Bochum. Nach 18 Monaten Corona-Pause hat Bochum sein Erfolgs-Musical wieder auf die Schiene gesetzt. Das Publikum feiert unter einem Sternenhimmel.
Und jetzt rollt er wirklich wieder! Nach 18 Monaten Corona-Pause ging das Signal für den Bochumer Starlight Express am Sonntagabend endlich wieder auf Grün, 1200 Zuschauer sahen zu mit Sternchen in den Augen. Abgefahren!
566 Tage standen die Züge im Depot, was für die, die Loks und Wagen auf der Bühne spielen heißt: Sie mussten zuhause bleiben. Kurzarbeit für die Musical-Darsteller, diese Künstler, für die der Applaus noch wichtiger gewesen wäre als Essen und Trinken, wie „Bahn-Chef“ Maik Klokow zu Beginn des Abends behauptet. Die Hälfte von ihnen hatte im Winter 2020 gerade angefangen zu proben, als „der kleine Virus“ sie ausbremste im wahren Wortsinn.
Und dann das Publikum: So viele hatten Karten, die sie wieder und wieder umtauschten, die Jüngsten sind über die Jahre zu Vollzahlern geworden und dürfen zur Neuaufnahme doch noch ein letztes Mal als „Kind“. Eine Million sind sie etwa, die eineinhalb Jahre verzichten mussten, die, das Wortspiel sei zur Feier des Tages erlaubt, wirklich litten unter ihren EntZUGserscheinungen.
Riemenspergers aus Echting bei München zum Beispiel, Johann in Lederhose, Andrea im Dirndl, die zum 16. Mal da sind. „Einfach, weil es schön ist.“ Was soll man da sagen, so oft haben sie gebucht und wieder abgesagt bekommen, Johann hatte „längst den Überblick verloren“. Der Jahresurlaub führt den Bayern nach Bochum, drei Bändchen trägt er am Arm unter den Hirschhornknöpfen: Generalprobe, Vorpremiere, Neu-Premiere.
Mia und Tina Gräfe aus Wuppertal können das noch toppen: 17-mal, 19-mal, dabei ist Mia erst zehn. Normalerweise erscheint das Mädchen im Kostüm, es war schon Pearl und Dinah, aus dem Kostüm von Coco allerdings ist sie unter Corona herausgewachsen. Es muss ein neues her, „das lohnt sich ja jetzt wieder“, ahnt die Mama. Dreimal im Jahr sind sie sonst gekommen, mindestens. Sie haben deshalb den Blick dafür, wenn etwas schiefgeht: „Manchmal bleibt die Brücke stehen“, weiß Mia, „das sehen nur wir.“ Einmal ist aber auch jemand hingefallen, das war dann offensichtlich für alle. „Die Lieder sind toll“, sagt Mia, sie trägt eine Maske mit Sternchen und tritt von einem Bein aufs andere. So kribbelig!
Das sind ja alle an diesem Abend. „Wir haben euch vermisst“, steht auf der Videoleinwand im Saal, „jetzt sehen wir uns wieder!“ Schon auf der Damentoilette, wo Scheiben die Waschbecken voneinander trennen, trocknen Frauen die schweißnassen Hände: „Ist das schon wieder aufregend!“ Am roten Teppich sollen der Gepäckwaggon Carry und der ICE Ruhrgold in die Kamera sagen, dass sie sich freuen, aber Deutsch ist nicht ihre Muttersprache. „Heute ist unsere große Wieder“, sagt Helen Petrovna nach mehreren Anläufen und strahlt sehr glaubwürdig, sie darf es dann auf Englisch versuchen: „Es bedeutet uns so viel.“
„Ja, endlich!“, sagt auch der Oberbürgermeister auf der Bühne, „viel Glück!“ wünscht Komponist Sir Andrew Lloyd Webber in einer Videobotschaft. „Macht es!“ Vor der Tür lässt sich Jule Sandgi aus Herdecke ihrem Rollstuhl fotografieren, fröhlich hebt sie die Arme vor einem bunten Eisenbahnwaggon. Sie hat sich aus dem nahen Josef-Hospital herschiebenlassen, „mal was anderes sehen“. Zwar kann sie nicht hinein an diesem Abend, aber der wohl bekannteste Song ist auch ihr Motto: „Es gibt ein Licht ganz am Ende des Tunnels“. Was könnte heute besser passen?
Drinnen knetet Maria Jane Hyde ihre Hände, die einst, im Juni 1988 in Bochum, die allererste Pearl war. „Ich bin so stolz, ein kleiner Teil davon zu sein.“ Es gibt inzwischen eine Mama statt eines Papas, aber die Grund-Geschichte hält sich auch in Zeiten des Klimawandels immer noch: Am Ende gewinnt die rußige Kohle-Lok. „Es ist“, hat Johann Riemensperger gesagt, „immer das Gleiche, aber dann doch immer anders.“
Dafür hat der Starlight Express, verrät Maik Klokow, in den vergangenen Wochen mehr Tickets verkauft als 2019 um dieselbe Zeit. Und das Publikum des ersten offiziellen Abends feiert schon, da ist der Zug noch gar nicht abgefahren und es hat erst recht noch niemand gesungen. Jubelschreie begrüßen das Dunkel, in dem nur ganz wenige Bremsspuren auf dem harten Boden zu erkennen sind. Viele haben sich schick gemacht, es ist für sie das erste Mal, dass es einen Grund dazu gibt.
Aber an diesem Sonntag wird gefeiert, es wird laut, es wird festlich - und zum großen Finale fallen im Saal tatsächlich die Sterne vom Himmel.