Bochum. Mit dem Partner ihrer Mutter ist bei Hannah Gewalt eingezogen – bis hin zu sexuellem Missbrauch. Sie will andere ermutigen, sich Hilfe zu holen.

Hannah* (19) aus Bochum ist fünf Jahre alt, als ihre Mutter einen neuen Lebensgefährten kennenlernt. Mit ihm zieht die Gewalt bei der Familie ein. Es folgen Schläge – bis hin zu Missbrauch. Irgendwann verlässt ihre Mutter den Partner, doch die Gewalt bleibt. Solange, bis das junge Mädchen es schafft, sich Hilfe zu suchen.

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„Er ist ausgerastet, wegen Kleinigkeiten“, erinnert sich die heute 19-Jährige an die Zeit zurück. Irgendwann wird es noch schlimmer: „Es war nicht nur Gewalt, sondern auch sexueller Missbrauch, Misshandlung und Vergewaltigung“, macht die 19-Jährige klar. Mitbekommen hat ihr Leid kaum einer. Hilfe holen – das war lange nicht möglich.

Mutter trennt sich von Lebensgefährten – doch die Gewalt endet nicht

Der Lebensgefährte ihrer Mutter droht ihr mit drastischen Konsequenzen, zum Beispiel dem Tod der Großeltern. Irgendwann werden die Nachbarn aufmerksam, weil es bei der Familie laut ist. Sie rufen die Polizei, die immer wieder im Einsatz ist. Doch erst nach einem größeren Einsatz trennt sich die Mutter von ihrem Lebensgefährten, er darf sich der Familie nicht mehr nähern.

Bochum- Gegen Gewalt an Frauen – mit Fakten auf BrötchentüteDamit hört das Leid nicht auf. Die Mutter lernt einen neuen Mann kennen, Hannah erfährt irgendwann Gewalt durch ihre ältere Stiefschwester. Sie zieht das erste Mal die Reißleine – und zieht zu ihrem Vater. „Wir haben aneinander vorbeigelebt. Mir ging es psychisch schlecht“, erzählt Hannah, die damals ungefähr zwölf oder 13 Jahre alt war.

Nach weiteren zwei Jahren bei ihrem Vater kann sie sich einem Schulsozialarbeiter öffnen, der den Kontakt zu einer Beratungsstelle herstellt. Das Jugendamt bringt die 15-Jährige schließlich in einer Mädchenschutzstelle in Bochum unter, hier bleibt sie acht Monate.

Hannah (19) aus Bochum hat Täter angezeigt

Wenn Hannah von dem Mann spricht, der ihr viele Jahre das Leid zugefügt hat, nennt sie ihn Täter. Sie hat ihn angezeigt, nur verurteilt ist er bisher nicht – weil es bisher Aussage gegen Aussage stand. Nun wird das Verfahren wieder aufgerollt. Eine Verwandte und eine Nachbarin trauen sich nun, gegen den Mann aussagen. Die Schülerin hat bald einen Termin mit einer Anwältin.

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Lange hat sie die Schuld bei sich selbst gesucht: „Die Täter reden ihre Opfer immer sehr klein, drohen ihnen, damit sie sich bloß keine Hilfe holen“, spricht Hannah aus Erfahrung. „Aber statt sich so klein reden zu lassen, sollten sie erkennen, wie stark sie sind, und sich die nötige Hilfe holen.“ Immer wieder hat Hannah in den vergangenen Monaten der Corona-Pandemie gelesen, dass mehr Kinder, mehr Frauen von häuslicher Gewalt oder Missbrauch betroffen sind. Studien und Zahlen belegen das.

Corona-Pandemie: Gewalt gegen Kinder in sechs Prozent der Haushalte

In 6,5 Prozent aller Haushalte in Deutschland wurden in der Zeit der strengen Kontaktbeschränkungen Kinder gewalttätig bestraft. Das zeigt die große repräsentative Umfrage der Technischen Universität München. Eine gestiegene Nachfrage nach Beratungsangeboten sowie die Zahlen der Polizeilichen Kriminalstatistik 2020 legen nahe, dass Kinder und Jugendliche während der Pandemie einem erhöhten Risiko häuslicher Gewalt ausgesetzt sind, heißt es vom Familienministerium.

Häusliche Gewalt – hier gibt es Hilfe

Das Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“ ist ein Beratungsangebot für Frauen, die Gewalt erlebt haben oder erleben. Sie erhalten unter 08000 11 60 16 und via Online-Beratung Hilfe. Auch Angehörige, Freundinnen und Freunde sowie Fachkräfte werden anonym und kostenfrei beraten.

Kinder und Jugendliche die Gewalt erleben, Betroffene kennen oder aus anderen Gründen Hilfe brauchen, können kostenlos die „Nummer gegen Kummer“ unter 11 61 11 anrufen.

Frauen, die akut von Gewalt betroffen sind, können sich im „Frauen-Info-Netz“ über freie Frauenhausplätze in NRW informieren: www.frauen-info-netz.de. Das Frauenhaus Bochum der Caritas ist in Notfällen rund um die Uhr unter 0234/ 50 10 34 erreichbar.

Die Kinderschutzambulanz von „Neue Wege“ der Caritas betreut Kinder und Jugendliche, die Opfer von Misshandlung, Vernachlässigung, sexuellem Missbrauch sind oder vergewaltigt wurden: 0234/ 50 36 69 oder unter

Die Beratungsstelle Nora e.V.“ hilft Frauen ab 16 Jahren bei allen Problemen – sei es Gewalt, beruflicher Stress oder psychische Probleme. Sie ist erreichbar unter 0234/ 96 29 99-5/-6. Weitere Informationen gibt es unter www.nora-ev.de

Die Beratungsstelle Mira richtet sich an Frauen und Mädchen unterschiedlicher Kulturen und Ethnien. Kontakt unter 0234/ 325 91 76 und 0234 338 99 17 sowie per E-Mail unter

„Ich weiß, dass es schwer ist, sich Hilfe zu holen“, sagt die 19-jährige Hannah. Sie hofft, dass sie anderen Kindern und Frauen mit ihrer Geschichte Mut machen kann, das trotzdem zu tun. Sie lebt mittlerweile in einem betreuten Wohnen in Bochum: „Damit bin ich sehr zufrieden. Die Betreuer sind sehr gut und einfühlsam, weshalb man keine Angst davor haben muss, sich auch als Kind oder Jugendlicher Hilfe zu holen. Sie unterstützen mich auch, was die Anzeige gegen den Täter betrifft.“ Sie hat eine stationäre Therapie gemacht und ist weiterhin in ambulanter Betreuung.

Kaum Kontakt zu Eltern: „Das tut weh“

Kontakt zu ihrer Mutter, die ebenfalls eine Therapie macht, bestehe nur noch sehr sporadisch, auch von ihrem Vater hört sie kaum noch etwas. „Das tut weh“, sagt sie. Die Hoffnung, dass sich das irgendwann ändert, bleibt. Trotz allem: Hannah blickt positiv in die Zukunft. 2023 macht sie ihr Fachabitur und könnte sich vorstellen, im Anschluss „Soziale Arbeit“ zu studieren. Ihr Ziel: anderen Betroffenen helfen.

*Name geändert und der Redaktion bekannt