Bochum. Opfer häuslicher Gewalt erleben immer wiederkehrende Kreisläufe von Agressionen. In der Bochumer Beratungsstelle Nora finden Betroffene Hilfe.
Täglich gehen bei der Bochumer Polizei Anzeigen wegen häuslicher Gewalt ein. Die Beratungsstelle Nora an der Kortumstraße unterstützt Opfer darin, Auswege zu finden und die Gewalt zu verarbeiten. Im WAZ-Interview mit Verena Lörsch berichtet Sozialpädagogin Babett Görnert vom Kreislauf partnerschaftlicher Gewalt.
Wer ist von Gewalt in Partnerschaften betroffen?
Babett Görnert : Gewalt in Beziehungen tritt in allen gesellschaftlichen Schichten und Altersgruppen auf. Schwerpunktmäßig kommen Frauen im Alter zwischen Mitte 30 und Mitte 50 zu uns zur Beratung. Manch junge Frau zieht bereits nach Monaten die Konsequenzen. Wir beraten aber auch Frauen im fortgeschrittenen Rentenalter, die ein Leben lang mit diesem Leidensdruck leben und sich nie zuvor Hilfe gesucht haben.
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Warum bleiben Betroffene so lang bei ihrem gewalttätigen Partner?
Angst vor noch mehr Gewalt und die Sorge, man könnte die Kinder verlieren, spielen oft eine Rolle – aber bei vielen Frauen ist auch die Hoffnung da, dass sich der Partner noch ändert. Sie sagen dann „Er kann so einfühlsam sein und ist ein toller Papa, wenn da nur nicht die Gewalt wäre“. Dann entsteht ein Sog von „Wenn, wenn, wenn“: Wenn erstmal das Haus abbezahlt ist, wenn er erstmal einen Job gefunden hat, wenn erstmal die Kinder größer sind – dann wird schon alles besser werden. So halten die Frauen durch und hoffen auf eine Veränderung, die nicht eintritt.
Wieso berichten Betroffene häufig von Scham und Schuldgefühlen?
Frauen fühlen sich schnell verantwortlich dafür, dass die Beziehung und das Familienleben rund läuft und alle zufrieden sind. Ist das nicht der Fall, lasten sie sich das persönlich an und denken, sie hätten versagt. Aufgrund der Schuldgefühle wollen sie nicht, dass ihr Umfeld die Gewalt mitbekommt und versuchen, eine Fassade aufrechtzuerhalten, ein Mäntelchen über die familieninterne Gewalt zu decken. Wenn die Familie von vornherein mit dem gewählten Partner nicht einverstanden war ,fällt es den Frauen noch schwerer sich einzugestehen, dass etwas schief gelaufen ist.
Gewalt und Femizide
Seit 2005 verzeichnet die Polizei Bochum einen stetigen Anstieg von häuslicher Gewalt.
Im Jahr 2005 waren es 558 Fälle, fünf Jahre später im Jahr 2010 schon 690 Fälle und in 2019 gingen 792 Anzeigen wegen häuslicher Gewalt ein.
Das BKA verzeichnete 2018 bundesweit 140.755 Fälle von Partnerschaftsgewalt, in 81 Prozent war das Opfer weiblich.
Bundesweit wurden in 2018 421 Menschen durch einen Partner oder Expartner getötet, darunter 324 Frauen.
Welche Rolle spielen Emotionen?
Es ist nie so, dass der Partner vom ersten Tag an gewalttätig ist. Manche Frauen sehen in ihrem Partner auch noch den Mann, in den sie sich mal verliebt haben, und hoffen, sie könnten den Menschen von damals wiederbekommen. Sie denken „Er kann sich ändern, sonst würde er doch nicht mit Blumen in der Hand und Tränen von Reue im Auge vor mir stehen“. Doch selbst wenn die Beziehung mit Liebe angefangen hat, bleibt diese auf der Strecke, wenn sie von Gewalt überlagert wird. Die Unbeschwertheit geht verloren, denn Liebe und Angst sind nicht unter einen Hut zu bringen.
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Folgt partnerschaftliche Gewalt einem gewissen Ablauf?
Ja, es stellt sich meist ein Kreislauf ein: Dieser beginnt mit einem Spannungsaufbau, der in psychischer oder physischer Gewalteskalation gipfelt. Danach kommt es zum Spannungsabfall, zu Phase der Reue, Entschuldigung und Beteuerung, es wird sich alles ändern. In der Phase lenkt die Frau wieder ein und sagt „Ja, wir kriegen das schon hin, wir können ja auch in eine Paarberatung gehen“. Dann zieht wieder Normalität ein für ein paar Tage, Wochen oder Monate. Dann kommt es plötzlich zum erneuten Spannungsaufbau. Viele Frauen berichten, dass die Eskalation heftiger wird, je häufiger sich der Kreislauf wiederholt und auch, dass die Abstände kleiner werden. Da sinkt die Hemmschwelle für Gewalt.
Wie gehen Frauen damit um?
Sie leben in einer hochgradig ambivalenten emotionalen Situation. Viele Frauen gehen – manchmal über Jahre hinweg – in die Defensive, nehmen sich komplett zurück und kreisen in ihrem Alltag nur um die Frage „Wie ist heute wohl seine Stimmung? Könnte diese kippen?“. Sie versuchen den ganzen Tagesablauf daran anzupassen.
Hier erfahren Sie mehr zu Partnerschaftsgewalt in Bochum.