Bochum. „Nach und nach zeigte er mir sein wahres Gesicht“, erzählt Dilara (36) von ihrer Beziehung voller Gewalt. Die Rettung war das Frauenhaus Bochum.

„Er hat mir alle Wünsche von den Augen abgelesen. Aber nach und nach zeigte er mir sein wahres Gesicht: Kontrolle, Erniedrigungen, Schläge – das war plötzlich mein Alltag. Jetzt fühl ich mich total kaputt und alles tut weh.“ Dilaras Schicksal steht stellvertretend für das vieler Frauen im Frauenhaus Bochum. Sie flüchte dorthin, mit körperlichen Wunden und leidet noch immer unter den psychischen Folgen.

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Dilara hat ihren Namen aus Sicherheitsgründen geändert. Sie ist 36 Jahre alt, Mutter von drei Kindern. Als sie ihren Mann kennenlernt und heiratet, bricht sie ihre Ausbildung zur Pharmazeutisch-technischen Assistentin ab und zieht zu ihm und seiner Familie in eine andere Ruhrgebietsstadt. Schleichend breitet sich die Gewalt aus: „Erst redete er meine Freundinnen und meine Familie schlecht: ‚Deine Freundin und deine Familie sind komisch‘, und bestimmte: ‚Ich will nicht, dass du sie weiter triffst.‘ Er beginnt, mich zu kontrollieren, gemeinsam mit seiner Mutter.“

Dilara lebt im Frauenhaus Bochum: „Er hatte ein Auge auf alles, was ich tat“

Er hatte ein Auge auf alles, was sie tat, wusste per GPS-Tracking immer, wo sie war. „Er befahl mir zu kochen, zu putzen, den Schwiegervater zu pflegen. Er verbot mir zu shoppen, ins Café zu gehen und sogar meine Bücher von Jane Austen zu lesen. Darin war ich so gern abgetaucht, hab die Gewalt vergessen. Das war meine kleine Freiheit. Aber die Bücher haute er mir um die Ohren. Er hatte ein Auge auf alles, was ich tat“, erzählt Dilara.

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Macht, Kontrolle und Abhängigkeit gehen in Gewaltbeziehungen Hand in Hand: Die Männer kontrollieren nach und nach alle Lebensbereiche ihrer Partnerinnen, beherrschen Lebensumstände und ihr Innenleben, das macht sie immer abhängiger, weiß das Bochumer Frauenhaus. Betroffene dürfen die Wohnung nicht verlassen, keinen Kontakt zu Freundinnen und Freunden pflegen, verfügen weder über ein Bankkonto noch über eigenes Geld.

Gewalt gegen Frauen: Spirale dreht sich immer schneller

Kontrolle, Abwertung, Schläge, Reue-Bekundungen, Spannungen und wieder Kontrolle – die Gewaltspirale, in der Dilara gefangen war, dreht sich immer schneller: „Er demütigte mich, nannte mich ‚Hu**‘, sagte: ‚Guck dich im Spiegel an. So wie du aussiehst. Du bist nichts wert.‘ Sagte ich etwas Falsches, schlug er mich. Besuchte uns meine Familie, schlug er mich, wenn wir allein waren. Er fand immer einen Grund. Später schlug er mich täglich, knebelte mich, presste mir mehrmals hintereinander so lang das Kissen auf mein Gesicht, bis mir schwarz vor Augen wurde. Permanent hatte ich Blutergüsse am Körper und im Gesicht.“

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Wie viele misshandelte Frauen leidet auch Dilara an der psychischen Gewalt, den Erniedrigungen, der massiven Kontrolle. Sieben Jahre erträgt sie die Situation, dann bricht sie aus und verlässt ihren Mann. „Ich wünschte, meine Eltern und Geschwister hätten mich unterstützt. Sie haben meine Veilchen ja gesehen.“ Familien und Umfeld schauen oft weg, unterschätzen häusliche Gewalt, erkennen Signale nicht und bieten keinen Rückhalt.

„Auch Akademikerinnen und Unidozentinnen erleben Gewalt.“

Eva, seit 1988 Sozialarbeiterin im Frauenhaus Bochum, weiß, dass sich Gewalterfahrungen ähneln: „Oft haben unsere Frauen Gewalt schon als Kinder in der Familie kennengelernt, leben in starken Abhängigkeiten und sind nicht berufstätig. Aber auch Frauen mit höheren Bildungsabschlüssen, Akademikerinnen und Uni-Dozentinnen erleben Gewalt und flüchten sich zu uns.“ Frauenhaus-Hauswirtschafterin Maren erinnert sich an eine 45-jährige Frau, deren eigene Kinder sich gegen eine Flucht stellten.

„Nach Jahrzehnten der Gewalt und als die Kinder erwachsen waren, ertrug es die Frau nicht mehr, sie nahm allen Mut zusammen und kam zu uns. Ihre drei erwachsenen Kinder, mittlerweile Student*innen fürs Lehramt, haben die Entscheidung ihrer Mutter nicht unterstützt. Im Gegenteil: Sie haben den Kontakt zu ihr abgebrochen.“

Ulrike Langer (rechts) leitet das Bochumer Frauenhaus. Sie unterstützt die Frauen, die bei ihr Zuflucht gesucht und gefunden haben – zum Beispiel bei der Wohnungssuche.
Ulrike Langer (rechts) leitet das Bochumer Frauenhaus. Sie unterstützt die Frauen, die bei ihr Zuflucht gesucht und gefunden haben – zum Beispiel bei der Wohnungssuche. © Caritas Bochum | A. Pohl

Dabei kommt die Initialzündung für eine Flucht oft von Kindern. Sie spüren die Angst der Mutter, sind immer, auch indirekt als Zeuginnen und Zeugen, mitbetroffen und hinterfragen die Gewalt. „Mein elfjähriger Sohn hat mir die Augen geöffnet. Er fragte: ‚Wie lang willst du das noch mitmachen?‘. Dann habe ich die Flucht geplant“, berichtet Dilara. „Mein Mann musste zu einer OP ins Krankenhaus. Ich packte alle wichtigen Unterlagen zusammen und fuhr ins Frauenhaus.“ Der Mann suchte sie überall, befragte Freundinnen und Familie. „Aber nur meine Schwester weiß, wo ich heute bin.“

„Es gibt es kein Zurück. Das wäre mein Todesurteil.“

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Dilara arbeitet heute die erlebte Gewalt und die Traumatisierungen auf – in Ruhe und in Gesprächen, an diesem sicheren Ort, der Platz bietet für Trauer und Tränen, der aber auch einen geregelten Alltag zeigen soll. „Unsere Frauen leben jetzt in einer Art multikultureller Wohngemeinschaft: Die 14 Frauen und ihre 15 Kinder, die derzeit bei uns leben, stammen aus Deutschland und aus afrikanischen, arabischen sowie osteuropäischen Ländern. Luxus gibt es nicht, das Leben ist beengt und funktioniert nur, wenn alle mitarbeiten“, heißt es vom Frauenhaus.

Hier bekommen betroffene Frauen Hilfe

Frauen, die akut von Gewalt betroffen sind, können sich im „Frauen-Info-Netz“ über freie Frauenhausplätze in NRW informieren: www.frauen-info-netz.de

Das Frauenhaus Bochum ist in Notfällen rund um die Uhr unter Tel. 0234/ 50 10 34 erreichbar.

Dilara lebt seit zwei Wochen im Frauenhaus. Manche Frauen bleiben ein paar Stunden, manche ein paar Monate, manche ein Jahr. Manche kommen schnell unter, zum Beispiel bei einer Freundin, für andere wiederum hilft die Einrichtung bei der Wohnungssuche. Und manche kehren auch zu ihren gewalttätigen Partnern zurück: Weil er ihnen das Blaue vom Himmel verspricht, wegen der Kinder oder weil sie nicht wissen, wie sie es allein schaffen sollen. Undenkbar für Dilara: Sie will eine Wohnung finden und eine Weiterbildung beginnen. „Ich will auf eigenen Beinen stehen. Für mich gibt es kein Zurück. Das wäre mein Todesurteil.“

http://Häusliche_Gewalt_in_Bochum-_Betroffene_schafft_den_Ausstieg{esc#229457398}[news]Die Geschichte ist ein Auszug aus der Originalversion, die auf dem neuen Blog des Frauenhauses veröffentlicht worden ist. Den ganzen sowie weitere Texte und Wissenswertes über das Frauenhaus finden Sie unter: frauenhaus-bochum.de.