Bochum. Die Koalition in Bochum steht vor einer Zerreißprobe. Die Grünen wollen Wohnungsbau auf unversiegelten Flächen stoppen. Die SPD ist erschüttert.

Knapp zehn Monate nach der Kommunalwahl steht die rot-grüne Koalition in Bochum vor einer Zerreißprobe. Grund ist eine Abkehr der Grünen vom Wohnungsbau auf unversiegelten Flächen. Die SPD spricht von einem Verstoß gegen den Koalitionsvertrag und einem „Spiel mit dem Feuer“.

Das umstrittene Neubauprojekt Hattinger Straße/Hinter der Kiste in Linden soll das letzte auf einer unversiegelten Fläche sein, dem die Partei zustimmen will. „Die Zustimmung zum Wohnungsbau auf dieser Fläche im Südwesten ist für uns schwierig. Die Zielkonflikte zwischen Wohnungsneubau und Naturschutz treten immer offener unauflösbar zu Tage“, sagt Sebastian Pewny.

Grüne in Bochum stoppen Wohnungsbau auf unversiegelten Flächen

Für die vielen Bürgerinitiativen, die sich in Bochum gegen Neubauprojekte wehren, ist dies allerdings nur zum Teil eine gute Nachricht. Denn: An bereits bestehenden Projekten und beschlossenen Verfahren wollen die Grünen festhalten, versichert der Vorsitzende der Fraktion. Bei neuen aber müsse „beobachtet werden, wie sich die Lage auf dem Bochumer Wohnungsmarkt entwickelt“.

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Nicht weiter verfolgen will die Partei daher folgende Projekte, die auf unversiegelten Flächen mit größtenteils schützenswerten Böden geplant sind: Am Rübenkamp, Ridderstraße Nord, Im Vogelspoth/ Südstraße, Schulte-Hiltrop-Straße, Everstalstraße, Im Meerland, Im Haarmannsbuch und Ministerstraße.

Handlungskonzept Wohnen kommt auf den Prüfstand

364.454 Einwohner in Bochum

Grundlage für das Handlungskonzept Wohnen war u.a. eine Wohnraumbedarfsprognose, der eine Prognose zur Bevölkerungsentwicklung der Stadt Bochum für die Jahre 2015 bis 2030 zugrunde lag.

Drei Varianten wurden dabei berechnet: eine Fortschreibung des Trends zum Prognosezeitraum und zwei Wachstumsvarianten.

Für 2020 sah die Prognose 367.000, 369.000 oder 370.000 Einwohner in Bochum vor. Das Landesamt Information und Technik hat für den 31.12. 2020 indes nur 364.454 Einwohner in Bochum registriert.

Für die Grünen ist dies ein Indiz, dass Bochumer künftig doch eher schrumpf als wächst.

Auch das mit der SPD vereinbarte Handlungskonzept Wohnen, das den Bau von jährlich durchschnittlich 800 Wohnungen vorsieht, müsse mit Blick auf neue Studien und Bevölkerungsprognosen neu bewertet und hinterfragt werden. Der grünen Ratsfraktion zufolge werden in Bochum bis Ende des Jahrzehntes über 10.000 neue Wohnungen entstehen. Das Ziel sei damit mehr als erreicht.

Eine Übererfüllung sei kontraproduktiv, so Pewny. „Alle Experten gehen mittlerweile davon aus, dass Bochum eher schrumpft als wächst. Leerstände in den 2030er Jahren können wir uns nicht leisten, zumal auch in Essen und Herne immer mehr Wohnungen entstehen.“

SPD wirft Koalitionspartner Wortbruch vor

Die neue Position der Grünen, die auf einem Parteitag am Dienstag bei einer Gegenstimme und wenigen Enthaltungen beschlossen wurde, sorgt beim Koalitionspartner SPD für Entsetzen. „Ich bin erschüttert“, sagt der Vorsitzende der Fraktion, Burkhard Jentsch. „Das ist ein klarer Verstoß gegen den Koalitionsvertrag.“

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„Wir haben in Bochum ein gewaltiges Problem mit Wohnraum“, so Jentsch. Es kann nicht sein, dass junge Familien keine finanzierbaren Immobilien finden, ältere Menschen, die sich räumlich verkleinern wollen, das nicht können, weil es an barrierearmen Wohnungen fehlt und sozial Schwache keine finanzierbare Bleibe finden, die aktuellen Standards entspricht.“

Koalitionsausschuss tagt am Dienstag

Der Wortbruch der Grünen sei „ein Schlag ins Gesicht“. Die Grünen setzten „alles auf die Karte, dass einige Prognosen einen Bevölkerungsrückgang herbei orakeln“. Ignoriert werde dabei aber der Trend zu Single-Haushalten und Kleinfamilien. „Die einseitige Betrachtung der Grünen kann sich für die Menschen unserer Stadt bitter rächen“, so der SPD-Fraktionschef.

Was der Streit um die Wohnungsbaupolitik für die seit 1999 bestehende rot-grüne Koalition am Ende bedeutet, könnte sich in der kommenden Woche zeigen. Für Dienstagabend ist kurzfristig eine Sitzung des großen Koalitionsausschusses angesetzt worden.