Bochum. Häusliche Gewalt findet täglich statt. Doch Ängste halten Opfer davon ab, sich zu befreien. So fand eine Betroffene Schutz im Frauenhaus Bochum.

Häusliche Gewalt kennt kein Alter, keinen sozialen Status und keinen kulturellen Hintergrund. Auch bei der Bochumer Polizei gehen täglich Anzeigen wegen Gewalt in Familien ein. Statistisch sind vor allem Frauen betroffen. Wer selbst nie Opfer derartiger Übergriffe wurde, fragt sich früher oder später: Wie kann man nur zu seinem gewalttätigen Partner zurückkehren? Warum verlässt sie ihn nicht einfach?

Bei der Suche nach Antworten tritt schnell zutage: Die Beweggründe der Betroffenen, in einer gewaltsamen Beziehung zu bleiben, sind vielschichtig und individuell. Nicht nur die Angst vor physischer Gewalt spielt dabei eine Rolle. „Verbale Gewalt hat in vielen Beziehungen eine große Bandbreite“, erklärt Babett Görnert von der Beratungsstelle Nora in Bochum. „Das kann extreme Formen annehmen – bis hin zu permanenten Beleidigungen, Bedrohungen, Infragegestelltwerden und Selbstzweifel schüren“. Die Erniedrigungen des Partners wirkten sich gravierend auf das Selbstwertgefühl der Frau aus und schränkten dadurch auch ihre Handlungsfähigkeit ein.

Betroffene in Bochum: „Wir waren für ihn wie der letzte Dreck“

Für die 33-jährige Sara*, wie wir sie nennen, war diese Art verbaler Gewalt noch schmerzhafter als es die Prügel ihres Vaters waren. „Meine Mutter und ich waren für ihn wie der letzte Dreck“, berichtet Sara, „fast zwanzig Jahre lang hat er uns beschimpft, bedroht oder für Kleinigkeiten schon geschlagen.“ Eine Zwangsehe brachte ihre türkische Mutter in die von Gewalt geprägte Beziehung.

Gewalt und Femizide

Seit 2005 verzeichnet die Polizei Bochum einen stetigen Anstieg von häuslicher Gewalt.

Im Jahr 2005 waren es 558 Fälle, fünf Jahre später im Jahr 2010 schon 690 Fälle und in 2019 gingen 792 Anzeigen wegen häuslicher Gewalt ein.

Das BKA verzeichnete 2018 bundesweit 140.755 Fälle von Partnerschaftsgewalt, in 81 Prozent war das Opfer weiblich.

Bundesweit wurden in 2018 421 Menschen durch einen Partner oder Expartner getötet, darunter 324 Frauen.

Als Jugendliche zog Sara mit ihrer Mutter dem Vater hinterher nach Deutschland, wo das enge Zusammenleben in eine permanente Kontrolle aller Lebensbereiche durch ihren Vater gipfelte. „Als mein Bruder sich mal verliebte, warf mein Vater ihn raus mit den Worten ,Wie kannst du ohne Absprache mit mir eine Freundin haben, das ist eine Schande! Du bist nicht mehr mein Sohn’“, berichtet die 33-Jährige. „Ich selbst durfte eine Ausbildung machen, aber wenn ich mal zur Geburtstagsfeier einer Kollegin ging, musste ich nach der Feier mit Schlägen rechnen“, sagt Sara.

Gewaltopfer: „Wenn Vater sagt, er bringt uns um, dann kann man dem glauben“

Kontrolle und Isolation erfahren viele Frauen, die im Caritas-Frauenhaus in Bochum Schutz vor Partnern oder Vätern suchen. „Sie wurden geschlagen, wenn sie zu spät gekocht haben oder nicht das Gericht, was der Mann wollte“, berichtet Frauenhaus-Leiterin Ulrike Langer. „Die Frauen sagen sich ,Hätte ich mal rechtzeitig das Essen fertig gehabt, wäre er nicht explodiert‘ oder ,Hätte ich mal das Kind ruhig gestellt, hätte er sich auch nicht gestört gefühlt‘“, so Langer. Ein Ausweg aus der Gewalt würde häufig von Hoffnung blockiert.

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Sara und ihre Mutter fragten sich Jahr für Jahr, ob sie den gewalttätigen Vater verlassen sollen. „Meine Mutter war da mutiger als ich. Sie wollte schon vor Jahren raus, aber ich habe gesagt ,Er wird sich bessern‘ – doch es wurde immer schlimmer“, berichtet die 33-Jährige. „Irgendwann hat meine Mutter es nicht mehr ausgehalten und gesagt ,Was sollen wir hier? Ich bin für ihn nutzlos, du bist für ihn nutzlos. Wenn wir jetzt nicht gehen, endest du so wie ich‘“, sagt Sara, „Wenn der Vater sagt, er bringt uns um, dann kann man dem auch glauben.“

Bei Verwandten Zuflucht gesucht, doch die informieren den Vater

Zunächst floh Sara zu Verwandten, doch die informierten ihren Vater über den Aufenthaltsort. „Wir dachten er bettelt, damit wir zurückkommen. Aber umgekehrt: Er ist durchgedreht“, sagt Sara, „Er ist aufgestanden, hat mich vor allen Leuten geschnappt und geschlagen.“ Mit einem Taxi flohen sie zur Polizei und die brachte sie in das Bochumer Frauenhaus der Caritas. „Und plötzlich waren wir frei. Jetzt dürfen wir alles machen was wir wollen“, sagt die 33-Jährige. „Wir dürfen essen, was wir wollen und wann wir wollen, anziehen was wir wollen, und auch nachts aus dem Haus, da sagt uns keiner was.“ Trotz neuer Freiheiten verfolgt Sara die Gewalt ihres Vater noch heute. Kaum jemandem hat sie ihren Wohnort verraten, aus Angst vor weiterer Verfolgung.

Betroffenen gelinge der Absprung, wenn die Lebensgefahr unübersehbar werde oder die Kinder litten, sagt Sozialpädagogin Babett Görnert. Doch mit einer Trennung oder einer Anzeige gingen für viele Frauen die Konflikte erst los: „Wir wissen um die Gewaltkreisläufe. Daher habe ich Hochachtung vor Frauen, die trotz aller Schwierigkeiten ihre Entscheidung konsequent umsetzen.“

* Name von der Redaktion geändert

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