Bochum. Der Einzelhandel steht unter Druck. Auch in Bochum. Gerade Innenstädte müssen mehr bieten als Shoppen. Sonst gehen sie unter.
Massive Umsatzeinbrüche hat der Einzelhandel seit Beginn der Corona-Pandemie hinnehmen müssen. Seine Lage ist, abgesehen von Gewinnerbranchen wie Lebensmittel, Fahrräder und einigen anderen, „mittlerweile dramatisch“, so Jennifer Duggen, Handelsexpertin der IHK Mittleres Ruhrgebiet mit Sitz in Bochum.
Die prekäre Lage manifestiert sich im „Bochumer Fenster“, dem Büro- und Handelskomplex auf der Fläche der früheren Stadtbadgalerie auf der Bongardstraße. Vor knapp zwei Jahren ist hier der Modepark Röther ausgezogen. Seit dem stehen 6500 Quadratmeter Handelsfläche leer. Und an diesem Zustand wird sich dem Vernehmen nach bis auf Weiteres auch nichts ändern.
Handel und Innenstädte brauche neue Konzepte
„Modeunternehmen, Innenstädte und Einkaufscenter sind die Verlierer der Corona-Pandemie“, hieß es unlängst bei der Vorstellung des IHK-Handelsreports Ruhr 2021. Nun ist Röther zwar vor Corona ausgezogen. Aber einen Nachfolger zu finden, und das sind auf so großen Innenstadtflächen bislang häufig Modehändler und -ketten gewesen, fällt dem Eigentümer DIC Asset offenbar schwer. „Es gibt keinen neuen Sachstand“, heißt es in Frankfurt am DIC-Sitz.
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Der stationäre Handel verliert gerade in seinen einstigen Leitmärkten an Bedeutung. Das ist nicht erst seit Corona bekannt. „Aber die Pandemie wirkt hier wie ein Brandbeschleuniger“, sagt Handelsexpertin Jennifer Duggen. Die Zeit der von großen Einzelhändlern vor allem der Mode- und Elektronikbranche getriebenen Innenstädte sei vorbei. Handel und Städte brauchen neue Formate. Die Erkenntnisse des gerade vorgestellten Handelsreports Ruhr 2021 bestätigen das.
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Shoppen allein ist kein Zugpferd mehr
„Bochum steuert schon dagegen“, so Duggen. Das Viktoria-Karree hätte zwar etwas früher kommen können. Aber ein multifunktionaler Komplex mitten in der City weise ebenso wie das angrenzende Haus des Wissens inklusive Markthalle den richtig Weg. Künftig würden Innenstädte zwar auch durch Handel geprägt sein – zumindest in den Oberzentren. Aber Kultur, Freizeit, Wohnen und Arbeiten müssen dazu kommen, um die City von morgen attraktiv für Menschen zu machen.
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Verkaufsfläche in Bochum ist gesunken
Der Handelsreport beschäftigt sich mit dem Ruhrgebiet und angrenzenden Regionen. Insgesamt 5,8 Millionen Einwohner leben in diesem Ballungsraum. Fast ein Drittel der Bewohner von NRW lebt in einer der 84 Kommunen des Ruhrgebiet.
Berücksichtigt werden Einzelhandelsbetriebe mit mindestens 650 Quadratmeter (qm) Verkaufsfläche. Die Verkaufsfläche von Betriebe dieser Größenordnung ist in Bochum von 461.619 qm (2009) auf 449.827 (2020) gesunken. Das ist ein Rückgang um drei Prozent.
Mit einer Verkaufsfläche je Einwohner von 1,29 liegt Bochum im Mittelfeld der Region, hat aber relativ deutlich mehr Fläche als die anderen vier Oberzentren der Region wie etwa Dortmund (1,14). An der Spitze liegt Kleve (1,59) vor Oberhausen (1,58) und Wesel (1,37).
Auch der Handel muss sich ändern. „Dazu gehört natürlich das Online-Geschäft“, so Duggen; auch wenn die Beratung vor Ort für Kunden große Bedeutung behalte. Aber: Die Digitalisierung müsse weiter gehen, so sollten Händler z.B. Warenauskunftssysteme nutzen. Und: Der Handel benötige neue Formate. In einer gut versorgten Gesellschaft gewinne der Freizeit- und Erlebniswert eines Innenstadtbesuchs immer mehr an Bedeutung.
Gemeinsame Strategie ist wichtig
Niemand könne dies alleine lösen. Duggen: „Die Zeit des Einzelkämpfertums ist vorbei.“ Stadt, Händler, Verbände, Immobilieneigentümer müssten an einem Strang ziehen. Bochum habe mit der Initiative Bochumer City (IBO) dafür einen guten Player. Allerdings gilt auch hier das längst bekannte Problem: Handelsketten, Filialisten und Immobilieneigentümer ohne Bindung zur Stadt, nicht selten Fonds, haben wenig Interesse an einer strategischen Stadtentwicklung.
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Wie diese aussehen könnte? Eine kleine Gemeinde in Münsterland geht gerade neue, ungewöhnliche Wege. Sie nutzt das Geld aus dem 70-Millionen-Euro-Topf der NRW-Landesregierung zur Rettung der Innenstädte, um den Leerstand zu mindern. Sie mietet Flächen von Eigentümern, die sich auf eine günstige Miete einlassen, und vermietet diese zu noch deutlich günstigeren Konditionen an künftige Ladeninhaber. Die müssen in den ersten beiden Jahren lediglich 20 Prozent der ortsüblichen Miete bezahlen. Das soll zur dauerhaften Belebung der Innenstadt führen.
Zwölf Prozent Leerstand in der Innenstadt
Eine Chance, die auch Bochum hätte. Schließlich hat die Stadt zwei Millionen Euro aus dem Sofortprogramm erhalten. Auch hier sind die Leerstände unübersehbar. Anfang 2020 waren 46 von 657 Einzelhandelsimmobilien mit weit mehr als 11.000 von 100.000 Quadratmeter Nutzfläche ungenutzt – etwa zwölf Prozent.
Immerhin: „Bochums Einzelhandelsstruktur ist anders als in Essen und Dortmund insgesamt noch kleinteiliger“, sagt IHK-Handelsexpertin Jennifer Duggen. Das sei Vorteil und könne helfen, die Krise von Handel und Innenstadt zu überwinden.