Bochum. Die Sintflut kommt – und die Feuerwehr ist schon da. Forscher aus Bochum sind lokalem Starkregen auf der Spur. Wie ihre Prognose funktioniert.

Stellen Sie sich vor, die Sintflut kommt, der Keller läuft voll – und die Feuerwehr steht schon vor der Tür und packt Pumpen und Schläuche aus. Möglich machen könnte dieses Szenario ein Projekt aus Bochum. Forscher wollen die lokale Starkregen-Prognose in unserer Stadt mit Hilfe eines aus 580 Sensoren bestehenden Messsystems revolutionieren.

Bei Unwetter und Starkregen hilft jede Minute“, sagt Henning Oppel, einer der Entwickler. „Bislang können alle, auch die Feuerwehr, immer nur auf den Starkregen reagieren. Mit Hilfe unseres Systems wird es künftig möglich sein, ihn auf den Meter genau vorherzusagen.“

Forscher aus Bochum wollen lokalen Starkregen vorhersagen

Auch interessant

Die Feuerwehr könne so frühzeitig am Einsatzort sein, die Stadt das Wasser in ihren Kanälen wettergerecht steuern, die Bogestra ihre U-Bahnen stoppen, Bürger Fenster und Türen schließen und ihr Hab und Gut im Keller sichern. Wer Wäsche zum Trocknen in den Garten hänge, könne auch das genauer planen. Die Daten des Projektes sollen öffentlich einsehbar sein.

Pro Viertel-Quadratkilometer wollen die Forscher in Bochum in den kommenden Monaten einen Regensensor aufstellen. Ein sogenannter Prellteller zeichnet live auf, wie viel Regen wo vom Himmel fällt. Die Daten lassen Rückschlüsse zu auf die Wassermenge, aber auch auf die Zugrichtung der Wolken. So sollen Starkregen-Prognosen kurzfristig möglich werden.

Drei Firmen arbeiten an dem Projekt

An dem Projekt „25 square“ arbeiten drei Firmen aus Bochum: Okeanos Consulting, Auto-Intern und das Bochumer Institut für Technologie.

Okeanos ist eine junge Ausgründung aus der Ruhr-Universität Bochum, die sich auf die Digitalisierung der Wasserwirtschaft spezialisiert hat. Im Fokus stehen praktische Probleme in der Versorgung und Aufbereitung von Wasser. Gründer sind Henning Oppel und Benjamin Mewes.

Auto-Intern entwickelt und produziert bereits seit über 20 Jahren Diagnose-Elektronik. Unter der Leitung von Odin Holmes und Stephan Bökelmann hat sich die GmbH in den vergangenen sechs Jahren von einem reinen Kfz-Diagnoseunternehmen hin zu einem Dienstleister für Auftragsforschung und -Entwicklung gewandelt.

Das Bochumer Institut für Technologie wurde gemeinsam von Unternehmen, Hochschulen und der Stadt Bochum gegründet, um wissenschaftliche Erkenntnisse der Region vermehrt für wirtschaftliche Wertschöpfung zu nutzen.

„25 square“ heißt das vom Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur und Stadt Bochum geförderte Forschungsprojekt. 94.000 Euro flossen in die Machbarkeitsstudie, die Ende des Monats abgeschlossen sein soll. Im Herbst wollen die Entwickler den Förderantrag zur Realisierung stellen. Bei Kosten von 250 bis 300 Euro pro Messstation geht es inklusive Material und Personalkosten um eine mittlere sechsstellige Summe.

Sensoren messen 105 Liter Regen pro Quadratmeter

Pünktlich zum ersten großen Unwetter dieses Sommers installierten die Forscher im Juni erste Sensoren. An der Sternwarte in Bochum zeichnete das System am vergangenen Dienstag – hochgerechnet – 105 Liter Regen pro Quadratmeter auf.

Das Forscherteam aus Bochum (v.l.): Önder Türksoy, Tabea Röthemeyer, Benjamin Mewes, Henning Oppel, Juliane Neumann und Philipp Bühler. Die Projektleiterin Röthemeyer arbeitet bei Auto-Intern, alle anderen bei Okeanos Consulting.
Das Forscherteam aus Bochum (v.l.): Önder Türksoy, Tabea Röthemeyer, Benjamin Mewes, Henning Oppel, Juliane Neumann und Philipp Bühler. Die Projektleiterin Röthemeyer arbeitet bei Auto-Intern, alle anderen bei Okeanos Consulting. © Zeynep Daskin

Eine Kachelmann-Wetter-Station in Bochum habe indes in der Spitze nur 60 Liter ausgewiesen – für die Forscher ein Beleg, wie groß die Unterschiede auf kleinstem Raum sein können.

„Diese Unterschiede lassen sich mit den vorhandenen Messnetzen kaum erfassen“, sagt Projektleiterin Tabea Röthemeyer, Ingenieurin der Auto-Intern-Gmbh. Zusammen mit ihren Kollegen vom Bochumer Institut für Technologie und Okeanos Consulting entwickelte sie das kleinteilige Sensorensystem „25 square“.

Forscher arbeiten an einem Fahrplan für Wolken

Herzstück ist eine Software, die die Daten der Sensoren auswertet. Zurzeit arbeitet das Team daran, die Menge dieser Daten zu reduzieren, um eine drahtlose Übertragung möglich zu machen. Perspektivisch soll das engmaschige Netz von Sensoren „einen präzisen Verlauf und die Intensität einer Regenwolke analysieren und vorhersagen“, heißt es. „Wir wollen einen Fahrplan für Wolken anbieten“, so Röthemeyer.

Auch interessant

Nicht nur das. Auch die Architektur der Stadt soll in die Berechnungen mit einbezogen werden. Antworten soll es geben auf Fragen wie „Beeinflussen versiegelte Flächen wie Parkplätze die Intensität des Regens? Was bewirken hohe Gebäude? Wo regnen Wolken eher ab?“

Weitere Sensoren sollen noch im Juli aufgestellt werden. Feuerwehrchef Simon Heußen habe alle Dächer der Feuerwachen als Standorte angeboten. Das Interesse der Feuerwehr an den Daten sei groß. Mit Hilfe der 25-square-Prognosen könne die Leitstelle Notrufe besser einordnen, heißt es.

Feuerwehr Bochum ist an den Daten interessiert

„Es fehlen oft objektive Daten, um die Dringlichkeit bei Unwettern zu bewerten“, sagt Stephan Bökelmann von Auto-Intern. 25 square könne diese liefern. Wie wichtig das ist, zeigte das jüngste Unwetter. Die Leitstelle der Feuerwehr war völlig überlastet.

Sollte das Projekt der Bochumer Forscher seine eigene „Vorhersage“ bestätigen, könnte das Messsystem in den kommenden Jahren ausgerollt werden. Städte wie Essen, Bielefeld und Frankfurt seien interessiert, berichten die Forscher.

Im nächsten Schritt soll es aber erst einmal um Hagel gehen. „Für die Landwirtschaft wäre das ein Fortschritt. Unsere Daten könnten bei einem Versicherungsschaden wichtige Erkenntnisse liefern“, sagt Oppel.

In ferner Zukunft könnten weitere Daten gesammelt werden. „Warum sollen wir nur Regen messen können“, sagt Tabea Röthemeyer. „Sensoren können auch Luftverschmutzung und Lärm messen. Und Lichtsensoren erklären uns die Bewegungen der Wolken.“