Busse, schickt uns Testzentren! Die Leute wollten ihre Geschäfte eröffnet haben, die wollten Umsatz machen. Es haben aus ganz Deutschland Leute angerufen: ,Schickt uns um Gottes willen einen Bus!’ Die Busse waren die zündete Idee, das muss man einfach sagen.“
Verteidiger:. Bürgermeister und Geschäftsleute „flehten“ den Coronatest-Betreiber an
Auch viele Bürgermeister und Geschäftsführer von Handelsgesellschaften und Einkaufszentren hätten auf dem Handy seines Mandanten angerufen – „und flehten ihn geradezu an, direkt einen Testbus zu schicken. Die Geschäfte waren auf, die Bürger konnte aber, weil nicht getestet, nicht einkaufen.“
Die Staatsanwaltschaft wirft ihm nun vor, diesen Boom skrupellos ausgenutzt zu haben, „um sich persönlich in einem möglichst großen Ausmaß zu bereichern“. Der Angeklagte habe erkannt, dass es bei den Abrechnung der durchgeführten Tests gegenüber der kassenärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe (KVWL) keiner Nachweise bedurft hätte. Allein in den Monaten März und April 2021 soll er 1,67 Millionen Tests in Rechnung gestellt haben, von denen es aber knapp 980.000 Tests gar nicht gegeben habe.
Geschädigt worden sein soll das Bundesamt für soziale Sicherung
Außerdem soll er die Tests als ärztliche Leistungen abgerechnet haben, obwohl gar kein Arzt zugegen gewesen sei; so seien jeweils 15 statt zwölf Euro kassiert worden. Auch von überhöht abgerechneten Sachkosten ist in der Anklage die Rede.
Insgesamt soll Medican im März und April rund 35 Millionen Euro von der KVWL erstattet bekommen haben. Diese bekam das Geld vom Bundesamt für soziale Sicherung zurück.
Staatsanwalt ermittelt gegen dritten Beschuldigten
Die Staatsanwaltschaft ermittelt auch gegen einen dritten Beschuldigten, ein enger Verwandter des Hauptangeklagten. Er soll mit 2,6 Millionen Euro aus der mutmaßlichen Betrugsbeute in der Türkei sein.
Vor kurzem hat sich ein Anwalt seiner Firma, die bei den Geschäften mit den Corona-Tests zwischengeschaltet gewesen sein soll, bei der Anklagebehörde gemeldet. Ob oder wann der Verdächtige aber nach Deutschland kommt, ist völlig unklar.
Die Verteidigung bestreitet die Vorwürfe im Wesentlichen. Anwalt Peters: „Wir gehen davon aus, dass die Abrechnungen – wenn auch mit einer gewissen Unschärfe – richtig sind und dass die abgerechneten Tests den durchgeführten Tests weitestgehend entsprechen.“
„Es ist sicher nicht so gelaufen, wie es hätte laufen müssen“
Peters räumt zwar ein, dass die Zeit damals „sehr chaotisch“ gewesen sein. „Es ist sicher nicht so gelaufen, wie es hätte laufen müssen.“ Trotzdem wirft er der Staatsanwaltschaft „Voreingenommenheit und mangelnde Objektivität“ vor, sie habe „aufklärungsfeindlich“ ermittelt. Der Angeklagte sei „der Böse“, davon seien die Ermittler „von Anfang an fest überzeugt“ gewesen
Angeklagt ist auch der Sohn des Unternehmers. Dem 26-Jährigen – auch er hatte zeitweise in U-Haft gesessen – wird Beihilfe zum Betrug vorgeworfen. Er sei nur formeller Geschäftsführer von Medican gewesen, sein Vater aber faktischer.
Beide wollen sich erst im Laufe des Prozesses äußern. 13 weitere Verhandlungstage bis 11. Februar sind angesetzt.